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Jörg Draeger und seine Frau Petra:
Mit Zonk, Herz und Schnauze

Ausgerechnet eine Stoffratte hat ihn in der schnelllebigen Medienwelt unsterblich werden lassen, wenn man eine über Jahrzehnte andauernde Bekanntheit als Unsterblichkeit bezeichnen darf. Der rote „Zonk“ ist mit Jörg Draeger untrennbar verbunden. Mitte der 1990er hat der wortgewandte Kult-Moderator das Zocken mit „Geh aufs Ganze“ im deutschen Fernsehen hoffähig gemacht. Dass in ihm ein weltgewandter und auch nachdenklicher Mensch steckt, erschließt sich, wenn man sich mit ihm und seiner Frau Petra länger unterhält. Herz und Schnauze sind selten eine besser gelaunte Liaison eingegangen als bei diesem Ehepaar.

Ich hatte im Wedding nie Angst

Jörg Draeger

Der erste Eindruck ist, dass das Ehepaar Draeger schon mal eine beeindruckende Erscheinung ist: Petra mit ihren leuchtend rot gefärbten Haaren, einer mit Strass besetzten Brille und Fingernägeln, die Ton in Ton mit den Haaren gehen, Jörg hingegen in der weißen, sportlichen Strickjacke mit Schal und auffälliger grüner Brille, dazu eine akkurat gescheitelte Haarpracht. Vor allem haben sie keine Berührungsängste mit dem Wedding, denn hier waren sie beide lange zu Hause.

Das Treffen im Café an der Ecke Schulzendorfer und Neue Hochstraße ist für das Paar wie ein Wiedersehen mit dem alten Kiez, es weckt bei ihnen schöne Erinnerungen. An die Zeit, als Petra Jörg 1991 auf der Funkausstellung kennenlernte. Und später, als Petras kleine Wohnung an der Panke ihr Ankerpunkt für Familienurlaube in Berlin war. Und es dauert nur Sekunden, bis Jörg das alte Lebensgefühl im Wedding wieder ins Gedächtnis kommt, und wie wohl er sich schon als Student in den 1960ern in diesem Kiez der Arbeiter und kleinen Beamten gefühlt hat. „Ich habe mich im Wedding immer sauwohl gefühlt, hatte hier nie Angst“, sagt Jörg. Deutsche und Nichtdeutsche seien hier über Generationen miteinander verwachsen und hätten weitgehend harmonisch im Kiez gelebt. Gern habe er früher in einem Café an der Müllerstraße gesessen, während sein Sohn im Fitnessstudio war, und das bunte Treiben beobachtet.

Im Wedding richtig Wurzeln geschlagen hat seine Frau Petra aber viel früher. „Meine Mama hatte an der Wollankstraße einen Marktstand als Wurstmamsell, wo sie Fleischwaren verkaufte“, erinnert sich die 1961 geborene Berlinerin. Ihr Kindergarten war ebenfalls am Gesundbrunnen. Ihre Eltern bauten später einen Lebensmittelmarkt und eine Kneipe in Lichterfelde auf, bevor sie sich an den Betrieb eines Bauernhofs in Lübars wagten. „Doch durch den Feuerteufel und die Maul- und Klauenseuche haben sie alles verloren“, sagt Petra. Mit einem Softeiswagen erarbeitete sich ihr Vater eine neue Existenz, und Mitte der 1980er übernahm er einen Kiosk vor dem Alhambra-Kino im Wedding. Die Mutter machte sich ebenfalls mit einer Holzbude mit Zeitungen an der gegenüberliegenden Ecke selbstständig. „Bald waren diese Kioske den Behörden ein Dorn im Auge und der Laden meiner Eltern zog in einen Container auf den Mittelstreifen der Seestraße“ , erinnert sich Petra.

Imbiss, Zeitungskiosk, Blumenladen – die Straßenbahn gab es dort damals noch nicht. Vor allem für Schichtarbeiter gab es auch nachts um halb zwei immer etwas zu essen und Zeitungen zu kaufen. „Als ich Petra kennenlernte, fuhren wir nach langen Nächten immer frühmorgens dort vorbei“, erinnert sich auch Jörg. So lernte er seine späteren Schwiegereltern kennen. Ausgeschlafen haben sie dann in der Weddinger Wohnung. Anfang der 1990er verließen Petras Eltern den Wedding in Richtung Teneriffa – ihre Verkaufscontainer leben aber bis heute in dem Imbiss an der Straßenbahnhaltestelle fort. Die Weddinger Brauseboys haben dem Imbiss auf der Mittelpromenade unzählige Texte gewidmet.

Jörg ist 17 Jahre älter als seine Frau und hat ein bewegtes Leben hinter sich. Als Kind mit den Eltern nach Spanien ausgewandert, kam er zum Studium in seine Geburtsstadt Berlin zurück. Skandierte er als Student 1968 noch „Enteignet Springer“, muss er heutzutage schmunzelnd nach einem Empfang im Springer-Hochhaus feststellen, dass das „wohl nicht so richtig geklappt“ habe.

Jedenfalls kostete ihn die allzu aktive Teilnahme an den Studentenprotesten die Immatrikulation in Berlin, wo er Germanistik, Theater- und Politikwissenschaften studiert hat. Weiter ging es an der neuen Ruhr-Uni Bochum, doch die Einberufung zur Bundeswehr ändert seinen Lebensplan. Dort fand er als Berufssoldat über das Militärradio den Weg zum Journalismus – er baute später ein Regionalstudio des NDR auf und gehört zu den Pionieren des Privatrundfunks als Chef vom Dienst bei Radio Hamburg. Eher ungeplant wechselte er in die Nachrichtenredaktion von SAT.1. Als der Sender sein Frühstücksfernsehen nach Berlin verlegte, war Jörg dabei, auch wenn er zunächst nur ungern von der Elbe an die Spree zog. Bei der IFA '91 dann trafen Maskenbildnerin Petra und der Moderator in der Maske aufeinander, wo sie in einer Kabine neben ihm arbeitete. Als sie kurz darauf ein Paar wurden, musste erst eine Bekannte Petra darauf hinweisen, aus welcher Sendung (nämlich "Krypton-Faktor") man ihren Freund kennt.

Als er sagte, dass er keine West Highland Terrier mag, hab ich ihn innerlich schon abgehakt

Petra Draeger

Das Gespräch wird immer wieder von Lachanfällen unterbrochen. Als unserem Fotografen ein Stück Rührei in den Tee fällt. Wenn Jörg die Redezeit seiner Frau auswürfeln will. Denn wenn das Ehepaar etwas erzählen will, muss zwischen beiden immer wieder neu ausgefochten werden, wer die Hoheit über das Erzählte erhält. Jörg kommt zeitweise kaum zu Wort, denn es ist vor allem Petra, die sich an jedes Detail ihres Kennenlernens erinnern kann. Sie, die Kosmetikerin mit eigenem Laden am Ku’damm, und der Fernsehmann tauschten sich am ersten Abend über Hunde aus (dass Petra einen West Highland Terrier hatte, eine Rasse, die Jörg nicht mag, stand ihrer Beziehung nicht im Wege). So kam eines zum anderen.

1991 sollte Jörg die Übernahme der amerikanischen Gameshow "Let’s make a Deal" für SAT.1 planen. Der Zufall wollte es, dass er am Ende selbst am Casting teilnahm und die Zusage erhielt. Dort zeigte Jörg eine andere Seite von sich, nämlich dass er ein echter Zocker ist. Zwei rote Würfel befinden sich immer in seinen Taschen, so auch bei unserem Gespräch. Ständig spielen er und seine Frau um ein paar Cent. Auch an ihren Geburtstagen gibt es für sie in klassischer „Geh aufs Ganze“-Tradition immer drei Umschläge.

Doch beim Zocken kommt Jörgs wahres Talent zum Tragen: Er schaut seinen Kandidaten in die Augen und entscheidet in Sekundenschnelle, ob er hilft, das richtige Tor auszuwählen, oder eher passiv bleibt. Denn er weiß, hinter welchem der drei Tore sich der Hauptgewinn verbirgt. Zocken, den Einsatz erhöhen, hohe Gewinne und totale Verluste, das war im deutschen Fernsehen damals neu. Und die Art, wie Jörg moderiert hat, hat ihm ein großes Publikum beschert. Auch nach der Sendung folgten noch viele weitere Auftritte, so zum Beispiel bei Promi Big Brother oder Let's dance.

Der Zonk zaubert den Verlierern ein Lächeln ins Gesicht

Jörg Draeger

Dabei ist "Geh aufs Ganze" selbst ein Musterbeispiel für Wahrscheinlichkeitsrechnung, das schon manchen Mathematiker beschäftigt hat: „Das sogenannte Ziegenproblem, das sich mit den Gewinnchancen dieser Show beschäftigt, habe ich selbst nie verstanden“, sagt der 78-Jährige lachend. Wählt der Kandidat das falsche Tor und es ist eine Niete, tritt der Zonk auf. „Wir haben uns für dieses Stofftier entschieden, weil es den Verlierern wenigstens ein Lächeln ins Gesicht zaubert“, erklärt Jörg. Im amerikanischen Original gibt es das nicht, und doch hat dieses unförmige, rote Tier zum großen Erfolg der Show in Deutschland beigetragen. Bis heute wird Jörg Draeger auf den Zonk angesprochen, und das ist ihm gar nicht unangenehm. Sein Verdienst ist es, ein spannendes, spielerisches Psycho-Element in deutsche Gameshows gebracht zu haben. Jörg hat vor allem dafür gesorgt, dass sich die nicht vorgecasteten Kandidaten so entspannt wie in einer Kneipe fühlen konnten.

Zurück zu seiner Familie. Für einen Werbetrailer für die neue Show fuhren Jörg und seine Partnerin Petra 1994 nach Las Vegas. Petra dabei nichts ahnend, dass er bereits alles für eine Hochzeit vorbereitet hat, tappte in die „Falle“: Sie sagte „ja“, musste dabei weinen, und auch das war Jörg wichtig: „Wenn sie nicht gerührt gewesen wäre, hätte ich es nicht gemacht!“ Aus der Ehe entsprangen zwei Kinder, und bis heute sind die beiden glücklich verheiratet. Ihre erste gemeinsame Zeit verbrachten sie in Petras kleiner Wohnung im Wedding, im Kiez an der Schulzendorfer Straße, nahe dem Weddingplatz. „Als die Mauer noch stand, war das eine ruhige Ecke“, sagt sie. Die Wohnung haben sie immer noch, vermietet an eine Studentin und ihren Freund. „Die hatten doch keine Referenzen, wer gibt denen denn noch eine Wohnung?“, sagt Petra. Sie selbst wohnt mit ihrer Familie am nördlichen Stadtrand. 

Die Schauspielerkarriere blieb mir leider versagt

Jörg Draeger

Der rastlose Jörg Draeger mit der bewegten Vita, der jederzeit zu einem Spiel bereit zu sein scheint, hat aber auch eine nachdenkliche Seite. „Ich liebe die deutschen Klassiker, bin als Student oft ins Theater gegangen, habe dort auch Nebenrollen gespielt, aber die Schauspielerkarriere blieb mir leider versagt“, erzählt er. Doch bedauert er das heute nicht, denn sein Weg hat ihn letztlich ja doch auf die große Bühne geführt. Und noch etwas erstaunt, zumindest auf den ersten Blick: Seine Liebe zu Spanien, vor allem zum baskischen und galicischen Norden, führte dazu, dass er den Jakobsweg 15 Mal gelaufen ist.

Heute werden Jörg und Petra ab und zu noch auf Galas eingeladen. Trotz einer gewissen Bekanntheit, die Jörg über Jahrzehnte im Mediengeschäft erlangt hat, sagt er: „Ich bin nicht prominent. Ich hatte einfach das Glück, mit ein bisschen Talent etwas machen zu dürfen, was mir Spaß macht.“ Und lebende Legenden gäbe es sowieso nicht mehr, fügt er hinzu, denn für ihn hatte Deutschland eigentlich nur einen Star: Harald Juhnke, der berühmteste Sohn des Weddings. Jörg ist sich sicher: „Wenn ich einmal sterbe, möchte ich gern auf einem Weddinger Friedhof begraben werden.“ Und zeigt auf den Friedhof auf der anderen Straßenseite. Für ihn, die auf dem Boden gebliebene Spielernatur ohne Berührungsängste, ist der Wedding die beste Gesellschaft. 

Fotos: Andaras Hahn, Fotos Juhnke-Denkmal, Blumenhäuschen Müllerstraße und Kiosk Seestraße: Joachim Faust

Joachim Faust

hat 2011 den Blog gegründet. Heute leitet er das Projekt Weddingweiser. Mag die Ortsteile Wedding und Gesundbrunnen gleichermaßen.

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