Es hat einen geheimnisvollen Namen. Es liegt gleich neben Babylon und nicht weit weg von den Kabul Nights. Manchmal ist es schwer zu finden, doch nie war es ganz verschwunden. Jetzt ist es wieder in voller Pracht aufgetaucht: Nicht hinter den sieben Bergen, sondern wieder in der Müllerstraße 133b im Wedding. Und um seine Bewohner und ihre Schätze zu entdecken, muss man nur durch die neue goldene Pforte treten, die stets offen steht.

Es ist kein Reich voll Tüll, Taft und Teppichen, auch wenn der orientalische Name etwas anderes vermuten lässt. „Gardinestan“, egal wer sich diesen Namen ausgedacht hat, er hat einen Treffer gelandet. Der markante gold-blaue Schriftzug bevölkert schon lange die Blogs und Instagram-Profile über den Wedding. Fast so oft wie die orangen Kacheln des U-Bahnhofs Wedding. „Gardinestan“, das klingt wie ein Land, das irgendwo zwischen Afghanistan und Usbekistan liegen könnte, ein geheimes Königreich, aus dem legendäre handgeknüpfte Teppiche kommen. Und gleichzeitig könnte es eine selbstironische Anspielung sein auf das Multi-Kulti im Wedding, auf orientalische Teppichhändler und auf das, was hier wirklich verkauft wird: Solide Fenstervorhänge von hoher Qualität.

„Vielleicht ist es auch nur eine Abkürzung von 'Gardinenstange', vermutet der Verkäufer, der mich durch den Laden führt, nüchtern. Er ist durch und durch Fachmann. "Schauen sie!“, wirbt er für seine Ware. „Das ist ein wirklich lichtdichtes Gewebe.“ Zum Beweis hält er seine Handy-Lampe unter eine Stoffprobe. Der Lichtfleck dringt nicht durch. Zum Vergleich zeigt er mir ein leichter gewebtes Stück: blickdicht, aber nicht lichtdicht. Einen Unterschied, den mir bei IKEA, wo ich bisher meine Vorhänge kaufte, keiner gezeigt hat. Und vielleicht ist diese Expertise und die Leidenschaft für den Stoff das wirklich Exotische an diesem Geschäft: „Gardinestan“ ist das letzte Gardinen-Fachgeschäft an der Müllerstraße. Erst vor Kurzem hat das „Ideal“-Gardinenhaus an der Ecke Müller- Gerichtstraße aufgegeben und die Gardinenabteilung von Karstadt am Leopoldplatz ist seit vergangenem Jahr Geschichte.

Auch um das Geschäft in der Müllerstraße 133b, stand es manchmal nicht gut. „Angefangen haben wir vor sieben Jahren, kurz vor Corona.“, erinnert sich Fatih Genc. “Da hatten wir uns gerade etwas aufgebaut, da war schnell alles wieder zu. Wir haben uns dann mit Online-Handel über Wasser gehalten und das immer mehr ausgebaut.“ Er deutet auf hunderte blaue Stoffsäckchen mit dem goldenen Firmen-Logo, in denen zugeschnittene Gardinen auf den Versand warten. „Dann hat vor über einem Jahr der Vermieter begonnen, den Eingang umzubauen. Es sollte vier Wochen dauern, daraus wurde aber mehr als ein Jahr.“ Der ikonische Schriftzug verschwand von der grünen Hausfassade und erreichbar war der Laden für die Kundschaft nur noch durch den Hintereingang. Die Laufkundschaft blieb weg.

Aber trotzdem muss sich das Unternehmen keine wirklichen Sorgen machen. Die Kundschaft kommt nicht nur aus dem Wedding, sondern aus ganz Berlin und Brandenburg. Deshalb, und wegen des guten Online-Geschäfts, sei man durch die Veränderungen und die Geschäftsschließungen in der Müllerstraße auch nicht zu stark betroffen. Man habe Angebote zwischen 20 Euro und 300 Euro pro Meter Gardine. Damit sei man unter den etwa 60 Gardinenläden in Berlin noch nicht im obersten Preissegment, erklärt mir der Verkäufer. Im Schnitt werde im Wedding 100 Euro pro Meter ausgegeben. Für seine eigene Zwei-Zimmer-Wohnung habe er 1200 Euro für Gardinen und Vorhänge angelegt, verrät er mir. Die Kunden können in der Müllerstraße den vollen Service abrufen: Vom Aufmaß über Zuschnitt, Nähen und Montage. Teppiche habe man auch, aber eher Zusatzangebot und als Sonderangebot für die Laufkundschaft.

Im Hinausgehen versuche ich Aişe Genc, der Tochter von Mitgründer Cengiz Genc, zwischen edlen S-Linien-Gardinen und Lamellen-Rollos doch noch das Geheimnis des magischen Namens zu entlocken.
Im Handelsregister eintragen ist die Firma als "Jung CFO GmbH". Der Name sei eine Verbindung der Anfangsbuchstaben der drei Brüder Cengiz, Fatih und Oktay Genc, die das Geschäft gemeinsam führen und der deutschen Übersetzung ihres Nachnamens - Genc heißt jung, verrät Frau Genc. Ein Rätsel gelöst. Bleibt noch das Geheimnis um "Gardinestan". "Er hat schon was mit Ländern wie Afghanistan zu tun,", lächelt sie, "obwohl mein Vater und seine beiden Brüder aus der Türkei stammen." Ihr Vater habe die Idee gehabt. Mehr verrät sie nicht. Ob sie später mal das Geschäft übernehmen wolle, sozusagen als Prinzessin von Gardinestan, frage ich sie. „Nein“, lacht sie. „Ich studiere Bio-Informatik an der FU.“
Gardinestan Jung CFO GmbH
Müllerstraße 133b, 13349 Berlin
Mo-Sa von 10-18 Uhr
[email protected], Tel: 01784498651
Einer der schönsten Artikel!
Was für ein Intro aus Weddings 1000 und einer Nacht -
und dann das:
"blickdicht, aber nicht lichtdicht. Ein Unterschied, den mir bei IKEA, wo ich bisher meine Vorhänge kaufte, keiner gezeigt hat. Und vielleicht ist diese Expertise und die Leidenschaft für den Stoff das wirklich Exotische an diesem Geschäft: 'Gardinestan'" ...
Ooo, wie zauberhaft ist das denn!
Das ist ein wunderschönes Geschäftsporträt!
Danke für`s Gute-Laune-Machen an diesem Sonntagmorgen, lieber Rolf!