David Bloom lebt mit seiner Familie und zwei Katzen in der Erdgeschosswohnung eines klassischen Berliner Altbaus im Prenzlauer Berg. Hier verbringt er seinen Alltag, koordiniert sein Leben als Tänzer, Künstler und Familienvater und unterrichtet seit Corona – natürlich – auch online. Er reist viel herum, vor allem um Workshops in verschiedenen Tanz-Zusammenhängen zu geben, teilweise eher kunstorientiert, manche mehr im Bereich Körperarbeit und Selbsterfahrung, (wie z.B. das Touch and Play Festival in Süddeutschland).
Geboren und aufgewachsen ist David Bloom in Heidelberg, als Sohn einer jüdischen Familie aus Brooklyn. Seine Mutter kam als junge Opernsängerin nach Heidelberg. Hier fing David mit etwa 15 Jahren an zu tanzen, klassisches Ballett. Mit Anfang 20 studierte er Tanz in Frankfurt am Main, wo er auch begann, selbst in den Tanzstudios der Stadt zu unterrichten. Seinen Master in Choreographie machte Bloom in Berlin, wo er seit 15 Jahren – zeitweise auch im Wedding – lebt und neben seiner hauptberuflichen Tätigkeit als Tänzer, Choreograph und Dozent zeitweise auch als Musiker und Filmemacher arbeitet.
David Bloom hat keine Hobbys und zählt auch das Fermentieren, das er im Lockdown für sich entdeckte, zu seiner Kunst. Er war sofort bereit zu einem Gespräch über seine Arbeit, so dass wir uns an einem Morgen im August in seiner Küche, dem Berliner Zimmer, zusammenfanden.
Von Beginn seiner Praxis als professioneller Tänzer an hat David Bloom unterrichtet. Es ist wichtiger Teil seiner Einkunftsquelle, aber auch seiner Recherchearbeit als Künstler. Im Zentrum seines Interesses steht dabei das Begehren, Grenzen und Intimität. Dies hat unter anderem viel mit der zeitgenössischen Bilderwelt zu tun, die mit Sex und Erotik aufgeladen und voller Projektionen ist. Dem versucht Bloom auf seine Art als Künstler und Tänzer zu begegnen, unter anderem, indem er die erotische Begegnung zwischen Workshopteilnehmer:innen und Performer:innen zulässt und in den Tanz integriert. Im Zuge dieser Entwicklung seiner Arbeit machte er eine Urban Tantra-Ausbildung und drehte zwischen 2013 und 2016 drei eigene Pornofilme (die Sex & Space ‑Trilogie), die auf dem Pornfilmfestival Berlin und später auch in Tanz-Kontexten gezeigt wurden.
David Blooms Interesse am Thema des Begehrens hat sich in letzter Zeit vom explizit Körperlichen hin zu einer weiter gefassten erotischen Beziehung zur Umwelt und zur Welt an sich entwickelt. Er stellt sich und uns die Frage: Wie kann ich eine erotische Beziehung zur Welt eingehen? Dies ist die metaphysische Komponente seiner Arbeit, die Bloom u.a. in Zusammenhang mit seiner jüdischen Herkunft bringt. Das Mystische im Judentum fasziniert und beschäftigt ihn und er verbindet es mit seinen anderen Leidenschaften, wie der Fermentation, die Bloom während der Lockdowns für sich entdeckte. Das Fermentieren von Gemüse spiegelt in seiner Anwendung Aspekte vom Innen und Außen des Körpers wider, dem Kreislauf des Köpers mit seiner Umwelt. Bloom sieht darin eine „göttliche Interaktion“ zwischen ihm und den „mikrobischen Kulturen, die überall um uns herum sind“. All diese Komponenten, das Körperliche, das Spirituelle und das Forschende sind Teil des Tanzens, so wie David Bloom es für sich versteht. Es ist in allem die Möglichkeit, „in den Austausch mit der Umwelt zu gehen und den Körper sich selbst als Teil von einem größeren Ganzen erfahren zu lassen“, so Bloom. So ist es für ihn kein großer Unterschied, ob er einen Porno dreht oder einen Workshop über Fermentation gibt.
Zu Beginn seines jüngsten Solos ‘Alles Vergängliche’ entzündet David Bloom Wunderkerzen, die das Datum der Aufführung anzeigen. Während sie noch brennen, zitiert er singend die Nachrichten des Tages. Bloom beginnt zu tanzen und die Musik Gustav Mahlers setzt ein. Die Nachrichten tauchen immer wieder auf, werden mehr und mehr zum Zitat und bespielt von Blooms vielfältigen Tanzerzählungen, die sich in ihren unterschiedlichen Qualitäten übereinander legen, von klassischem Ballett über zeitgenössischen Tanz bis hin zu Hip Hop. Sein Tanz reicht von frei expressionistischen Bewegungen mit poetische Gesten bis zur Verausgabung in einem Wirbel um sich selbst. Es entstehen Bilder von Schönheit, Ekstase und ausgeliefert sein; sie erinnern an Pina Bauschs kontemplative Choreografien und Charlie Chaplins Rastlosigkeit in Modern Times.
Das Stück basiert auf Mahlers 8. Symphonie, die unter anderem Textteile aus Goethes Faust II enthält. Hier liegt auch die Referenz zum Titel: ‘Alles Vergängliche ist nur ein Gleichnis; das Unzulängliche, hier wird’s Ereignis’. Dieses Zitat wählte David für sein Stück, in das er „Alles“ hineinbringen wollte, ähnlich der Intention Mahlers zu seiner Symphonie, jedoch in einer anderen Zeit. Einen vergleichbaren Versuch, ‘alles’ zu fassen, sieht David parallel zur Musk und zum Tanz in der Abbildung der Geschehnisse der Welt in den Nachrichten, wie z.B. der Tagesschau.
Die Nachrichten als Format haben David schon immer fasziniert, als Jugendlicher hat er viel CNN geschaut: aus den unendlich vielen Facetten einer Story werden die ‘wichtigsten’ herausgesucht und zu einem eindimensionalen Bild, der Schlagzeile, zusammengefügt. In dieser Vereinfachung sieht David eine „Fiktion“, eine Geschichte aus wahren Begebenheiten, die sich ständig weiterentwickelt (er macht eine kreisende Bewegung mit den Händen, ähnlich einer sich drehenden Schraube). „Wie gehe ich als Künstler mit dieser immer überwältigender werdenden Entwicklung um? Was passiert da draußen, und was passiert zugleich hier drinnen, wo ich bin, im Tanzsaal? Warum tue ich das überhaupt, mich auf die Bühne zu stellen und mit den Armen rumzuwedeln, während sich das da draußen abspielt?“ fragt sich David mit seinem Stück. Je krasser die Umstände, desto dringender wird diese Frage. „Was kann ich beitragen? Ist es wichtig, etwas beizutragen?“
David Bloom webt, dekonstruiert, legt Schichten von Tanz, Musik und Sprache übereinander. Als Performer ist er im In- und Output zugleich. Es ist eine echte one man show. Es gibt aber auch stille Momente im Stück, in denen Bloom ganz mit sich und seiner Bewegung ist und wir als Publikum einen kleine Ahnung von seiner alltäglichen Tanz-Praxis erleben. Der Tänzer, wie er die Welt als Künstler erfährt, aktiv und rezeptiv, spielend und in der Geste wahrnehmend. Dann ist auf einmal alles ganz leicht erfahrbar, räumlich und physisch. Gustav Mahler, ebenfalls jüdisch, konvertierte zum Christentum, um in München Anschluss an die Gesellschaft zu finden, was ihm trotzdem nicht richtig gelang (zwanzig Jahre später, unter den Nazis, durfte seine Musik nicht mehr aufgeführt werden). Für ihn galt aber zu seiner Zeit: ich bin Musiker, und darin ist alles enthalten. So würde es David auch für sich und den Tanz sagen: „Sexualität, Spiritualität, Fermentation, das alles gehört für mich zum Tanz und darin ist alles enthalten“.
Der Versuch, ‘alles’ zu fassen und auf die Bühne bringen zu wollen, daran zu scheitern und es doch immer wieder zu versuchen, beschreibt einen Zustand, in dem Bloom sich selbst und auch die Welt heute sieht. Wir – die Menschen der westlichen Welt – wollen rational alles erfassen, benennen, bestimmen, regulieren. Während wir dies unentwegt versuchen, entrinnt uns die Geschichte. Die Geschichte unserer Körper und des Planeten.
Die Musik ist verklungen, die Wunderkerzen verbrannt, der Tag ist vorbei. „Ich werde weiter tanzen“, sagt David in unserem Gespräch, „egal, ob die Welt 1,5 , 2 oder 3°C wärmer wird.“ Und zitiert eine Zen-buddhistische Weisheit: „Vor der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen. Nach der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.“ Gefragt, ob er den Tanz auch als Sprache versteht, erwidert David ganz klar: Tanz, Bewegung,
Musik und abstrakte Malerei unterscheiden sich deutlich von Sprache. „In der Bewegungspraxis würde ich mich einem Baum näher fühlen, als einem Stück geschriebener Sprache, weil der Sinn-Aspekt ein anderer ist.“ Ein ehemaliger Professor von ihm sagte einmal, die Sprache sei dazu gemacht, Sachen voneinander zu trennen. „Wenn du etwas benennst, sagst du (implizit, Anm. der Autorin) auch die unendlich vielen Sachen, die es nicht ist.“ Dabei ist die Sprache für David eine Modalität von Erfahrung von vielen. „Beim Tanz kann die Erfahrung gemacht werden, dass Ich und Du das Gleiche sind, oder Außen und Innen das Gleiche oder man Sachen gleichzeitig erfahren kann“ während die Sprache diese Dinge nicht in einer solchen Dichte zusammen bringe. Sicherlich gebe es poetische und prophetische Sprache, die vieles in einem auslösen könne; „es sollte einem als Künstler aber bewusst sein, dass es eben nur eine Modalität des Ausdrucks ist und die der Sprache in unserer Kultur eine sehr dominante ist. Es gibt eine weit verbreitete Einstellung in unserer Gesellschaft, dass etwas, das man nicht sprachlich benennen oder beschreiben kann, nichts wert ist.“
Ob auch Elemente und Wahrnehmungen aus seinem Alltag in seine Choreographien mit einfließen, möchte ich von David wissen. „Ich verbringe wenig Zeit mit Dingen, wo es nicht um alles geht. Mein Alltag ist Yoga, mein Alltag ist Fermentation, das Zusammensein mit Kindern. Bei all dem befasse ich mich existenziellen Fragen. Das alles macht auch Spaß und ich befinde mich nicht in einem permanenten Weltschmerz.“ David lacht und fügt dann hinzu: „Aber all das ist eine metaphysische Erfahrung.“
David Blooms Solo ‘Alles Vergängliche’ ist live zu sehen im Dock 11, Kastanienallee 79, 10435 Berlin vom 25. – 28.11.21 jeweils um 19h. Die Premiere in der Tanzfabrik Berlin war am 26.2.2021
Text: Hanna Solms
Info: Seit 2017 betreibt Hanna Solms den Dunstsalon im Afrikanischen Viertel im Wedding.
Der Dunstsalon ist ein non-binärer Raum für Vielfalt und Kreativität mit queer-feministischer Philosophie. Er ist Ideen-Labor, Ausstellungsort und setzt sich mit seiner direkten Umgebung, dem Weltgeschehen und gelebten Utopien auseinander. In Zukunft wird es dort auch Schreibwerkstätten geben (geplant ab Herbst 2022). Derzeit arbeitet der Dunstsalon vor allem virtuell und teilt sich die Räume mit der Textilschneiderei Vianko Mode. Zu erkennen ist er an der Leuchtschrift ‘Salon’, die bei Events blau leuchtet.
Dunstsalon, Lüderitzstraße 16