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“Den Spaß kann man mit Geld nicht kaufen”:
Eser, der Breakdancer

Der 43-Jäh­ri­ge Niya­zi ist in der Ams­ter­da­mer Stra­ße als Sohn tür­ki­scher Gast­ar­bei­ter auf­ge­wach­sen. Als Jugend­li­cher ent­deck­te er den Break­dance für sich. Die­se Kunst beherrscht er grund­sätz­lich noch heu­te, wenn­gleich er aus gesund­heit­li­chen Grün­den zurück­ste­cken muss. Er erzählt uns, wel­che Welt sich für ihn als Jugend­li­cher durch den Break­dance eröffnete.

“1993 habe ich mit Break­dance ange­fan­gen. Es hat mich immer fas­zi­niert, seit ich es im Jugend­haus das ers­te Mal gese­hen habe. Mir hat es sehr gehol­fen, dass ich vor­her vier Jah­re Tae­kwon­do gemacht habe. Dadurch hat­te ich schon die nöti­ge Kör­per­be­herr­schung und Deh­nung, die man für Break­dance braucht. Von den bei­den Vari­an­ten hat mich Power­mo­ve immer mehr begeis­tert: das ist akro­ba­ti­scher, man dreht sich auf dem Ell­bo­gen, auf der Hand, auf dem Kopf… Auch Spa­gat ist dabei sehr wich­tig, das konn­te ich immer gut. Dafür war ich nicht so gelen­kig wie ande­re, die dann eher Styl­es getanzt haben. Da ist man fle­xi­bler und tanzt im Rhythmus.”

Sei­nen Sohn hat Niya­zi nach sei­nem Break­dance-Namen benannt

Break­dance-Moves sind breit gefä­chert. Es gibt Break­dan­cer, die ihren Fokus auf tän­ze­ri­sche Ele­men­te wie Styl­es set­zen und ande­re hin­ge­gen zele­brie­ren auf der Tanz­büh­ne vor dem Publi­kum mit den Break­dance Power­mo­ves die­je­ni­gen Tan­z­ele­men­te, die von der brei­ten Mas­se am stärks­ten in Erin­ne­rung bleiben.

“Ich den­ke, Styl­es ist leich­ter, wenn man gelen­kig ist. Power­mo­ve ist für mich viel schwe­rer als Styl­es, auch wenn das heu­te wich­ti­ger ist und sich mehr auf die Musik bezieht.”

Der Aus­druck “fame” stammt aus dem Eng­li­schen und bedeu­tet “Ruhm”, “Ruf” oder “Berühmt­heit”. In der Jugend­spra­che wird der Begriff ver­wen­det, um Erfolg und Reich­tum zu beschrei­ben. Es bedeu­tet aber im Break­dance vor allem Respekt und Ansehen.

“Ich ver­fol­ge heu­te immer noch die Sze­ne. Die ist heu­te viel weni­ger auf Fame aus als frü­her, dafür aber kom­mer­zi­el­ler. Break­dance war 2024 sogar olym­pi­sche Dis­zi­plin und wird nicht mehr nur noch als Teil der Hip hop-Kul­tur gehen. Das fin­de ich scha­de. Denn lei­der geht es stark ums Geld­ver­die­nen, und nicht dar­um, dass man in der Sze­ne als guter Power­mo­ver gilt. Frü­her gab es ein­fach ande­re Wer­te: Wie krass ist einer per­sön­lich, wie gut ist man? Heu­te schau­en alle auf Insta­gram, Tik­Tok oder You­tube. Da kann man sich dafür eini­ges abschau­en. Das war frü­her nicht so ein­fach: Wir haben uns damals noch alte VHS-Kas­set­ten aus den USA besor­gen müs­sen, es war viel schwe­rer, an die Tech­ni­ken her­an­zu­kom­men. Es gab kaum Vor­bil­der, des­halb war die Idee mei­ner Freun­de, dass wir es uns selbst bei­brin­gen. So ent­wi­ckel­ten wir einen eige­nen Style, einen Flow, der über die Grund­schrit­te hin­aus ging.” 

Break­dance ist eine dyna­mi­sche Kom­bi­na­ti­on von Tanz­be­we­gun­gen in einem krea­ti­ven, rhyth­mi­schen Flow.

“Wir bil­de­ten dann mit 15 oder 16 Jah­ren eine eige­ne Crew, die Cra­zy Batt­le Stars. Wir kann­ten uns alle aus dem Jugend­zen­trum in der Edin­bur­ger Stra­ße. Mei­ne Kum­pels waren Enver, „Cash“, Derya „B‑Boy Diaz“, Paul und Bil­al und vie­le ande­re. Wir haben Hip Hop, R’n B gehört, auch DJ Tomekk lern­te ich damals ken­nen. Über die Kum­pels, die Tanz­schu­len und die Sze­ne bekam man dann mit, dass es irgend­wo Batt­les gab. Fünf Jah­re lang haben wir getanzt und uns wei­ter perfektioniert.”

“1999 dann waren wir soweit, zur Deut­schen Break­dance-Meis­ter­schaft nach Mün­chen zu fah­ren. Dort tra­ten 15 bis 20 Crews gegen­ein­an­der an, immer aus 5 bis 12 Jungs bestehend. Erst ging die Jury nach der Gesamt­per­for­mance. Im Fina­le gab es dann Batt­les 2 gegen 2, die bes­ten kämpf­ten dann um die Plat­zie­rung. Als Grup­pe kamen wir auf Platz 1, im Solo war ich Platz 2. Mein Brea­k­er­na­me ist „Eser“, das ist tür­kisch und heißt Wir­bel­wind. Auch mei­nen jetzt vier­jäh­ri­gen Sohn habe ich Eser genannt.”

Bei sog. Break­dance-Batt­les tre­ten ein­zel­ne Tän­zer oder gan­ze Teams (Crews) gegen­ein­an­der an, um ihre Fähig­kei­ten (Skills) unter Beweis zu stel­len. In abwech­seln­der Rei­hen­fol­ge gilt es den gegen­über­ste­hen­den Kon­tra­hen­ten durch die eige­ne Dar­bie­tung zu übertrumpfen.

“Spä­ter haben wir uns dann nach dem Vor­bild „New York City Brea­k­ers“ benannt als „Ber­lin City Brea­k­ers“. Die gehör­ten zeit­wei­se zu den bes­ten in Deutsch­land. Anders als ande­re waren wir nicht unter­ein­an­der ver­fein­det, wir kamen aus Wed­ding, Kreuz­berg, Neu­kölln und Schö­ne­berg. Statt uns aus Lan­ge­wei­le zu prü­geln wie vie­le ande­re, haben wir gemein­sam geschwitzt und trainiert.”

“Bei mir wur­de das dann immer pro­fes­sio­nel­ler: Ich war zwar einer der Jün­ge­ren, aber ich küm­mer­te mich um Ter­mi­ne, war in Tanz­stu­di­os und Jugend­häu­sern ange­stellt, ging an die Schu­len und gab dort Kur­se. Sogar auf mei­ner eige­nen Schu­le, der Hans-Bre­dow-Schu­le (heu­te Schu­le am Schil­ler­park) habe ich Unter­richt gege­ben. Und im Jugend­haus Edin­bur­ger Stra­ße war ich zeit­wei­se als Erzie­her und Break­dance-Leh­rer ange­stellt. Mei­ne Kum­pels und ich haben nicht so viel ver­dient wie ande­re in der B‑Boy-Sze­ne, aber wir haben es für unse­re Lei­den­schaft gemacht.”

“Mei­ne Eltern sind aus der Tür­kei nach Deutsch­land gekom­men und haben immer gear­bei­tet. Mein Vater hat­te eine Ände­rungs­schnei­de­rei in der Ams­ter­da­mer Stra­ße 18. Das Tol­le war: Es gab einen Rie­sen­kel­ler, den wir in einen Trai­nings­raum umge­baut haben. Da haben wir viel Zeit ver­bracht und auch über­nach­tet. Durch mei­ne Arbeit habe ich vie­le Kids von der Stra­ße geholt. Im Schü­ler­la­den in der Lie­ben­wal­der Stra­ße muss­ten sie erst ihre Haus­auf­ga­ben machen, bevor sie zum Kurs mit mir gehen durften.”

“Das Gute ist: Man kon­zen­triert sich aufs Break­dan­cen und macht kei­nen Blöd­sinn. Ich habe vie­le Talen­te ent­deckt, Brea­k­er-Ben­ny ist vie­len bekannt, aber auch sein Nef­fe PAUL und Umut B‑Boy No Limit ist sicher ein Begriff. Der ist spä­ter einer der berühm­tes­ten Tän­zer gewor­den, wir haben lan­ge gemein­sam getanzt. Wie so oft wur­de der Schü­ler dann bes­ser als der Meis­ter. Auch B‑Boy No Limit war mal mein Schü­ler und vie­le Talen­te gehör­ten immer mal wie­der zur Crew. Lei­der hat sich die Crew vor sie­ben Jah­ren auf­ge­löst, weil ich auf­hö­ren muss­te. Ich habe damit aber mei­nen Frie­den gemacht.”

Wie schaut Niya­zi auf die­se beweg­te Zeit in sei­nem Leben zurück?

“Den Spaß, den ich mit Break­dance hat­te, kann man mit Geld nicht kau­fen. Ich bin froh, dass ich den Leu­ten was mit­ge­ben konn­te. Ich weiß, dass ich der Sze­ne in Ber­lin auch viel gege­ben habe. Eine Zeit­lang war Ber­lin auch die Stadt mit der bes­ten Brea­k­er-Sze­ne. Ich hat­te auch Riva­len, zum Bei­spiel B‑Boy Air Max (Ali Erol) aus Kreuz­berg, aber am Schluss haben wir zusam­men die Ber­lin City Brea­k­ers gegründet.”

Wie ende­te die Zeit als Breakdancer?

“2015 war dann Schluss für ich. Ob vom Falsch­he­ben oder vom Break­dance, ein Nerv war an der Hals­wir­bel­säu­le ein­ge­klemmt. Ich war halb­sei­tig gelähmt, muss­te ope­riert wer­den. Danach bin ich auf Fit­ness umge­stie­gen. Mein Arzt hat mir davon abge­ra­ten, mich auf dem Kopf und dem Rücken zu dre­hen. Lei­der kann ich dann mei­nen Schü­lern es nicht mehr vor­füh­ren, und des­we­gen unter­rich­te ich es heu­te auch nicht mehr. Man hört aber noch gern auf mei­nen Rat. Mein ältes­ter Sohn Yasin ist schon als 5‑Jähriger mit auf Events gegan­gen und hat viel gelernt. Wir sind sogar zusam­men auf Cow­boy­shows im El dora­do in Temp­lin aufgetreten.”

“Wenn ich gute Musik höre, juckt es mir immer noch in den Bei­nen. Ich weiß, ich kann das auch noch, manch­mal tan­ze ich noch Break­dance auf Fei­ern und Events. Der Rhyth­mus ist ja in der tür­ki­schen Musik auch wich­tig. In unse­ren Volks­tän­zen gibt es sogar Ele­men­te des Break­dance. Und ich kom­me aus einer leb­haf­ten und fröh­li­chen Fami­lie, bei uns wur­de sich immer viel bewegt und sel­ten gelangweilt.”

Hat der Break­dance auch für sein heu­ti­ges Leben Bedeutung?

“Wenn ich so zurück­bli­cke, was mir die Zeit mit Break­dance gebracht hat, muss ich sagen: Ich war immer ein fokus­sier­ter Mensch, woll­te immer gut in dem sein, was ich mache. Leben oder Tod-mäßig, das war für mich immer der Sinn. Und der Break­dance schult dein Takt­ge­fühl, die Musik bringt Har­mo­nie. Bei mir kam dann noch Ziel­stre­big­keit dazu, die vom Break­dance noch ange­trie­ben wur­de. Das hilft dir auch an ande­ren Stel­len im Leben. Das Trai­ning war wie Hochleistungssport. 

Break­dance hat mir auch in schwe­ren Zei­ten gehol­fen, mich von Pro­ble­men abge­lenkt. Ich habe mich dann aus­ge­powert und mei­ne Wut abreagiert.”

Joachim Faust

hat 2011 den Blog gegründet. Heute leitet er das Projekt Weddingweiser. Mag die Ortsteile Wedding und Gesundbrunnen gleichermaßen.

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