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Die ganze Welt für 1 Euro

9. September 2017
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Foto: David Sandkaulen

Wenn die Finan­zen klamm sind, ist manch­mal selbst guter Rat noch zu teu­er. Doch es gibt einen Ort, an dem wer­den dei­ne Träu­me auch für einen schma­len Taler wahr: Der 1 Euro-Shop.

Wir wol­len Kuchen backen, doch in der spär­lich ein­ge­rich­te­ten Küche lässt sich kei­ne Schüs­sel zum Anrüh­ren des Teigs fin­den. Auch Impro­vi­sa­ti­on mit krea­ti­ven Alter­na­ti­ven ist unmög­lich. Wir müs­sen wohl eine Schüs­sel kau­fen. Kei­ne Chan­ce, mit unse­rem Bud­get etwas in einer ordent­li­chen Haus­halts­wa­ren­ab­tei­lung zu fin­den. Wir grü­beln, dann bli­cken wir uns an und wer­den im sel­ben Moment erleuch­tet: Der 1 Euro-Shop! Mehr muss nicht gesagt wer­den. Das Aben­teu­er kann beginnen.

Die Plastikschüssel aus dem 1-Euro-Shop. Foto: Sigrund Wetzel
Die Plas­tik­schüs­sel aus dem 1 Euro-Shop. Foto: David Sandkaulen

Am Ein­gang des Shops ver­si­chern wir uns noch ein­mal gegen­sei­tig unse­re Mis­si­on: eine Rühr­schüs­sel. Ich will los­stür­men, doch kom­me ich schon nach dem ers­ten Schritt ins Sto­cken. Es ist unmög­lich im Vor­bei­ge­hen die Waren in den Rega­len kurz abzu­scan­nen und beim gesuch­ten Pro­dukt ste­hen zu blei­ben . Das Ange­bot ist ein­fach zu über­wäl­ti­gend. Dicht an dicht drän­gen sich hier die Waren. Ein Schritt vor, zwei zurück. Nur ein­mal die Wand mit sys­te­ma­ti­schen Blick über­flie­gen reicht lan­ge nicht aus, um alles zu sehen, was dort hängt. Sind inzwi­schen neue Din­ge hin­zu­ge­kom­men? Auf den zwei­ten Blick wer­de ich unsi­cher. Wie konn­te ich so vie­le Din­ge vor­her über­se­hen? Die Sin­ne wer­den bis zum Äußers­ten gereizt. Mei­ne Augen suchen zwi­schen grel­len Far­ben und wil­den Mus­tern ver­ge­bens einen Ruhe­punkt. Der Geruch nach fri­schem Plas­tik und Ver­pa­ckungs­ma­te­ri­al steigt mir zu Kopf. Dazu der Lär­men und das Drän­geln der Kun­den… Ich bin dem 1 Euro-Rausch verfallen.

Gebacken in der neuen Schüssel. Foto: Sigrun Wetzel
Geba­cken in der neu­en Schüs­sel. Foto: David Sankaulen

Über­all sehe ich plötz­lich Din­ge, von deren Exis­tenz ich bis­lang nichts ahn­te und doch weiß ich augen­blick­lich, dass ich sie schon immer sehn­lichst ver­misst habe. Alle Geburts­tags­fei­ern mei­nes Lebens – tot­lang­wei­lig ohne die­se Kon­fet­ti­pis­to­le. Kein Weih­nachts­ge­schenk wirk­lich per­sön­lich ohne die­se Geschenk­an­hän­ger mit Design-Weih­nachts­mo­ti­ven. Düs­ter und trist mei­ne Aben­de auf dem Bal­kon ohne die­se Solar-Bal­kon­leuch­te in Form einer Son­nen­blu­me. Oh, ich brau­che ein­fach alles, was ich hier ent­de­cke. Was? Nur 1,99 Euro? Dann gleich zwei davon. Noch mehr… Nur noch… Und das auch!

Ich höre mei­nen Namen und das reißt mich kurz aus mei­nem Wahn. “Was machst du da?” Ich seuf­ze und lege all mei­ne Schät­ze wie­der zurück. Wir haben schließ­lich eine Mis­si­on. Schüs­seln, Töp­fe und Scha­len fin­den wir über die gesam­te Laden­flä­che ver­teilt. Wir ver­glei­chen, dis­ku­tie­ren, wägen ab und fin­den schließ­lich die per­fek­te Plas­tik­schüs­sel in knall­pink. Sie ist sogar so bil­lig, dass wir noch einen Schnee­be­sen drauf­le­gen kön­nen, das gibt das Bud­get her. Der Kuchen ist gesichert.

Schätze aus dem 1-Euro-Shop. So wird Ostern noch schöner. Foto: Sigrun Wetzel
Schät­ze aus dem 1‑Eu­ro-Shop. So wird Ostern noch schö­ner. Foto: Sig­run Wetzel

Noch will ich aber nicht gehen. Mich zieht es in die Bas­tel­ecke des Ladens. Denn hier schlum­mern sagen­haf­te Vor­rä­te an bun­tem Papier, bedruck­tem Bas­tel­kar­ton und Auf­kle­bern. Natür­lich will ich wie­der alles auf ein­mal haben, schaf­fe es aber, mich gemä­ßigt für nur eine Sache zu ent­schei­den. Schwer genug. Stolz auf unse­re Leis­tung gehen wir zur Kas­se. Einen letz­ten Kon­sum-Kick gibt es noch in der Quen­gel­zo­ne und beim Blick in die Ein­kaufs­kör­be der ande­ren Kun­den. War­um beschrän­ken wir uns, wo wir doch hier die gan­ze Welt für nur 1 Euro ver­spro­chen bekom­men? Mehr, mehr, noch ist es nicht zu spät, wir kön­nen noch zurück, wol­len wir nicht noch kurz…

Foto: David Sandkaulen

Dann ist bezahlt. Wir tre­ten aus dem 1 Euro-Shop hin­aus und blei­ben kurz ste­hen. Die Welt drau­ßen ist farb­los, stumm und reiz­arm. Wir kom­men lang­sam run­ter vom Sti­mu­li Over­kill. Hil­fe, war das eben anstren­gend. Hil­fe, war das eben fan­tas­tisch. Maß­lo­sig­keit des Kon­sums; Sinn­lo­sig­keit des Pro­dukts. Und zwi­schen all der Unver­nunft unse­re bil­li­ge pin­ke Schüs­sel, ohne die es heu­te kei­nen Kuchen mehr gäbe. Nicht zu ver­ges­sen mei­ne bun­ten Bas­tel­pa­pier­bö­gen für eige­ne Oster­kar­ten. Zu Hau­se bei einem Stück Kuchen leh­ne ich mich zufrie­den zurück und betrach­te wohl­wol­lend unse­re Aus­beu­te. Erst mal habe ich genug, aber ich fin­de sicher bald den nächs­ten Anlass für einen Besuch im 1 Euro-Shop.

Text: Sig­run Wet­zel, Fotos: Sig­run Wet­zel, David Sandkaulen

3 Comments Leave a Reply

    • Ich glau­be, es ging der Autorin nicht um einen spe­zi­el­len 1‑Eu­ro-Shop. Sie woll­te das Phä­no­men an sich beschrei­ben. Aber ich fra­ge sie gern, wel­chen sie genau mein­te. Domi­ni­que, Weddingweiser

    • Hal­lo Eddi, da hat Domi­ni­que vom Wed­ding­wei­ser ganz Recht. Es ging im Text um eine allgemeine
      Erfah­rung, die man in allen 1€-Shops machen könn­te. Inspi­riert wur­de der Text aber von einem Besuch im Tedi in der Mül­lerstra­ße 141. Lie­be Grü­ße, Sigrun

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