Während man im Humboldtforum in Mitte dem alten Palast der Republik hinterherweint, braucht man im Weddinger Humboldthain nur einmal über die Straße zu gehen, um den Palast in seiner alten Schönheit zu bewundern. Ein Ausflug in eine seltsame Geschichte, in der der Wedding mal Weltniveau erreichte.
Ich reibe mir die Augen und denke: „Das kann doch nicht wahr sein. Ist das Wirklichkeit, was ich hier sehe, oder bin ich in ein Zeitloch gefallen?“ Vor mir steht ein Wiedergänger: Der Palast der Republik, Erichs Lampenladen! In dunklen Kupfertönen glänzt die gerasterte Thermoverglasung, die sich wie ein Band um das ganze Gebäude zieht, hell leuchten die senkrechten Treppenhäuser aus Naturstein, die der Fassade etwas Aufstrebendes geben. Kein Zweifel: Er ist wieder da! Deutlich kleiner als früher (Liebling, ich habe den Palast geschrumpft), aber wie herübergebeamt vom Marx-Engels-Forum (heute Schlossplatz). Dieses Gebäude, dessen Ende 1990 beschlossen wurde, ist seit 2010 vom Erdboden verschwunden. Von Politikern zerredet, von Asbest verseucht wurde es von Baggern und Presslufthämmern endgültig aus der Geschichte entfernt. Kein Krümel Beton sollte mehr an ihn erinnern. Und doch ist er es, der hier vor mir steht, unverkennbar! Ein leichter Grusel überfällt mich. Totgesagte leben länger. Oder ist er gar nicht tot? Hat er heimlich „rübergemacht“ und Asyl im Westen bekommen? Vielleicht hat er sich auch der flehentlichen Klagen seiner Jünger, die sich derzeit unter dem fast schon religiösen Credo „Der Palast ist Gegenwart“ hinter der Stadtschlossfassade versammeln, erbarmt und ist aus dem Architekturhimmel wieder herabgestiegen. Aber warum ist er gerade im Wedding gelandet, in der Gustav-Meyer-Allee, gleich gegenüber dem Volkspark Humboldthain? Der Wedding war, nur die Älteren erinnern sich, schließlich ein Teil der „Frontstadt“ West-Berlin, lag direkt an der Berliner Mauer. Und West-Berliner waren, um es mal milde zu sagen, nicht gut zu sprechen auf Sachen, die aus dem Osten kamen. Jahrelang boykottierten sie zum Beispiel die S‑Bahn, nur weil sie von der DDR-Reichsbahn betrieben wurde.
Das Rätsel lüftet sich ein wenig, wenn man weiß, dass der Bauherr dieses Palastes nicht Erich hieß, sondern Heinz, Heinz Nixdorf. Ein sehr erfolgreicher Computer-Pionier aus Paderborn. Und als solcher war er frei von West-Berliner Dünkeln. Nixdorf war ein begeisterter Anhänger der modernen Architektur, der Mies van der Rohe verehrte und persönlich traf. Und sein Paderborner Hausarchitekt Hans Mohr entwarf alle Nixdorf-Gebäude im transparenten „Internationalen Stil“. So auch die letzte Nixdorf-Produktionsstätte, gleich gegenüber den ehemaligen AEG-Werken von Peter Behrens, ebenfalls eine Architekturikone im Wedding. Der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen legte 1984, acht Jahre nach Eröffnung des Palastes der Republik, den Grundstein und redete etwas von Beginn des „Silikon Wedding“, woraus leider nichts wurde. Zur gleichen Zeit, als die DDR verschwand, verschwand auch die Nixdorf AG. Anfang der 1990er-Jahre ging Nixdorf mit Siemens zusammen. Und hinter den braunen „Schwedenglas“-Fenstern arbeitet jetzt die Verwaltung der Berliner Sparkasse.
Doch nicht nur diese Äußerlichkeiten teilt der Weddinger Palast mit seinem verschwundenen großen Vorbild auf dem Schlossplatz. Bald könnte ihm ein ähnliches Schicksal blühen wie dem Volkshaus in Berlin-Mitte. Die Investorengruppe Coros hat das Gelände gekauft, und will es „entwickeln“. Was für den Palast im Wedding ganz konkret den Abriss bedeuten soll.
Das wäre nicht nur schade, weil dann eine Filmkulisse für die nächste Stasi-Kommödie von Leander Hausmann fehlen würde, weil dann die Diskussionsgruppen aus dem Humboldtforum einen weitern Verlust langatmig zu beklagen hätten, sondern weil auch ein ein weiterer Erinnerungsort an die einstmals vielfältige Berliner Computerindustrie verloren gehen würde. Und natürlich ein Juwel der Weddinger Industriearchitektur. Also, um es mit einer Parole aus den 1980ern zu sagen: Besuchen Sie den Palast, solange er noch steht!
Das Gelände in der Gustav-Meyer-Allee ist sehenswert und frei zugänglich.
Mittlerweile hat der Bericht über den Abriss des Palastes im Wedding seine Runde gemacht. Die Nachrichtenagentur DPA hat das Thema aufgegriffen und die Märkische Oderzeitung (MOZ) berichtete:
https://www.moz.de/nachrichten/brandenburg/immobilien-in-berlin-das-ist-das-double-vom-palast-der-republik-in-wedding-_-samt-abriss-70027037.html
Für mich ein schöner Artikel. Mein Vater war der U.a. Hausarchitekt von Heinz Nixdorf. Mir wird immer warm ums Herz, wenn ich Bilder der Gebäude sehe… um so trauriger, wenn ich dann lese, dass es abgerissen werden soll.
Das Gebäude ist ja sehenswert aber es (sowie Humboldthain) ist nicht im Wedding zu finden sondern Gesundbrunnen, ein eigener Ortsteil (dazu hat er ca. 10.000 mehr Einwohner*innen als der Wedding!)
Die Grenzziehung ist uns durchaus bekannt, entspricht aber nicht dem Lebensgefühl der Menschen im Wedding. Dazu haben wir etliche Artikel auf den Blog, z.B, hier: https://weddingweiser.de/grenze_zwischen_wedding_und_gesundbrunnen/
Hi, ich wohne in der Ecke und ich kann Dir sagen, dass meine Nachbarn und ich im Wedding wohnen. So empfinden wir das. Ich glaube, das hat vor allem historische Gründe (Ursprung des Wedding, ehemaliger Bezirk, seltsame Mauersituation vor allem im heutigen Brunnenviertel). Es hängt aber auch mit dem Unwillen zusammen, willkürliche Verwaltungsentscheidungen einfach so zu akzeptieren. Frag mal die Leute im Prenzlauer Berg ob sie in Pankow wohnen… Das bisschen Ungehorsam darf man sich schon leisten. 😉
Es war eine kluge Entscheidung, zur ARD zu gehen. Denn aus Siemens-Nixdorf-PC wurde Siemens Fijutsu-PC (die dann noch lange in der Berliner Verwaltung zu bestaunen waren) und dann: Siemens nixmehr PC.
Nach dem Abi war mein größter Wunsch, eine Stelle zur Ausbildung als Software Entwicklerin bei nixdorf zu bekommen. 🤣🤣🤣🤣🤣🤣🤣🤣🤣
Mein Abi hat aber „nur“ für die ARD ausgereicht. 😂😂😂😂😂