Das Jahr geht zu Ende, der Jahresrückblick der Brauseboys kommt. Schon zum 10. Mal lädt die Weddinger Lesebühne für mehrere Wochen in den Comedyclub Kookaburra, um an die wirklich wichtigsten Themen des Jahres mit heiteren Texten und wahnwitzigen Liedern zu erinnern. Für den Weddingweiser fassen sie in diesem Jahr exklusiv die wichtigsten Weddinger Ereignisse zusammen, in die Jahreszeiten unterteilt. Vier Wochen lang jeden Montag.
Herbst 2015
Schutzgebiet Wedding (Heiko Werning)
Der Bezirk Mitte will Teile des Weddings unter Milieuschutz stellen. Die „Berliner Woche“ berichtet: „Bis Ende des Jahres lässt Baustadtrat Carsten Spallek (CDU) jetzt detailliert die beiden Verdachtsgebiete in Moabit und Wedding-Zentrum rund um den Leopoldplatz untersuchen. Bestätigt sich der Verdrängungsdruck, soll eine soziale Erhaltungsverordnung erlassen werden.“ Eine soziale Erhaltungsverordnung! Aber wie genau soll der soziale Erhalt verordnet werden? So: „In solchen Milieuschutzgebieten kann dann der Bezirk zum Beispiel den Einbau von Fußbodenheizungen und Innenkaminen verbieten, oder Hauseigentümer dürfen keinen zweiten Balkon und keine Gästetoilette einbauen.“ Das sollte funktionieren. Keine Fußbodenheizung, keine Gästetoilette – damit sind praktisch alle draußen, die sonst möglicherweise Hartz-IV-Beziehern, Künstlern oder Studierenden den Wohnraum wegschnappen würden. Denn wer will schon in einer Wohnung ohne Innenkamin leben? Und dann auch noch ohne zwei Balkone? Sollen dann demnächst Raucher und Nichtraucher etwa auf demselben Balkon stehen, oder was? Das mag doch niemand seinen Gästen zumuten, erst recht nicht, wenn es nicht einmal eine Gästetoilette gibt. Wenn sie dann auch noch den Einbau von Whirlpools, Heimsaunen und Hubschrauberlandeplätzen auf dem Dach verbieten, bleiben die Weddinger auch in Zukunft ungestört unter sich. Eines jedenfalls muss man Carsten Spallek lassen: Der Mann denkt konsequent Sachverhalte zu Ende. Erst das Müllerstraßenfest verbieten, um die Gegend um den Leopoldplatz aufzuwerten, um dann umgehend eine soziale Erhaltungsverordnung auszurufen – das hat schon etwas von Ying und Yang.
Ich mag das Müllerstraßenfest ja auch nicht. Wenn wir allerdings alles verbieten würden, was ich nicht mag, dann würde die Welt ein wüster und leerer Ort. So wüst und leer, wie es im Kopf von Spallek & Co. offenbar schon lange aussieht. Und das kann doch wirklich niemand wollen.
Leute dissen im La Rosa (Robert Rescue)
Ein junger Mann kommt herein. Er trägt eine von diesen modernen Herrenhandtäschchen.
„Ich hätte gerne eine Pizza Tolu.“
„Tolu?“, fragt der Mann hinter dem Tresen.
„Ja, eine Pizza Tolu oder Todu oder Bolu.“
„Bolu ist auf der anderen Seite“, erwidert der Pizzaverkäufer. „Der türkische Markt. Da gibt es aber keine Pizza.“
„Ich möchte eine Pizza mit Thunfisch“, sagt der junge Mann jetzt irritiert.
Der Verkäufer schaut zu mir und zeigt auf den nun nervösen Kunden.
„Der meint Tonno, oder?“
„Oblo tassak“, sage ich plötzlich in einer Fantasiesprache. „Grog od tu spell, par dus krom balak asopen pele? Bele tok nadu bast fart? (Warum, so frage ich mich, hat der junge Mann mit seinem modernen Herrenhandtäschchen nicht auf die große Speisekarte hinter dir geschaut? Kann seine Generation das nicht mehr?“)
Der Verkäufer nickt zustimmend.
„Sie wollen also eine Pizza Tonno?“, fragt er.
„Ja, irgendwie so“, antwortet der junge Mann und es ist förmlich zu spüren, wie sehr er es bereut, das La Rosa betreten zu haben.
Notizen für ein Väterhilfswerk (Frank Sorge)
Endlich also kann ich erzählen, wie das als Vater so ist: Ich stehe früh auf, trinke fast keinen Alkohol, der Tabakverbrauch ist minimal, ich nehme ‘dönerarme’ Kost zu mir, ich nehme ab. Ich hatte damit gerechnet, dass ich z.B. das Rauchen zeitweilig einstelle, um die Gesundheit der Kinder nicht durch Passivqualm zu gefährden. Aber dass ich sogar anfangen werde, Zigaretten wegen mir selbst wegzulassen, das war eine Überraschung.
Die Zwillinge hatten mich schon nach wenigen Wochen gut erzogen, nach den ersten Monaten fühle ich mich gesund wie nie. Abgesehen von den Gelenkschmerzen, der Übermüdung, den ständigen Erkältungen und der notorischen Abgespanntheit. Wie sie das machen, weiß ich nicht, vielleicht reicht es schon, dass sie sich freuen, mich zu sehen. Oder es reicht schon, dass ich mich freue, sie zu sehen. Dabei hilft es natürlich, wenn man als Vater nicht unter der Erde liegt.
Was aber nicht geht, so sehr ich mich bemühe, ich schaffe es einfach nicht, meinem Mädchen etwas rosafarbenes anzuziehen. Das geschenkte knallrosa T‑Shirt mit dem Aufdruck ‘Love’ muss also mein Sohn tragen. Es steht ihm hervorragend.
Der Herbst des Lebens (Paul Bokowski)
Im rechten Seitenflügel meines Weddinger Wohnhauses, aufgestützt auf ein Kissen am offenen Fenster, steht die Rentnerin Rita Schoblinksy und ruft nach ihrer langjährigen Freundin Herta Kemper aus dem gegenüberliegenden Seitenflügel:
Rita Herta!
Herta Wat’n?
Rita Herta!
Herta Ja, wat’n?
Rita Komm doch ma’ ans Fenster!
Herta Jaja, wat is’n los?
Rita Du Herta, haste schon jelesen?
Herta Wat soll ick’n jelesen haben?
Rita Die neue Apothekenumschau!
Herta Nee!
Rita Da geht’s ‘grad um Patientenverfügung.
Herta Aha.
Rita Haste sowat?
Herta Nee. Aber sowat ähnlichet.
Rita Wat denn?
Herta ‘Nen Strick, Rita!
Sätze über den Wedding, die ich immer noch mal gerne in einen Roman einbauen würde, bislang aber leider noch keine Möglichkeit dazu hatte (Volker Surmann)
Und plötzlich brach die Sonne aus den dunklen Wolken über dem Wedding hervor, ein brennendes Oval, das zur Putlitzbrücke blinzelte wie das Auge Saurons.
2015 – ein Jahr zum Davonlaufen. Kann man darüber einen unterhaltsamen Rückblick machen? Die Brauseboys sind sich sicher: „Wir schaffen das!“
‘Auf Nimmerwiedersehen 2015 – Das Jahr ist voll’ ist der 10. Jahresrückblick der Brauseboys. Am 15.12. war die Premiere, aktuell geht es täglich weiter bis 3.1., und dann noch bis zum 9.1.2016. Reservierung und Vorverkauf über www.comedyclub.de – Weitere Informationen auch über www.brauseboys.de