Was macht Demokratie aus, nach welchen Werten möchten wir (auch im Wedding) zusammenleben? Mit unserer Demokratie-Kolumne wollen wir diesen und weiteren Fragen ab sofort einmal im Monat nachgehen. Unser Partner dabei ist das Projekt "Demokratie in der Mitte" aus dem Soldiner Kiez.
Liebe Weddingweiser-Lesecommunity!
Ich freue mich sehr, dass wir von Demokratie in der Mitte ab sofort einmal im Monat eine Demokratie-Kolumne für den Weddingweiser schreiben dürfen.
Demokratie in der Mitte ist eine Fachstelle für Demokratie-Entwicklung und diskriminierungskritischer Arbeit, angesiedelt in der Fabrik Osloer Straße e.V. Mehr zu uns und unseren Angeboten findet ihr auf unserer Webseite www.demokratie-in-der-mitte.de. Ich arbeite seit 2014 bei Demokratie in der Mitte und kenne den Wedding nun seit zehn Jahren. Von Anfang an habe ich hier viele beeindruckende Initiativen, Vereine und Engagierte kennen und schätzen gelernt, ohne die unsere Arbeit nicht möglich wäre. Einige davon haben sich im Bündnis „Zusammen gegen Rassismus – Moabit & Wedding“ zusammengeschlossen, von dem ich heute berichten möchte.
Manche von Euch kennen vielleicht das Logo des Bündnisses, welches vor allem im März während der Internationalen Wochen gegen Rassismus an vielen Stellen im Bezirk sichtbar ist. Seit 2017 finden unter diesem Logo viele verschiedene Veranstaltungen und Aktivitäten unterschiedlichster Partner:innen statt. Der Weddingweiser berichtet seit vielen Jahren ausführlich über die Aktivitäten. Wie kam es aber zu der Idee gemeinsam mit einem Programmheft gegen Rassismus aktiv und sichtbar zu sein? Wie hat sich die Arbeit seither entwickelt? Und welches Verständnis von Rassismus liegt der Arbeit zugrunde? Vorrausgeschickt sei, dass ich selber keinen Rassismus erfahre, als Frau und erste Akademikerin in meiner Familie erlebe ich Sexismus und Klassismus, aber beim Thema Rassismus bin ich privilegiert.
Der Kampf gegen Vorurteile
Seit im Zuge des Krieges in Syrien viele Geflüchtete auch Deutschland erreichten, kam es nicht nur zu großer Solidarität, sondern vermehrt auch zu Übergriffen auf Unterkünfte von Geflüchteten und zu tätlichen Angriffen gegenüber Menschen, die als muslimisch wahrgenommen wurden. Viele Menschen berichteten von rassistischen Debatten in ihren Freundes- und Familienkreisen, denen sie etwas entgegensetzen wollten. Geflüchtete aus Syrien hätten angeblich viel Geld, wollten aber trotzdem unser Sozialsystem ausnutzen, so eine häufige Behauptung. Muslimische Männer seien gewalttätig gegenüber Frauen, so eine Andere. Hinter diesen Aussagen, die durch keine Studien zu belegen sind, stecken abwertende, gewaltvolle Vorurteile gegenüber einer ganzen Gruppe von Menschen.
Engagierte wollten durch Aufklärungs-, Sensibilisierungs- oder Begegnungsprojekten diesen pauschalisierenden Behauptungen, die negative Auswirkungen auf unser aller Zusammenleben haben, etwas entgegensetzen. Durch das Bündeln der einzelnen Aktivitäten wollten wir das Engagement der einzelnen Menschen und Organisationen stärken und sichtbar machen. Seit Beginn sind bei "Zusammen gegen Rassismus" Menschen gemeinsam aktiv, die unterschiedlich im rassistischen System positioniert sind. People of Color (PoC)1, die im rassistischen System zur abgewerteten – diskriminierten - Gruppe gehören und Personen, deren Zugehörigkeit qua Herkunft, Religion oder Hautfarbe im rassistischen System aufgewertet ist. Denn wo eine Gruppe abgewertet wird, erfährt die andere Gruppe gleichzeitig Aufwertung. Wenn eine Gruppe zum Beispiel als gewalttätig gegenüber Frauen beschrieben wird und dies als Unterscheidungsmerkmal dient, dann muss die andere Gruppe zwangsläufig friedlich gegenüber Frauen sein, selbst wenn dies nicht direkt so formuliert wird.
Wenn wir uns aber die Zahlen von sexueller Gewalt in Deutschland ansehen, nach denen jeden dritten Tag eine Frau durch häusliche Gewalt stirbt und jede dritte Frau einmal in ihrem Leben physische oder sexualisierte Gewalt erfährt, sehen wir, dass Gewalt gegenüber Frauen ein gesamtgesellschaftliches Problem ist, welches nicht einer Gruppe von Männern zugeordnet werden kann. Trotzdem oder gerade deswegen sind rassistische Bilder und Erzählungen überall präsent.
Rassismuskritische Arbeit besteht zu einem großen Teil aus Selbstreflektion. Bei Menschen, die nicht von Rassismus betroffen sind, geht es darum anzuerkennen, dass sie vielleicht eine Wohnung oder eine Arbeit bekommen haben, nicht weil sie besser sind, sondern weil sie eine Hautfarbe oder Herkunft haben, die nicht mit negativen Bildern verbunden sind. Es geht bei Rassismus also auch um Privilegien und Macht und den Erhalt derselben.
Selbstreflektion im Bündnis
Es gibt viele Gruppen und Einzelpersonen, die auf dieses System aufmerksam machen möchten. Jedes Jahr fanden zum Teil fast 60 Veranstaltungen während der Aktionswochen statt. Seit 2019 haben sich die Akteur:innen der Aktionswochen zu einem Bündnis zusammengeschlossen und sich selber ein Leitbild gegeben. Im letzten Jahr wurden zwei Aktionstage gemeinsam gestaltet, um mehr Austausch und Begegnung innerhalb des Bündnisses zu erreichen. In diesem Jahr fand ein rassismuskritischer Workshop für die Bündnismitglieder statt. Wir verbrachten den Tag in zwei verschiedenen Workshops, einmal für Bündnismitglieder, die von Rassismus betroffen sind und einmal für Bündnismitglieder, die von rassistischen Strukturen profitieren. In einem zweiten Schritt wollen wir die Erkenntnisse zusammentragen für unsere weitere Arbeit. Wir lernen getrennt und miteinander und geben unsere Erfahrungen weiter. Und nicht nur während der Internationalen Wochen gegen Rassismus, sondern am besten an jedem einzelnen Tag.
Wer mehr zum Thema Rassismus und seiner Verwobenheit mit anderen Diskriminierungsformen lesen möchte, dem möchte ich die Bücher „Der weiße Fleck“ von Mohamed Amjahid und „Frenemies. Antisemitismus, Rassismus und ihre Kritiker*innen“ von Meron Mendel, Saba-Nur Cheema und Sina Arnold (Hg.) empfehlen.
Text: Bettina Pinzl von Demokratie in der Mitte
1 People of Color (PoC), auch BPoC (Black and People of Color) oder BIPoC (Black, Indigenous, and People of Color), ist ein Begriff aus dem anglo-amerikanischen Raum.
Rassismus gehört doch offensichtlich zur Demokratie. Toleranz heißt etwas aushalten, was man nicht leiden kann.
Mit der gleichen Argumentation könnte man auch sagen: Mord gehört zur Demokratie. Oder Regenwetter. So wie wir Mord nicht hinnehmen, sollten wir Menschenfeindlichkeit jeder Art in einer demokratischen Gesellschaft ablehnen. Die Handlungsmaximen von Toleranz sind nämlich Akzeptanz, Anerkennung und Respekt. Das widerspricht dem Rassismus, denn er ist per se ausgrenzend. Rassismus und Toleranz passen also nicht zusammen - weder in die eine, noch in die andere Richtung.
Der Kulturhof Koloniestraße10 ist ein Ort der kulturellen Vielfalt im Wedding. Solche Orte gilt es zu erhalten.