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Tankstellen im Wedding:
Mehr als Benzin und Bockwurst

Kultorte des Karbon-Zeitalters: Wo es Tankstellen noch mitten im Berliner Wedding gibt - und was typisch für sie ist
Inzwi­schen Geschich­te: Tank­stel­le Mül­ler-/Ecke Antonstraße

Ooo­ops! Wie­der eine weni­ger. Die Tank­stel­le neben dem Auto­ma­ten­ca­si­no an der Anton- Ecke Mül­lerstra­ße ist bereits geschlos­sen, das Haus, in deren Unter­ge­schoss sie sich ver­steck­te, wird saniert und umge­baut. Höchs­te Zeit, die Orte im Wed­ding zu wür­di­gen, die län­ger auf haben als jeder Späti, die nachts hel­ler strah­len als jeder Leucht­turm und die immer mehr waren als Orte für Ben­zin und Bockwurst. 

Wenn in Ber­lin eine Tank­stel­le schließt, weint ihr kei­ner eine Trä­ne nach. Beson­ders wenn es so eine häss­li­che war wie die Tan­ke Mül­ler- Ecke Anton­stra­ße. Aber geht nicht mit jeder Zapf­säu­le und mit jedem leuch­ten­den Neon­schild auch ein Stück Groß­stadt­le­ben ver­lo­ren? Die Ber­li­ner Tank­stel­len waren der Beginn des Kults um die­se zeit- und ort­lo­sen Oasen der moder­nen Rei­sen­den, der her­um­ir­ren­den See­len, die in sich in der Nacht tref­fen und danach wei­ter ihrer Wege zie­hen. Im Film „Die Drei von der Tank­stel­le“ von 1930 spie­len Lili­an Har­vey und Heinz Rüh­mann mit und die Tan­ke in der Pots­da­mer Chaus­see, die es heu­te noch gibt, wird zum Schau­platz von Lie­be, Sehn­sucht und ande­ren Dra­men. Wer im Wed­ding noch eine Tank­stel­le aus die­ser Zeit sehen will, kann einen Blick in den Hin­ter­hof der Mül­lerstra­ße 114 wagen.

Foto: Rolf Fischer

Spä­ter taten die ame­ri­ka­ni­schen Road-Movies ihr Übri­ges dazu, um die Tank­stel­le zum Sehn­suchts­ort zu machen und Edward Hop­per mal­te mit sei­ner ein­sa­men „Gas Sta­ti­on“ eine Iko­ne des auto­mo­bi­len Lebens. Von der eins­ti­gen Ele­ganz und Magie ist wenig geblie­ben. Heu­te steu­ern Auto­fah­rer eine Tank­stel­le an, wenn der Sprit zur Nei­ge geht. Statt auf ele­gan­tes Design und zuvor­kom­men­den Ser­vice durch Tank­war­te set­zen die Tank­stel­len heut­zu­ta­ge eher dar­auf, ihre Kun­den mit kla­ren Far­ben, hel­len Lam­pen und mög­lichst gro­ßen Prei­san­zei­gen anzulocken. 

ARAL, Brun­nen­stra­ße, Foto. Samu­el Orsenne

Auch in einem so dicht besie­del­ten Stadt­teil wie dem Wed­ding haben ein paar die­ser Sta­tio­nen das gro­ße Tank­stel­len­ster­ben über­lebt – und zumin­dest, bis Ver­bren­ner­mo­to­ren aus dem Stra­ßen­bild ver­schwin­den wer­den sie auch noch wei­ter machen. Im Wed­ding rei­hen sie sich auf den brei­ten Zubrin­ger­stra­ßen auf, wie Per­len auf einer Ket­te. Auf der Mül­lerstra­ße zur A 100 und der See­stra­ße und rund um den Kut­schi Rich­tung A 111. 

Shell, Grüntaler/Bornholmer/Jülicher Str. Foto: Samu­el Orsenne

Bis in die 90er waren Tank­stel­len in vie­len Städ­ten noch aus einem ande­ren Grund ein Treff­punkt für Nacht­schwär­mer und Früh­auf­ste­her. Sie waren die ein­zi­gen Orte, wo man nachts Bier und sonn­tags Bröt­chen kau­fen konn­te. Das Prin­zip der Auf­back­bröt­chen, heu­te fast über­all Stan­dard, wur­de ver­mut­lich zuerst für die Tank­stel­len erfun­den, bevor es auch die klei­nen Bäcke­rei­en und die Super­märk­te für sich über­nom­men haben. Oder wer kennt nicht die Bock­wurst aus der Tank­stel­le, die zum Snack-Ange­bot der zu Mini-Super­märk­ten mutier­ten Kios­ke neben den Zapf­säu­len ein­fach dazugehört? 

Manch­mal sind sie es doch noch: Tank­stel­len als sozia­le Treffpunkte.

In Ber­lin hat die Kund­schaft der Tan­ken oft gar kein Auto, freut sich aber über die 24/7‑Verfügbarkeit, die Mög­lich­keit, Geld abzu­he­ben oder ein­fach nur bequem die Rei­fen des Fahr­rads auf­zu­pum­pen. Man­che Tank­stel­len haben auch noch Extra-Dienst­leis­tun­gen wie SB-Wasch­stra­ßen (bft Kap­weg, Aral See­stra­ße ), Werk­stät­ten (Shell Prin­zen­al­lee) oder Mini-Super­märk­te (Aral, Brunnenstraße). 

Und wer am Sams­tag­mor­gen eine Tan­ke mit Wasch­stra­ße besucht, kann erle­ben, dass sich hier ein Ort für männ­li­che Gesel­lig­keit erhal­ten hat. Gedul­dig wird hier gesprüht, gesaugt und gewie­nert. Hier leben die Besit­zer prot­zi­ger Chrom-Boli­den und peni­ble Golf­fah­rer in fried­li­cher Kooexis­tenz. Sie alle ver­bin­det die Lie­be zum strah­len­den Blech.

Im Wed­ding waren die Tank­stel­len auf ihre wich­tigs­te Funk­ti­on beschränkt: Ser­vice für Auto­fah­rer. Es gibt vor allem Filia­len der gro­ßen Ket­ten (die man im Bran­chen­jar­gon die A‑Gesellschaften nennt). 

Nur eine freie Tank­stel­le („bft“ am Kap­weg, neben Bau­haus) hat ganz am Rand des Wed­ding noch eine Filia­le. Die ARAL an der See­stra­ße ist die ers­te nach der Stadt­au­to­bahn (oder die letz­te vor dem Stadt­ring, je nach­dem). Eine wei­te­re ARAL befin­det sich in der Mit­te des Brun­nen­vier­tels. In Gesund­brun­nen gibt es gleich zwei Shell-Tank­stel­len an Stra­ßen­ecken – eine an der Prin­zen­al­lee Ecke Bel­ler­mann­stra­ße, die ande­re an der Jüli­cher Straße/Bornholmer Stra­ße. Für die HEM-Tank­stel­le an der Mül­ler-/Ly­n­ar­stra­ße sind die letz­ten Tage gezählt – für das Grund­stück wur­de ein Bau­an­trag gestellt. Dann gab es bis vor kur­zem noch eine über­bau­te Shell-Tank­stel­le an der Mül­lerstra­ße Ecke Anton­stra­ße – im Erd­ge­schoss eines häss­li­chen Beton­klot­zes. An der Resi­denz­stra­ße Ecke Han­sa­stra­ße, fast in Rei­ni­cken­dorf, gibt es eine sprint-Tankstelle. 

HEM, Mül­lerstra­ße

Wohl nur für Bus­se gibt es die Betrieb­s­t­ank­stel­le der BVG auf dem Bus­be­triebs­hof Mül­lerstra­ße. Aber auch die Poli­zei ver­fügt über eine eige­ne Tank­stel­le am Abschnitt 18 in der Pankstraße.

Gleich angren­zend an den Wed­ding gibt es noch inter­es­san­te Tank­stel­len zu ent­de­cken: An der Chausseestraße/Liesenstraße wur­de eine Total-Tank­stel­le genau auf den Mau­er­strei­fen gestellt. Dort war bis 1990 eine Grenz­über­gangs­stel­le. Und eine hüb­sche klei­ne (ehe­ma­li­ge) Tank­stel­le fin­det sich in der Rei­ni­cken­dor­fer Hausot­ter­str. 52 Ecke Pro­vinz­stra­ße, typisch für die vie­len klei­nen Tank­stel­len, von denen es im Wed­ding kei­ne mehr gibt. Denn ins­ge­samt wer­den es immer weni­ger Tank­stel­len: Die letz­te, die ver­schwun­den ist, befand sich an der Luxem­bur­ger Ecke Gen­ter Stra­ße, wo sich zuletzt ein Geträn­ke­markt befand und jetzt ein Wohn­haus entsteht. 

Shell, Prin­zen­al­lee

Ob es in 20 Jah­ren auch noch – so vie­le – Tank­stel­len im Wed­ding gibt? Wir sind gespannt. 

Für Hin­wei­se, wo sich frü­her Tank­stel­len befun­den haben, wären wir sehr dankbar. 

Die Fotos für die­sen Bei­trag stam­men, wenn nicht anders ange­ge­ben, von Til­man Vog­ler.

weddingweiserredaktion

Die ehrenamtliche Redaktion besteht aus mehreren Mitgliedern. Wir als Weddingerinnen oder Weddinger schreiben für unseren Kiez.

5 Comments Leave a Reply

  1. Was ist eigent­lich aus der Tank­stel­le See­stra­ße Ecke Beus­sel­stra­ße gewor­den, bzw. war­um wur­de die geschlos­sen und abgerissen?

  2. Shell Tank­stel­le Anton­stras­se Mül­lerstr gibt es seit den spä­ten 70 und war Mal der Treff­punkt von Ame­ri­ka­ni­schen Mus­cle Cars in den frü­hen 80ern. Ich habe sel­ber in der Antonstr mei­ne Kind­heit ver­bracht und war im Som­mer immer wie­der fas­zi­niert, wenn die Lila Cama­ros und Knall­grü­nen Dodge Chal­len­ger mit Halb­star­ken Mer­ce­des SEC zum Plausch trafen.
    Frü­her war an der Ecke Utrechterstr/Müllerstr jetzt Isbank eine Tankstelle
    Vie­len Dank für die­sen exzel­len­ten Artikel

  3. Knapp aus­ser­halb des Wed­ding hat nun auch die Total-Tan­ke an der Hei­de­stras­se nach weni­gen Jah­ren wie­der geschlos­sen und wird anschei­nend rückgebaut…

    • Wir haben das bei Shell ange­fragt. Das Unter­neh­men woll­te unse­re Fra­ge nicht beant­wor­ten. Dazu gebe es noch Gespräche.

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