Die Ausstellung „120 Jahre Stephanuskirche“ eröffnet am Freitag, den 27. September, um 19.00 Uhr in der Galerie Prima Center Berlin in der Biesentaler Str. 24 im Soldiner Kiez. Mit einem Musikprogramm von Sun Komarova und Kabarett startet ein Programm bis zum Samstag, den 12. Oktober. Fünf Vorträge zur Geschichte der Kiezkirche und den Figuren aus ihrer Bilderwelt ergänzen die Schau. Neben dem Jubiläum verdient die Stephanuskirche besondere Aufmerksamkeit, weil Renovierungen anstehen und sich die Frage nach einer nichtsakralen Nutzung stellt.
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Die Ausstellung zum 120-jährigen Bestehen der Stephanuskirche läuft auf eine herbe Erkenntnis zu: Die Kirchengemeinde an der Panke wusste das Kleinod im Soldiner Kiez nicht wirklich zu schätzen. Wohl gerade deshalb wehren ihre Vertreter:innen noch heute das Interesse an dem Bauwerk und seiner zukünftigen Nutzung über den Gottesdienst hinaus schnell als unerwünscht ab und bestehen auf ihren Rechten als Eigentümer.
Überlegungen von außerhalb des Gemeindekirchenrates und der Offiziellen werden mit Floskeln abgewehrt. Dabei besagt ein „Zerbrechen Sie sich nicht unseren Kopf“ keineswegs, dass die vermeintlich Zuständigen irgendeinen Plan hätten, was aus dem Gotteshaus werden soll. Als solches ist es nämlich nicht weiter finanzierbar. Die Stephanuskirche braucht weitere Nutzungen, die zum Erhalt auch finanziell beitragen. Die Hauptkirche der Gemeinde ist nämlich St. Paul an der Badstraße. Dort finden die Gottesdienste und das Gemeindeleben statt. Nach der Vereinigung von drei Gemeinden zur heutigen Kirche an der Panke mit etwa 3.000 Mitgliedern im Jahr 2007 wurde die Martin-Luther-Kirche an der Wollankstraße abgerissen, mit der denkmalgeschützten Stephanuskirche wusste man nicht so recht was anzufangen. Denn für das Gemeindeleben genügen bisher St. Paul und das Gemeindezentrum an der Badstraße auch nach der Vereinigung vollends.
Links: St. Paulskirche
Zwar steht jetzt für 2025 die überfällige Renovierung von Dach und Außenhaut an, aber die Zuschüsse für die Innensanierung, wo aufgrund eines Wasserschadens der Putz vom Gewölbe bröselt, drohen zu verfallen: Die Kirchengemeinde hat in den letzten 15 Jahren weder eine eigene Idee für eine Verwendung der Kirche über den Gottesdienst hinaus entwickelt, noch eine:n Partner:in gefunden, der:die die Stephanuskirche ausbauen will. Dementsprechend kann der Antrag bei der Bundesbeauftragten für Kultur zur Renovierung der Innenräume kaum noch rechtzeitig gestellt werden. Unter der Hand hoffen manche im Gemeindekirchenrat und im zuständigen Ausschuss, der Staat oder die Landeskirche werde schon wieder Geld rausrücken, wenn sich die Gelegenheit zur Innenrenovierung biete.
Die Ausstellung spricht in dem Teil, der sich der jüngsten Geschichte der Stephanuskirche widmet, von einem „Hauch von Schilda“ bei der Kirchengemeinde an der Panke. Man muss einschieben, dass mehrfach schon zum Neuanfang geblasen wurde, allerdings ohne die Altlasten aufzuarbeiten. Es kam dann gerade wegen der guten Vorsätze, deren Beschwörung die notwendige Fehleranalyse verdrängten und die Ernsthaftigkeit der Ratschläge von Kundigen relativierten, immer wieder zu kleineren und größeren Pannen. Sich seiner guten Absichten zu versichern, ist halt noch keine Fehlerkultur.
Die Initiative Denkmal Stephanuskirche will mit ihrer Ausstellung den Blick auf die Denkwürdigkeit der Kirche öffnen, aber auch die Diskussion über die zukünftige Nutzung anregen. Es besteht daher die Möglichkeit, am Ort der Schau seine Gedanken dazu zu hinterlassen. Von der Pfarrerin Johanna Hestermann hatte es zu dem Ansinnen, Vorschläge aus der Bevölkerung einzuholen, geheißen, man wolle keine unerfüllbaren Erwartungen schüren.
Fotos: Initiative Stephanuskirche
Kirchen-Ausstellung findet außerhalb der Kirche statt
Dass die Ausstellung zur Stephanuskirche nicht in den Räumen der Gemeinde stattfindet, mag angesichts der Geisteshaltung in der Gemeinde an der Panke nur ein kleiner Fauxpas sein. Jedenfalls hatte die Initiative Denkmal Stephanuskirche im Frühjahr 2024 um Obdach gebeten und die ehrenamtliche Erarbeitung und Gestaltung der Ausstellung angeboten, aber eine Absage erhalten, ohne schriftliche Begründung und ohne Gelegenheit zur Aussprache. Auch der Bürgerverein Soldiner Kiez e.V., inzwischen eng verbunden mit der Ausstellungsinitiative, hatte keine verlässlichen Ansprechpartner:innen in der Kirchengemeinde gefunden. Offensichtlich will man sich nicht reinreden lassen und scheut daher jedes Aufsehen. Die Initiative hat mit dem Prima Center Berlin eine Alternative zu kirchlichen Räumen gefunden und sich schließlich dazu entschlossen, dass auch der Umgang der Kirchengemeinde an der Panke mit ihrem kaum noch benutzten Gotteshaus von allgemeinem Interesse ist.
Besonderes Augenmerk auf Architektur und Kunst
Der Schwerpunkt der Ausstellung blieb trotz der Absage der Kirchengemeinde bei der Architektur und den Bildwerken der Stephanuskirche. Da das Gotteshaus aufgrund besagten Wasserschadens seit Anfang des Jahres nicht betreten werden kann, ergab sich die Notwendigkeit vor allem das Innere der Kirche mit Fotografien und Skizzen abzubilden. Wenig beachtet wurden bisher die zahlreichen Pflanzenornamente in der Kirche. Sie beziehen sich einerseits auf die Bibel und die Flora im Heiligen Land, zum anderen auf ausdrücklich mitteleuropäische Bäume und Kräuter. So wird vom Wein am Tisch des Herren ein Bogen bis zur deutschen Eiche und dem ewigen Efeu geschlagen. Die Darbietung des Zierwerks in der Ausstellung hat etwas Spielerisches und verrät neben der kulturwissenschaftlichen Recherche Liebe zur Pflanzenwelt und einige botanische Kenntnis.
Das Bildprogramm der Stephanuskirche bestand ursprünglich aus 16 heiligen Männern. Sechs davon sind als etwa drei Meter hohe Statuen gut erhalten. Sie stehen auf vorgemauerten Säulen hoch über den Emporen, beschirmt durch einen steinernen Baldachin, der mittelalterlich anmutet. Ein solches Figurenensemble ist nach Recherchen der Initiative einmalig in den Berliner Gründerzeitkirchen. Die dargestellten Personen verbindet ein innerer Zusammenhang, der den preußisch-deutschen Protestantismus bis zu den Aposteln Petrus und Paulus und schließlich zum Jesus auf dem Altar zurückverlängert. Es wird damit eine Gleichursprünglichkeit mit dem Katholizismus behauptet. Vielleicht auch eine moralische Überlegenheit, so mit den Bildnissen der Vor- und Frühreformatoren Petrus Waldus und Jan Hus, beides mittelalterliche Kritiker der katholischen Kirche.
Mit Vorträgen zum angeblichen Bekehrer der Germanen, Bonifatius, und den im Armutsstreit um 1200 engagierten Petrus Waldus knüpft die Vortragsreihe im Rahmen der Ausstellung an dieses Bildprogramm an. Außerdem zeigt Ralf Schmiedecke Postkarten und Bilder aus den 120 Jahren Geschichte der Stephanuskirche. Die Rolle der Kaiseringemahlin Auguste Victoria bei der Erbauung der Kirche im Soldiner Kiez beleuchtet Diana Schaal. Dabei erfährt man, wie die Monarchin mit ihrem Engagement bei rund 40 weiteren Kirchen zum Titel der „Kirchenjuste“ kam.
Die Initiative Denkmal Stephanuskirche grub eine weitere Besonderheit beim Bildprogramm aus. Eine der großen Statuen stellt Friedrich Schleiermacher dar. Der Theologe und Philosoph aus der Zeit unmittelbar nach 1800 war zu seinen Lebzeiten einer der führenden Intellektuellen. Er setzte sich mit dem Atheismus auseinander, gestaltete die Vereinigung von Reformierten und Lutheranern in Preußen mit, verlangte vom König eine Verfassung und wurde deshalb bespitzelt und stritt mit dem Oberphilosophen und Vernunftpapst Hegel über die Rolle von Verstand und Gefühl im Glauben. Immer wieder war der sogenannte „Kirchenvater des 19. Jahrhunderts“ bei in ihrer Zeit fortschrittlichen Christen einigermaßen beliebt.
Erwartungsgemäß kommt so ein Flaggschiff der Gegenströmung zu den im Kaiserhaus beliebten Konservativen nicht ohne weiteres in eine wilhelminische Kirche. Nur wenn die Mutterkirche ausgesprochen liberal war, konnte sie einen Schleiermacher im Bildprogramm ihrer Tochterkirche durchsetzen. Nur in zwei weiteren Gründerzeitkirchen war er noch dargestellt. In der Epiphanienkirche in Charlottenburg zersprangen die Glasmalereien mit seinem Bild im Zweiten Weltkrieg, in der Nathanaelkirche in Schöneberg wurde das Bild in den 1950ern übermalt. Der Soldiner Kiez hat in seiner Kirche also die letzte sichtbare Schleiermacher-Darstellung aus dem Berlin der Gründerzeit.
Die Architektur der Stephanuskirche ist dagegen typisch Gründerzeit. Außen sehen diese Kirchen romanisch oder gotisch aus, innen sind sie aber „ganz schön 1900“, wie es in der Ausstellung heißt. Die äußerlichen Strebepfeiler der Stephanuskirche sind im Grunde ein Bluff. Statt auf Säulen ruht das große 22 Meter hohe zentrale Gewölbe auf vier durchbrochenen Wänden, die ein Quadrat bilden. Selbst wenn man das für weniger elegant hält als eine langgestreckte Hallenkirche, hat es einen Vorteil: Es ist recht stabil, auch wenn es reinregnet. Die Stephanuskirche wird also nicht zusammenbrechen, wie das manche im Kiez schon unkten. Sie wird der Kirchengemeinde an der Panke vielmehr noch einige Zeit erhalten bleiben. Daran wird auch die nächste Fusionswelle nichts ändern. Denn nun soll schon bald St. Paul mit der Versöhnungskirche und der Kirchengemeinde am Humboldthain zu einer Großgemeinde Gesundbrunnen vereinigt werden. Bereits 2025 soll es einen gemeinsamen Gemeinderat aus allen bisherigen Vertreter:innen geben. Es heißt, dass man bei den anderen Gemeinden über die Stephanuskirche als teures Mitbringsel aus der Pankegemeinde nicht sehr glücklich ist. Es gilt also weiter, eine Nutzung für das Gotteshaus zu finden, die zumindest einen guten Teil ihrer Kosten und Rücklagen finanziert. Offen bleibt, ob die Kirchengemeinde Gesundbrunnen dabei an der abwehrenden Haltung gegenüber der Nachbarschaft etwas ändern wird – oder eben weiter auf dem Eigenwillen eines unwürdigen Eigentümers besteht.
Autor: Thomas Kilian. Weiteres unter: https://soldinerkiezverein.de/
Infos zur Ausstellung
Die Ausstellung findet statt im Projektraum der Kolonie Wedding Prima Center Berlin, Biesentaler Str. 24
Öffnungszeiten vom 27.9. bis zum 12.10.2024: Mo. – Do.: 17.00 – 21.00 Uhr, Fr./Sa.: 19.00 – 23.00 Uhr
So./Feiertag: 15.00 ‑19.00 Uhr und nach Vereinbarung
Feierliche Eröffnung mit Live-Musik & Überraschungsgast:
Fr., 27.9.2024, 19.00 Uhr
Finissage mit interkultureller Disco: Sa.12.10., 19.00 Uhr
Lichtbild-Vorträge – jeweils 19:00 Uhr im Prima Center Berlin:
Mittwoch, 2. Oktober, 19 Uhr: Aufsässige Armut. Heilswege im Mittelalter, Lichtbildvortrag mit Thomas Kilian
Samstag, 5. Oktober, 19 Uhr: Die Kirchenjuste. Die Kaiserin und das Kirchenbauprogramm, Lichtbildvortrag mit Diana Schaal
Sonntag, 6. Oktober , 19 Uhr: 120 Jahre Stephanuskirche – Historische Ansichten, Lichtbildvortrag mit Ralf Schmiedecke
Freitag, 11. Oktober , 19 Uhr: Bonifatius und die Christianisierung der Germanen, Lichtbildvortrag mit Diana Schaal
Samstag, 12. Oktober, 19 Uhr: Finissage mit Interkultureller Disko
Es war schon einmal anders herum, was die Qualitäten der Kirchbauten und deren Pflege und Ausbau anging: “… Die erzkonservative Amtskirche blieb schwerfällig, wusste nicht, mit den sozialen Herausforderungen der Zeit umzugehen. Für die wenigen Ortsgemeinden entwickelte sich das rasant zum Problem. Ein Pfarrer musste sich in manchen Fällen um 100 000 Gemeindeglieder kümmern und die Kirchen waren. …” Quelle https://www.evangelische-zeitung.de/auguste-victoria-eine-kaiserin-im-kirchenbaufieber (08.9.23)
Meine Eltern haben dort geheiratet, ich selbst wurde dort konfirmiert. Das Gebäude, ein protziges Design-Artefakt des Historismus. Im Einzugsbereich leben kaum noch Christen, geschweige denn Kirchgänger. Erst gingen die Steuersparer, dann die Gewohnheitsatheisten, nun geht die Substanz, der harte Kern der Wertkonservativen, jene die die Politik der EKD nicht mehr ertragen können. Ich würde vaforisieren, die Stephanuskirche dem Verfall preiszugeben, die Ruine als sichtbarer Ausdruck der inneren Verfaßtheit der EKD und ihrer Mitglieder. Ich selbst bin noch Mitglied der EKD, weil Protestantismus über 500 Jahre Teil meiner historischen Existenz ist, Gottesdienste besuche ich längst nicht mehr.