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Performance zwischen Wachen und Schlafen:
Traumjagd in den Uferstudios

25. April 2023

Bewusst­sein und Unter­be­wusst­sein. Nacht­wan­deln. Traum­tan­zen. Licht und Dun­kel­heit. Schat­ten. Mot­ten flie­gen zum Licht. Plötz­li­ches Auf­schre­cken. Schnel­ler Atem. Das Herz pocht. Mit der Tanz­per­for­mance „SLEEPING BEAUTIES – CHASING GHOSTS“ wur­de am 31.03. in den Ufer­stu­di­os zu einer For­schungs­rei­se in die Zwi­schen­wel­ten von Wachen und Schla­fen, in die Sphä­re zwi­schen Rea­li­tät und Traum, eingeladen.

Sechs Tänzer*innen bewe­gen sich in einem Raum. Sie wer­den durch klei­ne Licht­punk­te, die neben ihnen, in ihren eige­nen Hän­den oder von einer ande­ren Per­son ver­wal­tet wer­den, beleuch­tet. Alle Tan­zen­den haben ein sol­ches mal hel­les, mal gedimm­tes, mal flim­mern­des Licht bei sich. Es gibt kei­ne wei­te­re Beleuchtung.


Die wei­ßen Wän­de ermög­li­chen es, die Tanz­be­we­gun­gen zwei­fach visu­ell zu erle­ben. Zum einen als wirk­li­che Bewe­gung im Raum und zum ande­ren als Sche­ren­schnitt, als Schat­ten an die Wand pro­ji­ziert und wahl­wei­se ver­grö­ßert, aber immer abs­tra­hiert. Die­se zwei Arten der visu­el­len Ver­mitt­lung machen die Dua­lis­men von Tag und Nacht, von hell und dun­kel, von Rea­li­tät und Traum phy­sisch erleb­bar. Durch das Spiel mit Schat­ten und Licht wird die Insze­nie­rung der Kör­per und ihrer Bewe­gun­gen in unter­schied­li­che Grö­ßen­ver­hält­nis­sen mög­lich. Die Schat­ten auf den wei­ßen Wän­den stel­len neue Bezie­hun­gen zwi­schen den Kör­pern her, die die rea­len Abstän­de und Ver­hält­nis­se ent­frem­den und abwan­deln. Schat­ten tan­zen mit­ein­an­der, obwohl die rea­len phy­si­schen Kör­per weit von­ein­an­der ent­fernt sind und ihre Bewe­gun­gen kei­nen direk­ten Bezug auf­ein­an­der neh­men.
Um die­ses Span­nungs­ver­hält­nis zwi­schen tat­säch­li­cher Bewe­gung und Schat­ten­be­we­gung aus­gie­big erkun­den zu kön­nen, sind die Zuschau­en­den dazu auf­ge­ru­fen, sich frei im Raum, um die Tan­zen­den her­um, zu bewe­gen und ihre Posi­ti­on zu ver­än­dern. Büh­ne und Zuschau­er­raum ver­schmel­zen mit­ein­an­der und Men­schen aus dem Publi­kum wer­den zu Schat­ten an den Wän­den und damit zum Teil der Per­for­mance, wenn sie ins Licht gera­ten, wenn sie sich den Tan­zen­den nähern. Durch die­se For­schungs­ein­la­dung wird auch hier ein Dua­lis­mus the­ma­ti­siert und über­wun­den, luzi­des Träu­men, Anteil­nah­me und Mit­ge­stal­tung, sind mög­lich. Zu Anfang liegt eine Taschen­lam­pe neben jeder per­for­men­den Per­son. Den Taschen­lam­pen gleich lie­gen zu Beginn alle Tänzer*innen auf dem Rücken auf dem Boden. Ins­be­son­de­re die Hän­de wer­den vom Schein der Taschen­lam­pe beleuch­tet, aber auch jeweils eine Kör­per­sei­te. Die Kör­per lie­gen still auf dem Boden, die Bei­ne und Arme sind aus­ge­streckt. Lang­sam erfas­sen Bewe­gun­gen die Glied­ma­ßen, wel­len­ar­tig wogen sie mit der Musik vor­erst im Lie­gen auf der Stel­le durch die Tan­zen­den; die Bei­ne span­nen sich an, Bewe­gun­gen rol­len lang­sam von den Fuß­soh­len zum Kopf, heben auf hal­ber Stre­cke das Becken und den Brust­korb, las­sen den Kör­per wie­der los, der wie­der auf den Boden sackt und erschlafft. Mit die­sen Wel­len­be­we­gun­gen erhe­ben sich schließ­lich die Kör­per, die immer auf­brau­sen­der wer­den­den Wel­len beför­dern sie in eine Hock­po­si­ti­on, in der sie zunächst ver­har­ren.
Das Spiel mit Licht und Schat­ten, das stell­ver­tre­tend für die oben genann­ten ande­ren Dua­lis­men steht, zieht sich durch die Per­for­mance und wird auf viel­fäl­ti­ge Wei­se umge­setzt. Mit den Taschen­lam­pen wird gespielt; in einer Sequenz fin­den die Tan­zen­den in Paa­ren zuein­an­der, eine Per­son hält die Taschen­lam­pe und führt das Gegen­über, das sei­ne Augen geschlos­sen hält, mit Hil­fe des Lichts durch den Raum. Den Kopf immer dem Licht zuge­wandt, die Bewe­gun­gen dem Licht fol­gend, wie eine schlaf­wan­deln­de Per­son. Das Licht wird auch genutzt, um spe­zi­fi­sche Kör­per­be­rei­che und Bewe­gun­gen zu erfor­schen. Hier wird erneut ein Gegen­ge­wicht zur Schat­ten­welt gebil­det, da es ganz kon­kret um Bewe­gungs­ab­läu­fe und den Kör­per als spe­zi­fi­sches, nicht als abs­trak­tes Objekt geht. Gleich­zei­tig fin­det eine Reduk­ti­on auf die phy­si­schen Bewe­gun­gen statt, Kopf, Geist und Gedan­ken schei­nen weit ent­fernt zu sein.
In einer Sze­ne zie­hen sich die Tan­zen­den lang­sam aus, bewe­gen sich flüs­sig und behut­sam und insze­nie­ren auf die­se Wei­se einen inti­men Moment, der im Licht der Taschen­lam­pe Beglei­tung fin­det. Wie­der bran­den Bewe­gungs­wel­len durch die Kör­per, eini­ge lie­gen, eini­ge sit­zen und­be­leuch­ten nach und nach ihre Kör­per­tei­le, stel­len das Licht ab, hal­ten es mit den Füßen oder mit ande­ren Kör­per­tei­len und per­for­men so einen Moment der Innen­schau.
Eksta­tisch wird der Tanz ins­be­son­de­re, wenn die Taschen­lam­pen Stro­bo­licht emit­tie­ren, die Tan­zen­den sich dre­hen und schein­bar ins Deli­ri­um fal­len. Beim kur­zen Schlie­ßen der Augen in die­sem Moment ver­blei­ben nur Licht­strei­fen, die durch die schnel­len Dre­hun­gen der Tan­zen­den mit den Taschen­lam­pen in den Hän­den emit­tiert wer­den. Ver­meint­li­che Auf­wach- und Alb­traum­mo­men­te sind wie­der­keh­ren­de Moti­ve des Stü­ckes, es wird angst­er­füllt geschrien, weg­ge­rannt. Die Schreie des Ent­set­zens wech­seln sich mit Freu­den­schrei­en ab. Genau­so wie Kör­per- und Laut­wel­len bran­den auch die Musik­wo­gen mal auf, mal ab. In einem Moment gibt es lau­tes, durch­drin­gen­des Sire­nen­ge­heul, was wie ein Schre­cken durch den Kör­per rinnt, in einem ande­ren Moment glei­chen die sanf­ten elek­tro­ni­schen Sounds fast einer Mee­res­bri­se, einem sanf­ten Ein- und Aus­at­men. Die Tan­zen­den blei­ben mehr oder weni­ger allein, inter­agie­ren wenig mit­ein­an­der, außer­halb der Schat­ten­welt. Die Ver­ein­ze­lung passt gut zum The­ma, denn mit unse­ren Dämo­nen und Wün­schen, unse­rem Unter­be­wusst­sein und dem Ver­lan­gen, das sich ins­be­son­de­re in der Nacht oder im Traum auf den Weg zu uns macht, sind wir letzt­lich immer allein. Wenn inter­agiert wird, pas­siert dies meist zu zweit, meist in gedämpf­ten Bewe­gun­gen, die von­ein­an­der distan­ziert sind, die Taschen­lam­pe als Forschungs‑, Doku­men­ta­ti­on- und Obser­vie­rungs­ge­gen­stand immer zur Sei­te gestellt, als Abstands­hal­ter fun­gie­rend. In einer Sequenz wird gemein­sam, in der Grup­pe, getanzt, die sechs Tänzer*innen fin­den an einer Sei­te des Rau­mes zuein­an­der und kämp­fen mit­ein­an­der dar­um, wer die vor­ders­te Posi­ti­on ein­nimmt. Sie drän­gen sich nach vor­ne, ändern ihre Posi­ti­on zuein­an­der und berüh­ren sich, wabern gemein­sam nach vor­ne und könn­ten so auch Spie­gel der Gedan­ken sein, die uns im Traum, im Schlaf, in der Dun­kel­heit heim­su­chen.
Die Klei­dung der Tan­zen­den ist schlicht, ihre geba­tik­te Camou­fla­ge-Kos­tü­mie­rung lässt sie ein­heit­lich erschei­nen. Das punk­tu­ell ein­ge­setz­te Licht unter­stützt die­ses Bild, zwar wer­den ein­zel­ne Kör­per­tei­le immer wie­der unter die Lupe genom­men, aber der Mensch als gan­zes geht unter und so ver­schmel­zen die Tan­zen­den zu einem sich gemein­sam bewe­gen­den Kör­per. Die Tan­zen­den sel­ber haben immer auch einen Erkun­dungs­auf­trag, sie unter­su­chen sich gegen­sei­tig mit dem Licht, spie­len mit der Nähe zwi­schen Lam­pe und Kör­per, mit der Geschwin­dig­keit mit der das Licht über die Bewe­gung der Tan­zen­den fährt. So ent­ste­hen ver­schie­de­ne Per­spek­ti­ven, Nah­auf­nah­men und Ver­rü­ckun­gen der dar­ge­stell­ten Iden­ti­tä­ten im Raum und im pro­ji­zier­ten Schat­ten auf den Wän­den.
Fra­gen danach, wie sehr wir sel­ber wir sel­ber blei­ben, wenn wir träu­men, stel­len sich. Ein wei­te­rer ein­drück­li­cher Gedan­ke ist, dass die Schat­ten zwar Bewe­gun­gen abzeich­nen, also Geschich­ten erzäh­len kön­nen, auch wenn die­se nicht oder nicht voll­kom­men der Rea­li­tät ent­spre­chen. Die Schat­ten­welt kann jedoch kei­ne Gesichts­aus­drü­cke, kei­ne Mimik, kei­ne Gefüh­le trans­por­tie­ren, hier­für sind wir zu sehr an Drei­di­men­sio­na­li­tät gewöhnt, die hier fehlt. Die­ser Effekt lässt erneut Asso­zia­tio­nen zur Traum­welt zu; eine Welt, in der wir zwar meis­tens genau wis­sen, wer uns begeg­net und wel­che Hand­lung sich abspielt, wir aber häu­fig Stim­mun­gen und Emo­tio­nen füh­len, die sich eben nicht in kon­kre­ten Bil­dern und kla­ren Gesichts­aus­drü­cken mani­fes­tie­ren.
Das Stück hat einen sehr war­men, tröst­li­chen, zutrau­li­chen Ton, und zugleich nimmt es uns mit auf eine Traum­rei­se durch manch­mal fast wahn­wit­zi­ge, bedroh­lich anmu­ten­de Innen­wel­ten. Die Schat­ten­wän­de, die tan­zen­den Taschen­lam­pen und den flie­ßen­den Bewe­gungs­kor­pus möch­te ich nur ungern wie­der ver­las­sen, hat­te ich es mir doch gera­de erst gemüt­lich gemacht im über­di­men­sio­nier­ten Zelt, in den Ufer­stu­di­os, in Stu­dio 14, auf des­sen Wand Schat­ten ihre Geschich­te ent­wi­ckeln.
Ich möch­te nicht auf­wa­chen, die­se inti­me Situa­ti­on zwi­schen Tan­zen­den und Publi­kum ver­las­sen und wie­der auf den nächs­ten Traum hof­fen müs­sen, oder soll­te mir doch bang sein vor den Geistern?

Gut zu wis­sen:
Die nächs­ten Ter­mi­ne von Pro­duk­tio­nen von Luna­park:
17./18. Juni 2023: Tanz­per­for­mance “CROSSING THE FREEWAY: OUTSIDE“, 20:30 Uhr auf dem
Tem­pel­ho­fer Feld

Fotos: LUNAPARK

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