Alle zwei Tage öffnet sich hier im Weddingweiser ein satirisch-literarisches Monatstürchen in das vergangene Jahr mit der Weddinger Lesebühne Brauseboys. Alle Texte werden nach Erscheinen auf der Seite “Weddingrückblick” gesammelt.
DEZEMBER 2014
Komm mit ins Weddinger Abendland (von Heiko Werning)
Die Friedensbewegung steht jetzt Seit’ an Seit’ mit Antisemiten, Rechtspopulisten und Verschwörungsspinnern als Querfront, Friedenswinter und vor allem natürlich bei Montagsdemos vor dem Brandenburger Tor herum, um die Ausführungen von Ken Jebsen zu bejubeln: „Mein Vorbild ist die Natur! Im Wald gibt es keinen Krieg, der Wald produziert keinen Müll! Und die Zugvögel, die schaffen es jedes Jahr nach Afrika! Wenn die das demokratisch organisieren würden, kämen sie nur bis Sylt! Nein, die kommen bestens ohne Demokratie zurecht.“
Vor einer Meute am Brandenburger Tor mit Hang zur Natursymbolik gegen die Demokratie hetzen – das zeigt ja immerhin ein gewisses Traditionsbewusstsein. Aber andererseits: Im Wald gibt es keinen Krieg? Das würde ja noch nicht mal die westliche Lügenpresse behaupten! Die Natur als Vorbild, so, so. Dabei muss man nur einmal gucken, was Igel, Uhu und Marder da mit Eichhorn, Maus und Nacktschneck veranstalten. Ich fürchte, dieser Jebsen ist auch wieder nur so eine vom Weltfinanzjudentum ferngesteuerte Marionette, um uns kritisch denkende Bürger in den Wahnsinn zu treiben.
Herrjeh, ihr „besorgten Bürger“! Pegida, Hogesa, Dügida, Dabadadu und Palim, palim – jetzt drehen wirklich alle durch. Und da nehmen sie schon die bescheurtsten Namen, die man sich überhaupt ausdenken kann – und in Marzahn sind sie sogar dazu zu blöd. Zu kompliziert wahrscheinlich, die Sache mit den vielen verschiedenen Anfangsbuchstaben. Soll ja auch kein Akademikerprotest sein. Da gehen sie lieber auf eine – Achtung, Überraschung! – „Montagsdemonstration“.
Überfremdung total: Im Tierpark Friedrichsfelde sind die deutschen (!) Wildschweine abgeschossen worden, um Platz zu schaffen für irgendwelche afrikanischen (!) Buschschweine. Hallo, Anwohner? Höchste Zeit für eine Montagsdemo! Gegen die Islamisierung des deutschen Schweinestalls!
Montagabend, ein einsamer Mann steht auf dem Leopoldplatz im Wedding. Nein, die WEGIDA-Bewegung kann an die Erfolge in Marzahn und Dresden nicht anknüpfen. Zwar mangelt es auch hier nicht an volltrunkenen Deutschen, aber statt über Ausländer schimpft man lieber über das Wetter oder die „Olle“ aka „Schlampe“. Nur Peter G. hält tapfer sein Schild gegen die Islamisierung des Wedding in die Höhe. Niemand beachtet ihn. Tarkan Ö. vom Imbiss gegenüber bekommt Mitleid, bringt ihm einen Becher Tee und klopft ihm freundschaftlich tröstend auf die Schulter. Peter G. wärmt seine klammen Hände an dem Becher, stellt sein Pappschild in die Ecke, und gemeinsam ziehen die beiden anschließend ins Weddinger Abendland aus Spielcasinos, Spätkaufs und Shoarma-Buden. Es gibt durchaus noch Hoffnung.
Vom 11.12. bis 10.1. des neuen Jahres präsentieren die Herren Paul Bokowski, Robert Rescue, Volker Surmann, Frank Sorge und Heiko Werning außerdem an über 20 Terminen ihre traditionelle Jahresbilanz “Auf Nimmerwiedersehen 2014″ im Comedyclub Kookaburra (Schönhauser Allee 184). Schauen Sie auch dort hinein und helfen den Weddinger Vorlesern dabei, den Prenzlauer Berg zu “degentrifizieren”.