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Gute Brötchen im Wedding:
Der Klassenkampf um leckere Backwaren

28. Oktober 2024
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Ich bin sauer. Es ist 8:30 Uhr, und mein Freund kommt gerade vom „Bäcker“. Ich schaue, was er so mitgebracht hat. Heute gibt es drei harte, aufgebackene Körnerbrötchen und einen undichten Coffee-To-Go-Becher mit einem Inhalt, der an drei Tage alte Brühe erinnert. Die Brötchen könnten auch aus einer Plastikverpackung von Lidl stammen, nur kosten sie das Zehnfache pro Stück und schmecken schlechter. Der Kaffeebecher versaut den Tisch, die Brötchen müssen nochmal in den Ofen, damit wir sie überhaupt essen können. Immerhin, das nichtvorhandene Lächeln war gratis.

Normalerweise sparen wir uns den Weg zum „Bäcker“ in der Straße, in der ich wohne, denn wir wissen natürlich schon, was uns dort erwartet. Nichts. Brötchenholen als bio-deutsche Kulturtechnik verliert im Wedding jegliche Bedeutung. Schade, dabei habe ich genau das als Ausländerin wirklich zu schätzen gelernt an der deutschen Leitkultur. Da kommt keine morgendliche Freude, sondern Bedauern auf.

Aufbackware, aufgetaute „Eclairs“ mit Vanillecreme, gammlig wirkende Eiaufstriche und lieblos zusammengepampte Couscous-Salate to go. Die Bäckerlandschaft im Wedding ist eine Trauerzone. Fast, als ob die 170.000 Einwohner kein Markt wären, den es zu bedienen lohnt. Es gibt abgesehen von dieser einen Bio-Bäckerei in der Ravenéstraße und Hansis Brot so gut wie keinen echten Handwerksbäcker mehr, der nicht einfach nur vorgebackene Teiglinge erhitzt.

Egal, in welcher europäischen Großstadt ich bislang unterwegs war: Nirgendwo habe ich so schlecht gefrühstückt, so wenig vorgefunden wie im Wedding und manchmal auch darüber hinaus. Die Regel lautet: Je arbeiterlastiger und je einkommensschwächer der Bezirk, desto schlechter die Brötchen. Und ich weigere mich, das zu akzeptieren; anzuerkennen, wie klassistisch und rassistisch deutsche Investoren wirklich sind, wenn sie sich aus diesen Gebieten fernhalten. Günstigen Wohnraum können sie uns wegnehmen, ohne als Ausgleich etwas anderes dazulassen. Wir sind viele! Der Markt wäre sicherlich da, der Wedding ist längst gekommen, zumindest mietentechnisch. Nur: das Brot, der Geschmack, der Genuss – der lässt auf sich warten wie die Ersatzbusse der M13.

Während ich auf dem „Brötchen“ herumkaue und versuche, es mit ein wenig Erdbeermarmelade aufzupeppen, werde ich noch wütender. Immer öfter habe ich das Gefühl, dass wir Menschen aus dem Wedding gar kein echtes Brot verdienen. Als ob wir, die an den Rand gedrängten (Wedding, immer noch Mitte, aber ok), prekären Künstler und Arbeiter, Migranten nicht in den Genuss kommen sollten, damit wir nicht vergessen, wo wir herkommen, und wo wir hingehören. Aber ich verstehe schon! Das bisschen Brot, es wäre auch wirklich zu viel verlangt.

„Wedding ist halt nicht Prenzlauer Berg, ne?“
Lisa, 26, gerade aus München hergezogen

Keine drei Kilometer vom vollständig gentrifizierten Prenzlauer Berg entfernt müssen Menschen ungenießbare Backwaren konsumieren, während im trendy, bohemian Prenzlberg das 119. Mid-Century-Café mit selbstgebackenen Brioche Buns, Sauerteigbrot, Scones und Küchlein eröffnet. Als ob es dort, bei den Privilegierten und Hergezogenen aus dem Schwabenländle noch mehr solcher Läden bräuchte, als ob sie nicht ohnehin schon im völligen Überfluss leben würden, alles hätten.

Jedes weitere Bio-Café im Prenzlauer Berg verstärkt die Klischees, die amerikanische Expats 1.700 Euro kalt für eine mittelmäßige Altbauwohnung zahlen lässt. Aber dafür mit Café vor der Haustür, ne? Die Cafés brauchen ja auch zahlungskräftige Kundschaft, und da kann eins nicht in den Wedding gehen. Selbst, wenn es nahezu keine Konkurrenz gibt. Ich kann mich noch erinnern, als ich einer super-woken, vegan kochenden Bekannten ein Ladenlokal in meiner Nähe vermittelte, die unbedingt ein Restaurant eröffnen wollte. Aber Wedding? Ne, danke.

Ich muss nochmal wiederholen: Im Wedding leben 170.000 Einwohner. Das ist eine Großstadt in der Stadt! Das ist so, als ob Menschen in Regensburg, Paderborn, Neuss, Osnabrück, Darmstadt und Solingen jeden Morgen und jedes Wochenende überteuerte Fertigwaren fressen müssten. Ohne Widerrede. Da würde sich doch auch jemand aufregen, da würde sich jemand etwas einfallen lassen, oder etwa nicht? Aber im Wedding, oh neee, da stimmt das Klientel ja nicht, da gibt es zu viele Araber und Türken und Polen und Syrer, die essen ja nur ihre Böreks! Da braucht es so etwas nicht. Ironie Ende.

Komisch, und dann sitzen doch alle im Café Göttlich, und reißen sich um die Kuchen, als ob es gerade eine Hungersnot gegeben hätte. Jeder Platz ist rappelvoll, und auch die halbwegs essbaren, wenn auch nicht vor Ort hergestellten Kuchen im Wachmacher sind heiß begehrt.

Wenn ich noch einen dritten Beruf bräuchte, wäre ich Cafébesitzerin. Ich würde Pistazien-Croissants anbieten wie in Tirana und gefüllte Baumkuchen-Variationen, ähnlich wie in Prag. Ich würde echtes Brot backen, wie bei Joseph in Wien und Streuselkuchen produzieren wie bei meiner Babka in Bratislava. Ich würde meine Kundschaft verstehen und ihnen das anbieten, was sie verdienen: hochwertige, frische Produkte, die sie an ihre Heimat erinnern, ohne dabei den Wunsch zu wecken, einen Flug dahin buchen zu müssen.

Also, liebe Cafébesitzer: Wir beobachten euch. Wir wissen, warum ihr keine Filialen im Wedding eröffnet, warum ihr uns lange Fahrtwege aufnehmen lasst, damit wir nach nervenraubenden Arbeitswochen völlig fertig in den Bezirk der Nepo-Babies mit Trust-Fund kommen, um dort unser Geld zu lassen. Dabei will ich gar nicht dorthin fahren. Ich will nicht im Prenzlauer Berg wohnen, mit all den gespritzten Z-Promis, Tech-Entrepreneurs und gescheiterten Sängern aus den Neunzigern. Ich will nicht in einer weißen, Gated-Community leben, nur, damit ich verdammt nochmal ein menschenwürdig gefülltes, scheiß Croissant bekomme.

Also: auch wenn das Thema auf den ersten Blick kleinlich erscheint. Im Endeffekt sind Brötchen nichts anderes als Klassenkampf. Ein Zeichen dafür, wem es zusteht, ein gutes Leben zu führen.

Fotos: siehs_mal @ & Adobe Firely

Bianca Jankovska

Bianca Jankovska ist Autorin und teilt ihr geballtes Wissen über die (Arbeits-)Welt in Kündigungsberatungen (Thx bye), auf ihrem Blog (Groschenphilosophin), auf Instagram (@groschenphilosophin) und in ihrem neuen Buch, „Potenziell furchtbare Tage“. (Haymon Verlag)

23 Comments Leave a Reply

  1. Naja, wenn ich mir mein Haus anschauen... 30% sind die Studis, die sind Samstagmorgen im Katerblau. 50% sind auf Bürgergeld und haben jeden Tag Wochenende, da würde Brötchenkaufen auch schnell ins Geld gehen. Mit den restlichen 20% die sich unter der Woche Brötchen verdienen und am Wochenende selbige kaufen wollen, kann man halt auch schlecht profitabel tolle Cafes und Bäckereien betreiben. Aber klar, der fiese Investor ist Schuld.

    Ich glaube solche Sachen werden sich erst ändern wenn das Amt anfängt die Wohnkosten in den Innenstädten nicht mehr zu bezahlen... Insofern ja, geht das nur über Klassenkampf, aber nicht so wie von der Autorin gemeint.

  2. Also, Brötchen sind bei mir auch eine Frage der Pragmatik des Tages.
    Ganz so einfach ist es nicht, die Wedding-Brötchen zu verteufeln, denke ich, denn man kann sehr wohl gute Brötchen bei Back Baron in den U-Bahnhöfen kaufen. Außerdem preiswert
    Mit Croissants ist es eine ganz andere Sache.
    Einen Backautomaten würde ich allerdings auch gerne mal ausprobieren, um zu wissen, ob das "Sinn" macht und
    der Frust über`n Brötchenappetit damit weggeht.

  3. So isses. Traurig aber wahr. Im Wedding kann man einfach keine guten Brötchen kaufen. Der Bio-Bäcker in der Ravene hat mich auch enttäuscht. Bei Hansi in der Kiautschou stimmt die Qualität (Am Besten: Das Angeschobene). Deshalb fahre ich gelegentlich Brötchenholen bei Siebert in PB.
    Alternativ gibt es Tandoori von der Müllerstraße, oder Naan aus Moabit. Das ist der Wettbewerb.
    Wichtigste Quelle für gute Brötchen: Berlin verlassen, auf dem Lande einkaufen, z. B. in Bayern (Hedrich in Bad Kissingen, Hofstätter in Neuötting, Linz in Traisdorf liefern Spitzenqualität). Von dort eine große Tüte (25 Stück) mitnehmen und einfrieren. Beste Lösung. Wer ab und zu nach Leipzig fährt: Renelt in Leipzig-Plagwitz, besser als alles in Berlin

  4. Lieber Nico, was soll dieser humorlose Polarisierungsmist?! Voll voke , einmal unterstellt, Bianca sei es in deinem Sinne nicht, wären die Schrippen im Wedding auch nicht besser. Tipp für dich: Ein paar Vorstellungen im Prime Time Theater , Burgsdorfstr, zwischen SPD Haus und Geisterhaus, und dazu Honig -Wallnusskuchen knabbern.

  5. Dem Artikel wäre schon etwas hinzuzufügen:
    Wachmacher backt auch selbst Kuchen, allerdings nicht alle angebotenen Waren (Der Honig-Wallnuss Kuchen z.B. ist eingekauft).

    In Zeiten von Polarisierung und Spaltung finde ich es auch sehr Bitter, wenn hier so abwertend gegenüber Bewohner anderer Stadtbezirke geschrieben wird.

    Darüberhinaus hilft wohl wirklich nur: Zu Hansis gehen oder selber Backen :/

  6. alles Gewuisel, wie man in Bayern sagt. erstens: gute Backwaren kosten Geld. + nach den Co2 Sparsteuern erst recht. zweitens die vielgerühmten Handwerksbäcker habe ich auch beim Gebrauch v. Backmischungen + Aufbackware erwischt. UND es war die SPD u. die Grünen, die die Lohngruppen v. Arbeitern kaputt gemacht hatten. Was nicht heissen soll, dass Afd eine Alternative wäre... also was wollt ihr?

    • Können Sie bitte erläutern, inwiefern die SPD und die Grünen die "Lohngruppen" von Arbeitern kaputt gemacht haben? Und was genau ist mit Lohngruppe gemeint?

      • man darf schon mal an Harzt4 u. G. Schröder erinnern. Die Grünen waren in der Koalition und haben bis auf 2 - 3 Enthaltungen feste zugestimmt. Schröder war nicht Mitglied der KPdSU sondern bei.... .? Google weiss alles

  7. Der Niedergang des Lebensmitteleinzelhandels, ein Tribut an den seit den siebziger Jahren einsetzenden Boom der Supermärkte, fragwürdige Produkte der Lebensmittelindustrie inklusive. Ein Prozeß der unaufhaltsamen Konzentration/Rationalisierung in der Moderne. Gäbe es genügend Nachfrage nach guten und damit teureren Backwaren in Wedding, würde sich das Angebot längs angepaßt haben. In der Bäckerei Bucco/Ravenéstr. habe ich jedenfalls noch kein Schlangestehen erlebt, und ich bin meist zweimal pro Woche dort. Findet man in Wedding noch einen Schumacher, der seinen Namen verdient? Ich kenne keinen. Lassen sich Turnschuhe und Sneakers überhaupt neu besohlen? Die Gesetze des Marktes.

  8. Hallo Bianca,
    seeeeeeeehr geiler Artikel. Böse UND zum Lachen. Geile Mischung. Ich esse kein Weißbrot und keine Brötchen. Die kommen bei mir nur einmal im Jahr in den Bulettenteig. Ich ernähre mich paleo und mach mir Stullen mit Graubrot Anno 1688 von Rewe. Aber sehr interessant mal Einblick in die Weddinger Brötchenesserwelt zu bekommen. Kämpfe weiter. Du hast Recht. Und am Meisten gefällt mir Dein brennender Weddinger Nationalstolz. Gruß vonna Panke 2 Queerstraßen weiter von der Raveneee.

  9. Dem Artikel der Autorin ist nur wenig hinzuzufügen! Vor Jahren gab es noch in der damaligen Müllerhalle einen Butter Linder! Aber der hat auch das Weite gesucht! Heute hat man den Eindruck, die „besseren“ Bäckereien sind in Moabit, Prenz’lberg und Mitte-Mitte! Und in Schöneberg/Charlottenburg sowieso!
    Aber wir sind denn eben auch bereit, mal ein paar Kilometer zu fahren, um uns mit hochwertigen Backwaren zu versorgen - oder mal in ein gepflegtes Wiener Kaffeehaus zu gehen!
    Man kann nicht alles haben - aber ja: Hansi und Bucco sind wahre Leuchttürme in dieser kulinarischen Einöde!

  10. Behelfe mir mit der Denn‘s- und der Feinbäckerei-Heberer-Filiale direkt am Bahnhof Gesundbrunnen. Keine kleinen tollen Handwerksbäckereien, aber weit besser als die Aufbackware, die ich über Jahre ertragen habe.

  11. Oh, mir so aus dem Herzen geschrieben.
    Als ich noch in der Schule in der Ravene'str. gearbeitet habe, bin ich gerne zum Biobäcker gegangen. Da hielt ein Brot auch mal eine Woche. Und die Fenchelsamenbrötchen...... göttlich. Jetzt müsste ich 7 Euro Fahrgeld bezahlen, um dahinzukommen. Wie wurde mal geschrieben " der Wedding kommt ". Nö, der Wedding verkommt.

    • Bianca, du sprichst mir aus der Seele.
      Leider ist es so, dass viele gute Läden schließen müssen, da sie einfach für Qualität auch Geld haben wollen, dass kaum einer bereit ist zu zahlen. Und in denen, die sich halten können, sieht man nur Wedding Touristen, die uns Einheimische durch die großen Scheiben wie Affen im Zoo betrachten.
      Und dann gibt es noch die, die trotzdem faire und günstige Preise trotz hoher Qualität haben. Dort müsste es eigentlich brummen und man würde nur schwierig einen Platz finden. Leider ist dem nicht so. Der Wedding hat eben seinen eigenen Charme und Spirit, der unerklärlich ist und mir aber genauso wie dir manchmal auf die Nerven geht.

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