Am 26. Mai sind Europawahlen. Europa wählt! Aber warum betrifft uns das? Was hat der Wedding mit Europa zu tun? Und warum gehe ich als Erstwähler zur Europawahl?
Nachbarn von mir leben Europa, Tag für Tag. Eine sechsköpfige Familie: Ein Elternteil aus Osteuropa, der andere Elternteil aus Frankreich, die Kinder sprechen alle französisch und deutsch, obwohl sie nur hier aufwachsen; sie gehen in bilinguale Kindergärten und Schulen. Ohne die EU wäre das nicht möglich, oder zumindest wesentlich schwieriger.
“Ich habe gerade einen Flug nach Italien gebucht!” / “Mitten im Schuljahr? Warum denn das?” / “Na, mein Freund lebt in Florenz!” – Das Europäische Schüler- und Studierendenaustausch-Programm ERASMUS – EuRopean Community Action Scheme for the Mobility of University Students - lässt Schüler und Studenten bereits seit den späten 80er-Jahren Austausche und Beziehungen mit Schülern aus ganz Europa organisieren und erleben. Auch der Wedding ist voll von neugierigen Besuchern aus Italien und manche bleiben auch hier hängen.
„Kommst du mit ins Kino?“ / „Ja klar! In welches gehen wir denn?“ / „Na ins City Kino im Centre Français!“ – an fast jedem Tag der Woche laufen europäische Filme im heimischen City Kino Wedding, viele im Originalton – und immer wieder auch welche aus Frankreich und auf französisch.
“In meinen Ferien fahre ich nach Lissabon mit dem Zug!” / “Ist das nicht superteuer?” / “Nicht mit Interrail!” – Die Eisenbahn ist dank eines gemeinsamen Tickets in Europa einfacher zu benutzen, als man angesichts des Tarifdschungels bei der Deutschen Bahn erwarten würde. Mit einem einzelnen Ticket kann man von Stockholm nach Sizilien fahren oder von Tallinn nach Lissabon, besonders preiswert ist es für junge Menschen. Interrail, Jahrgang 1972, ist sogar älter als die EU, Jahrgang 1993, würde jedoch ohne diese wohl kaum noch existieren. (Nicht ganz EU, aber ich finde es trotzdem wichtig – danke an einmaeckel.)
Die Europawahl nicht den Anderen überlassen
Das allein sind vielleicht noch keine Gründe, an der Wahl zum Europaparlament teilzunehmen. Aber ich finde, die Dinge, bei denen die oft sehr bürgerferne EU in unseren Alltag eingreift, sollten demokratisch legitimiert sein – zumindest bei der Europawahl können wir Bürger mitbestimmen. Beispiel Urheberrechtsreform, die Gefahr von Uploadfiltern, das betrifft uns als Internet-Benutzer ganz unmittelbar. Gerade für junge Menschen, die die europäische Vielfalt hier im Wedding jeden Tag erleben, sollte die Teilnahme an der Europawahl selbstverständlich sein. Diesmal versuchen außerdem einige europakritische Parteien massiv, ihre Stimmanteile zu erhöhen und danach die Errungenschaften der EU in Frage zu stellen. Ich bin diesmal Erstwähler, und ich gehe wählen, damit Europa Europa bleiben, damit Berlin Berlin bleiben – und auch, damit der Wedding der bunte Wedding bleiben kann. Ich möchte in einem Kontinent ohne Grenzen und mit allen Möglichkeiten leben. Ebenso möchte ich in einem Stadtteil leben, in dem viele Nationalitäten friedlich zusammenleben – so wie in den letzten 70 Jahren in Westeuropa der Fall war. Wer nicht wählen geht, überlässt diesen Kontinent anderen, die es nicht immer gut mit uns jungen Europäern meinen. Das BREXIT-Referendum hat uns das vor Augen geführt. Also, informiert euch, sagt es weiter und vor allem: Geht am Sonntag wählen!
Info: Die erste Europawahl fand vor 40 Jahren statt; erst seit 2009 verfügt das Europäische Parlament über mehr Rechte. Deutschland stellt 96 von 751 Abgeordneten. Am 26. Mai sind alle EU-Bürger in dem Land zur Wahl aufgerufen, die in diesem Land seit mindestens drei Monaten wohnen. Man hat nur eine Stimme, die man auf dem ellenlangen Wahlzettel genau einer Liste geben kann. Nach der Wahl schlägt die stärkste Parteienfamilie (z.B. EVP mit der CDU, S&D mit der SPD oder Grüne/EFA) den Kommissionspräsidenten vor. Jeder Mitgliedstaat darf einen EU-Kommissar benennen, über die am Ende das Parlament abstimmen muss. Im Moment wird Berlin von den Abgeordneten Michael Cramer (Grüne), Hans-Olaf Henkel (LKR), Dr. Sylvia Kaufmann (SPD), Martina Michels (Linke), Martin Sonneborn (PARTEI), Udo Voigt (NPD) und Joachim Zeller (CDU) vertreten.
Hallo, ich bin sicher, dass der Wedding sehr von der EU profitiert. EU-Fördergelder stecken in vielen Stadtteilprojekten usw. Die EU-Arbeitnehmerfreizügigkeit und das von dir erwähnte Erasmus-Programm tun ihr übriges dazu. Aber Interrail hat zwar viel zum Kennenlernen der europäischen Jugend beigetragen, war aber bisher kein Projekt der EU, sondern verschiedener europäischer Bahngesellschaften innerhalb und außerhalb der EWG, wie die Europäische Gemeinschaft 1972 noch hieß. Gut zu wissen, dass die EU jetzt, nach 47 Jahren, “auf den Zug aufspringt” und ab 2021 mit rund 700 Millionen Euro ein Mobilitätsprojekt in Anlehnung an die Idee unter dem Namen #DiscoverEU finanzieren will. (Quelle: Wikipedia)