Als die altehrwürdige „New York Times“ vor einigen Jahren über den Wedding berichtete, bebilderte sie ihre Story mit Eindrücken aus den Hinterhöfen der Gerichtstraße 23: Feiernde fröhliche Menschen, pulsierendes Leben, umgeben von alten Backsteinwänden mit großen Fabrikfenstern, Graffiti, Lichterketten und viel Improvisation. Die Bilder vermitteln einen schnoddrigen, warmen Charme, wie es ihn in Deutschland eigentlich nur in Berlin gibt und zeigen einen Abend an einem Sommerwochenende an diesem besonderen Ort.
Die Gerichtstraße 23 ist ein Wohn- und Gewerbehof mit rund 16.500 Quadratmetern Fläche und mehreren Höfen, die von unterschiedlichen Künstlern und Gewerbetreibenden genutzt werden. Die ehemaligen Werkstätten des Nordens, die damals noch vor den Toren Berlins lagen, haben sich zu einem Ort zwischen Kunst, kreativem Chaos und Kommerz entwickelt. Heute liegen sie quasi mitten in der Stadt, im Wedding, der schon seit Jahren als „next place to be“ gilt und der sich nun tatsächlich anschickt, es auch zu werden.
Michael Will, der Geschäftsführer des Areals, und sein Geschäftspartner Francis Greenburger haben vor gut zehn Jahren die Entscheidung getroffen, den besonderen Charme des Ortes zu bewahren – und eben nicht hochglanzsanierte, hochpreisige Wohnungen zu errichten, wie es mit so vielen anderen Immobilien in der Umgebung passiert. „Mir ging das Herz auf, als ich die Hinterhöfe zum ersten Mal gesehen habe“, sagt Michael Will. Er erkannte das Potential des Ortes und setzte sich dafür ein, die Besonderheit der Hinterhöfe mit ihrer Vielfalt an unterschiedlichen Mieterinnen und Mietern zu bewahren.
Da gibt es beispielsweise die Fabrik 23, die Lofts für Veranstaltungen vermietet, die in Berlin ihresgleichen suchen. Aus alten Flohmarktfunden und aus upgecycleten Materialien des Gewerbehofs, hat das Team der Fabrik 23 besondere Räume geschaffen, die man hinter den Backsteinmauern absolut nicht vermutet.
Es gibt einen Goldschmied, ein Fitnessstudio, Co-Working-Büros, eine Schreinerei und zahlreiche Ateliers, die von unterschiedlichen Künstlerinnen und Künstlern genutzt werden. Einer davon ist zum Beispiel Jesper Jensen. Er stellt aus alten Weinflaschen elegante und nachhaltige Gläser her, die reißenden Absatz finden. Eine echte Weddinger Erfolgsgeschichte.
Ein weiterer Mieter ist das Jugendprojekt MOVE, das sich an Schülerinnen und Schüler zwischen 14 und 17 Jahren richtet, die ganz oder teilweise der Schule fernbleiben. Ein Fachteam aus Sozialarbeitern, Lehrern und Handwerkern versucht den Jugendlichen einen Weg in die Berufswelt zu ebnen.
Diese Mixtur aus unterschiedlichen Mieterinnen und Mietern möchte Will unbedingt auch in Zukunft halten. Sie machen den Charme des Ortes aus und ihnen lässt Will viel Freiraum. Wills Konzept ist es, neuen Mieterinnen und Mietern die Räume relativ unfertig, dafür aber kostengünstig anzubieten. Es liegt dann an ihnen etwas daraus zu machen – und sie machen. Handwerksbetriebe sollen genauso stattfinden können wie Büros, Ateliers oder soziale Träger. „Es wird hier in Zukunft auch nicht auf Hochglanz poliert werden“, sagt er. Seine Vision ist es, den Ort in gewisser Weise so zu erhalten wie er ist – ohne, dass es zu Stillstand kommt.
Hinter den Kulissen ist schon die Erhaltung des Status Quo eine immense Herausforderung. An dem Gebäudekomplex musste und muss viel gemacht werden. Aber Michael Will möchte noch mehr. Der Bestand soll nicht nur gesichert, sondern auch weiterentwickelt werden. Eines der nächsten Projekte beispielsweise ist der Ausbau der Keller, die heute nur als Lagerstätte genutzt werden. Die große Herausforderung bei der Entwicklung der Gerichtstraße 23 sei es, die Balance zu halten – beispielsweise die zwischen dem derzeitigen Mietniveau auf der einen Seite und notwendigen Investitionen auf der anderen Seite, sagt Michael Will.
Text: Michael Rebmann
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Dieser Text wurde mit freundlicher Genehmigung des Autors aus einem Blog entnommen.
Ich wüßte gern mehr über die Werkstätten des Nordens. Das Berliner Adressbuch gibt Namen her, mehr aber leider nicht.
Das Gebäude stand übrigens nicht „damals noch vor den Toren der Stadt“. Es stand und steht im Wedding, der seit 1861 zu Berlin gehört (ganz genau gesagt schon immer, aber das ist eine andere Geschichte.).
“Handwerksbetriebe sollen genauso stattfinden können…” Ich frage mal den nächsten Handwerker, der zu mir kommt, ob er jetzt stattfindet, oder ober er auch was macht. 😉