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Bezirksamt schaut zu:
Kolonie 10 – Illegaler Teilabriss gestartet – Bezirksamt schaut zu!

9. Januar 2025
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Natur­schutz­bund stimmt Teil­ab­riss ent­ge­gen arten­schutz­recht­li­cher Bestim­mun­gen zu. Ers­te Bag­ger waren bereits im Einsatz!

Einst ein Pilot­pro­jekt für urba­ne Bio­di­ver­si­tät, flo­rie­ren­de Künst­ler­ko­lo­nie und Raum für Arten­viel­falt, wird der Kolo­nie­stra­ße 10 immer wei­ter die Exis­tenz­grund­la­ge ent­zo­gen. Seit 2018 kämpft eine klei­ne Gemein­schaft gegen die Plä­ne des neu­en Grund­stücks­ei­gen­tü­mers, wegen der bereits Ate­liers und Gewer­be­ein­hei­ten in den his­to­ri­schen Remi­sen auf­ge­ge­ben wer­den mussten. 

Die alten Gebäu­de­struk­tu­ren sol­len abge­ris­sen wer­den, um auf der Flä­che wei­te­re Mikro­a­part­ments zu errich­ten, wie sie direkt neben­an mit dem “Cam­pus Viva I und II” schon umge­setzt wur­den. Geset­ze, die die Durch­set­zung von Milieu- und Arten­schutz regeln, haben bis­her die Zer­stö­rung der his­to­ri­schen Gebäu­de im Hin­ter­hof verhindert. 

Am 8.1. wur­de aller­dings beschlos­sen, dass Neben­ge­bäu­de, die ledig­lich Haus­tech­nik ent­hal­ten, nicht län­ger geschützt wer­den müs­sen und abge­ris­sen wer­den dür­fen. Am Schluss knickt sogar die Natur­schutz­be­hör­de ein, die noch vor kur­zem ver­spro­chen hat­te, sich für den Erhalt der ansäs­si­gen Spat­zen­ko­lo­nie stark zu machen. 

Dass sich das Blatt jetzt gewen­det hat, ist nicht ganz über­ra­schend, da der Eigen­tü­mer in letz­ter Zeit immer wie­der mit Kla­gen, dubio­sen Bau­plä­nen und einer Abriss­fir­ma ange­rückt war, um Druck für sein Bau­vor­ha­ben zu machen. Konn­te der Ein­satz eines Bag­gers am 6. Janu­ar noch ver­hin­dert wer­den, wur­den am 8. Janu­ar bereits Bau­zäu­ne auf­ge­stellt, die den Hin­ter­hof als Bau­stel­le bekräftigen. 

Was war pas­siert? – Orts­ter­min, 8. Janu­ar 7 Uhr 

Man kann schon von einem Kri­mi spre­chen, der sich hier abspielt. Vor dem Ein­gang der Kolo­nie­stra­ße 10 haben sich Poli­zei, Unterstützer*innen, Anwäl­te, Stadt­teil­ver­tre­tung, Natur­schüt­zer und die Bewoh­ner des Hau­ses ver­sam­melt, um die Lage zu begut­ach­ten. Im Ein­gang steht ein Bier­tisch mit fri­schem Kaf­fee und Früh­stück. Es ist dun­kel und kalt, die Haus­ge­mein­schaft kennt sol­che Situa­tio­nen und küm­mert sich um das leib­li­che Wohl ihrer Fürsprecher*innen. 

Den ange­rück­ten Bau­ar­bei­tern sieht man den pro­fes­sio­nel­len Taten­drang an, der vor­erst noch vom Anblick der vie­len Men­schen ein wenig gebremst wird. Obwohl die Stim­mung emo­tio­nal auf­ge­wühlt ist, blei­ben alle ruhig, als sich die Anwäl­te und Gutachter*innen zur Orts­be­ge­hung in den Hin­ter­hof auf­ma­chen. Die anwe­sen­den Poli­zei­be­am­ten blei­ben freund­lich-sach­li­che Fähn­chen im Wind. “Wir sind erst­mal auf kei­ner Sei­te. Wir war­ten ab, wor­auf sich die Anwäl­te der Par­tei­en eini­gen und hel­fen not­falls dabei, die jewei­li­ge Maß­nah­me umzu­set­zen”, so einer der Polizisten. 

Wo Geld fließt, ist die Rechts­la­ge leicht zu klären

Was sol­len sie auch sonst tun in einem Rechts­staat, der sie dafür bezahlt, dass Beschlüs­se trotz unter­schied­li­cher Mei­nun­gen ein­ge­hal­ten wer­den. Ver­mut­lich ist hier aber auch der Kern die­ses “Pos­sen­thea­ters” zu fin­den, wie einer der Bewoh­ner die Ansamm­lung zynisch ein­ord­net. “Die kön­nen hier heu­te nichts abrei­ßen, wir haben so vie­le Argu­men­te auf unse­rer Sei­te”, so der hoff­nungs­vol­le Ton des Bewoh­ners, der lie­ber anonym blei­ben möch­te. “Die Remi­sen sind milieu­ge­schützt, die arten­schutz­re­le­van­ten Brut­stät­ten der Spat­zen fal­len unter das Natur­schutz­ge­setz. Außer­dem gibt es Haus­tech­nik in ein paar Neben­ge­bäu­den. Die Tanz­schu­le, der Sport­raum. Da läuft ja die Hei­zung. Sol­che Gebäu­de kann man nicht ohne Geneh­mi­gung zerstören”. 

Man kann. 

Dass hier Geld in vie­le Rich­tun­gen fließt, ist nicht von der Hand zu wei­sen. Als ein Auto in der Ein­fahrt des Grund­stücks hält, geht ein Ruck durch die Bau­ar­bei­ter-Mann­schaft, sie lau­fen dem Aus­stei­gen­den ent­ge­gen, der sofort mit eini­gen Geld­schei­nen wedelt. Ein Vor­ge­setz­ter des Abriss­un­ter­neh­mens, wie sich spä­ter her­aus­stellt. Ver­schämt win­ken die Män­ner ab, wol­len das ange­bo­te­ne Geld nicht anneh­men, weil alles bereits bezahlt wur­de. Auch die Poli­zei lehnt die ange­bo­te­ne Kaf­fee­be­stel­lung des groß­zü­gi­gen Unter­neh­mers höf­lich ab.

Wäh­rend im Hin­ter­hof über die Zukunft der Kolo­nie 10 ent­schie­den wird, wer­den die Freun­de und Unterstützer*innen zurück­ge­hal­ten, die Bespre­chung soll mög­lichst unter Aus­schluss der Öffent­lich­keit statt­fin­den. Inzwi­schen sind auch Bezirks­stadt­rat Ephra­im Gothe, die Unte­re Natur­schutz­be­hör­de und Rai­ner Alten­kamp, 1. Vor­sit­zen­der des Natur­schutz­bun­des ein­ge­trof­fen, um die Lage ein­zu­schät­zen. Kur­zes Auf­at­men in der Men­ge, bei­na­he könn­te man anneh­men, dass jetzt ein Macht­wort im Sin­ne des Natur­schut­zes und urba­ner Bio­di­ver­si­tät gespro­chen wird. Aber weit gefehlt.

Ver­trau­en in Natur­schutz­be­hör­de und Bezirks­amt gebrochen

Tat­säch­lich ist Alten­kamp hier im Auf­trag des Bau­herrn und nur vor Ort, um die Abriss­ge­neh­mi­gung durch­zu­win­ken. Der Bezirks­stadt­rat steht dane­ben, wäh­rend die Vor­keh­run­gen getrof­fen wer­den. Sein Hin­weis, dass ein Abriss eigent­lich ille­gal ist, stößt auf tau­be Ohren bei Bau­un­ter­neh­men, Anwäl­ten und der Natur­schutz­be­hör­de. Nach jah­re­lan­gem Ban­gen geht plötz­lich alles ganz schnell. Der Bau­un­ter­neh­mer betritt den Innen­hof, eini­ge Gara­gen wer­den mit dem Wort “bleibt” in grel­lem grün mar­kiert, die­je­ni­gen also, die nicht abge­ris­sen wer­den dür­fen. Lack­ge­ruch macht sich breit. Die Mann­schaft der Bau­ar­bei­ter trägt Bau­zäu­ne her­bei. Eine hal­be Stun­de spä­ter rei­ßen die ers­ten Bag­ger­ar­bei­ten Löcher in die alten Remi­sen. Rechtswidrig! 

Sol­che Aktio­nen stö­ren das Ver­trau­en in Umwelt­schutz­or­ga­ni­sa­tio­nen und Ver­wal­tung nach­hal­tig, das ist auch deut­lich im Umfeld der Kolo­nie-Bewoh­ner herauszuhören. 

“Wie kann das sein?!”, wun­dert sich Caro­li­ne Sei­ge, vom AG Arten­schutz, die seit 2020 Gut­ach­ten für die Kolo­nie erstellt hat und immer zur Stel­le war, wenn die Bag­ger anrü­cken woll­ten, ins­ge­samt 4 ille­ga­le Abriss­ver­su­che zähl­ten die Bewoh­ner in den letz­ten Jah­ren. “Das Gut­ach­ten von Herrn Alten­kamp ist fach­lich mehr als frag­wür­dig! Es gab kei­ne Vor­schlä­ge zu Aus­gleichs-Maß­nah­men. Außer­dem müs­sen hier zwin­gen­de Grün­de des öffent­li­chen Inter­es­ses vor­lie­gen, bevor etwas zer­stört wer­den darf. Der Bau­herr erfüllt nichts von alle­dem”, weiß die Umweltschützerin. 

Meint: Der Bau­herr hät­te die Tie­re eigent­lich umsie­deln müs­sen, bevor er sich an den Abriss macht. Was als “zwin­gen­den Grün­de des öffent­li­chen Inter­es­ses” abge­lei­tet wer­den kann, erfährt man, wenn man sich genau­er mit der Bezirks­po­li­tik auseinandersetzt. 

Wie sieht die Zukunft aus? 

Das Katz- und Maus-Spiel mit den Ber­li­ner Behör­den ver­läuft seit Jah­ren ähn­lich. Es ist immer wie­der das­sel­be: Inves­to­ren und Bau­her­ren schüch­tern die Bezirks­äm­ter ein, die dann schlech­te Ver­glei­che akzep­tie­ren, weil sie Angst vor den hohen Kos­ten eines Gerichts­ver­fah­ren haben. Der Ber­li­ner Haus­halt ist es bekannt­lich nicht gut gewapp­net in sol­chen Fäl­len. Für die urba­ne Kul­tur ist das ein ziem­li­ches Pro­blem, die auf die­se Wei­se immer wei­ter ver­drängt wer­den kann. Dafür gibt es dem­nächst ver­mut­lich ein paar Mikro­a­part­ments mehr. In die­sem Fall könn­te man tat­säch­lich wie­der auf das öffent­li­che Inter­es­se ver­wei­sen, ist es doch aus­ge­rech­net die Bun­des­wehr, die auf dem benach­bar­ten “Cam­pus Viva” eini­ge die­ser Appart­ments für ihre Mit­ar­bei­ter anmie­tet. Man darf sich wirk­lich fra­gen, wer hier eigent­lich wem dient. 

“Ich hät­te mir mehr Enga­ge­ment vom Umwelt­schutz gewünscht, hier wur­den eini­ge Ver­ant­wort­lich­kei­ten ver­passt”, ärgert sich auch Mar­tha Klee­dör­fer, Spre­che­rin für Stadt­ent­wick­lung- und Woh­nungs­po­li­tik der Bezirks­ver­ord­ne­ten­ver­samm­lung Mit­te bei “Die Lin­ke”. “So wie es gera­de abge­ris­sen wird, kann man hier doch gar nichts Neu­es bau­en. Die ein­zel­nen Gara­gen wer­den nur ent­fernt, um die Mie­ter zu schi­ka­nie­ren und aus­zu­bren­nen. Wäh­rend der Abriss statt­fin­det, wird noch geprüft, was abge­ris­sen wer­den darf, das ist unglaublich.”

“Als Chef der NABU (Anm. d. Red.: Natur­schutz­bund) ist Alten­kamp untrag­bar. Eine Natur­schutz-Orga­ni­sa­ti­on soll­te sich nicht für den Abriss von Stadt­na­tur ein­set­zen. Wir wer­den da eine kri­ti­sche Anfra­ge stel­len. Außer­dem wer­den wir einen Antrag for­mu­lie­ren, der jeg­li­chen Abriss unzu­läs­sig macht und das Bezirks­amt auf­for­dert, recht­li­che Schrit­te gegen den Inves­tor wegen der ille­ga­len Abriss­ver­su­che ein­zu­lei­ten”, fügt Klee­dör­fer hinzu. 

Ob das für die Bewohner*innen der Kolo­nie­stra­ße noch recht­zei­tig pas­siert, ist aller­dings frag­lich. Die Abriss­ar­bei­ten wur­den im Ver­lauf des Tages irrepa­ra­bel fort­ge­führt. Auf dem Insta­gram-Account der Kolo­nie 10 fin­den sich Bil­der der Zer­stö­rung durch einen Bag­ger, die eigent­lich rechts­wid­rig ist. Müs­sen wir jetzt auch um den Milieu­schutz all­ge­mein bangen? 

NACHTRAG:

Die Natur­freun­de Ber­lin e.V. pla­nen eine Unter­sa­gung, die die Unte­re Natur­schutz­be­hör­de Mit­te noch am 9. Janu­ar errei­chen wird. Gleich­zei­tig macht der Land­schafts­ar­chi­tekt, der die Kolo­nie 10 erschaf­fen hat, sein Urhe­ber­recht beim Bau­herrn gel­tend, um wei­te­re Schrit­te zu ver­hin­dern. Die Kolo­nie 10 kämpft weiter.

Kolonie10 auf Instagram

Rike Lange

Rike Lange ist freie Creative Producerin und Autorin. Sie lebt seit 10 Jahren im Wedding und interessiert sich für Transformation, Kunst & Kultur im Kiez.

3 Comments Leave a Reply

  1. So rich­tig ver­ständ­lich, wes­halb die­ser Abriss nun ille­gal ist, aber in Anwe­sen­heit von Poli­tik, Behör­den, Anwäl­ten, Ver­bän­den und Poli­zei­t­rotz­dem geschieht, ist der Arti­kel ehr­lich gesagt nicht.
    Viel­leicht kann hier noch ein­mal nach­ge­bes­sert wer­den, wor­auf die­se Ille­ga­li­tät fußt.
    Den Bewoh­nern erst ein­mal viel Kraft und vol­le Soli­da­ri­tät für die nächs­te Phase.
    Bleibt zu hof­fen, dass sich der Inves­tor damit ver­hebt und durch die­ses Vor­ge­hen wei­te­res erst Recht ver­un­mög­licht wird!

  2. Das Ver­hal­ten der UnB sowie des Herrn Alten­kamp ist uner­träg­lich. genau die­se Behörden/ Ver­bän­de, die sich eigent­lich für den Erhalt der Stadt­na­tur ein­set­zen müss­ten, fal­len die­ser in den Rücken.

  3. Dan­ke für den aus­führ­li­chen Bericht, die Hin­ter­grün­de und das Vor-Ort-sein. Ich war noch im Som­mer mit dem Stadt­rat bei einer Bege­hung in der Kolo­nie. Da hat er den Bewoh­nern noch Mut gemacht.

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