Naturschutzbund stimmt Teilabriss entgegen artenschutzrechtlicher Bestimmungen zu. Erste Bagger waren bereits im Einsatz!
Einst ein Pilotprojekt für urbane Biodiversität, florierende Künstlerkolonie und Raum für Artenvielfalt, wird der Koloniestraße 10 immer weiter die Existenzgrundlage entzogen. Seit 2018 kämpft eine kleine Gemeinschaft gegen die Pläne des neuen Grundstückseigentümers, wegen der bereits Ateliers und Gewerbeeinheiten in den historischen Remisen aufgegeben werden mussten.
Die alten Gebäudestrukturen sollen abgerissen werden, um auf der Fläche weitere Mikroapartments zu errichten, wie sie direkt nebenan mit dem “Campus Viva I und II” schon umgesetzt wurden. Gesetze, die die Durchsetzung von Milieu- und Artenschutz regeln, haben bisher die Zerstörung der historischen Gebäude im Hinterhof verhindert.
Am 8.1. wurde allerdings beschlossen, dass Nebengebäude, die lediglich Haustechnik enthalten, nicht länger geschützt werden müssen und abgerissen werden dürfen. Am Schluss knickt sogar die Naturschutzbehörde ein, die noch vor kurzem versprochen hatte, sich für den Erhalt der ansässigen Spatzenkolonie stark zu machen.
Dass sich das Blatt jetzt gewendet hat, ist nicht ganz überraschend, da der Eigentümer in letzter Zeit immer wieder mit Klagen, dubiosen Bauplänen und einer Abrissfirma angerückt war, um Druck für sein Bauvorhaben zu machen. Konnte der Einsatz eines Baggers am 6. Januar noch verhindert werden, wurden am 8. Januar bereits Bauzäune aufgestellt, die den Hinterhof als Baustelle bekräftigen.
Was war passiert? – Ortstermin, 8. Januar 7 Uhr
Man kann schon von einem Krimi sprechen, der sich hier abspielt. Vor dem Eingang der Koloniestraße 10 haben sich Polizei, Unterstützer*innen, Anwälte, Stadtteilvertretung, Naturschützer und die Bewohner des Hauses versammelt, um die Lage zu begutachten. Im Eingang steht ein Biertisch mit frischem Kaffee und Frühstück. Es ist dunkel und kalt, die Hausgemeinschaft kennt solche Situationen und kümmert sich um das leibliche Wohl ihrer Fürsprecher*innen.
Den angerückten Bauarbeitern sieht man den professionellen Tatendrang an, der vorerst noch vom Anblick der vielen Menschen ein wenig gebremst wird. Obwohl die Stimmung emotional aufgewühlt ist, bleiben alle ruhig, als sich die Anwälte und Gutachter*innen zur Ortsbegehung in den Hinterhof aufmachen. Die anwesenden Polizeibeamten bleiben freundlich-sachliche Fähnchen im Wind. “Wir sind erstmal auf keiner Seite. Wir warten ab, worauf sich die Anwälte der Parteien einigen und helfen notfalls dabei, die jeweilige Maßnahme umzusetzen”, so einer der Polizisten.
Wo Geld fließt, ist die Rechtslage leicht zu klären
Was sollen sie auch sonst tun in einem Rechtsstaat, der sie dafür bezahlt, dass Beschlüsse trotz unterschiedlicher Meinungen eingehalten werden. Vermutlich ist hier aber auch der Kern dieses “Possentheaters” zu finden, wie einer der Bewohner die Ansammlung zynisch einordnet. “Die können hier heute nichts abreißen, wir haben so viele Argumente auf unserer Seite”, so der hoffnungsvolle Ton des Bewohners, der lieber anonym bleiben möchte. “Die Remisen sind milieugeschützt, die artenschutzrelevanten Brutstätten der Spatzen fallen unter das Naturschutzgesetz. Außerdem gibt es Haustechnik in ein paar Nebengebäuden. Die Tanzschule, der Sportraum. Da läuft ja die Heizung. Solche Gebäude kann man nicht ohne Genehmigung zerstören”.
Man kann.
Dass hier Geld in viele Richtungen fließt, ist nicht von der Hand zu weisen. Als ein Auto in der Einfahrt des Grundstücks hält, geht ein Ruck durch die Bauarbeiter-Mannschaft, sie laufen dem Aussteigenden entgegen, der sofort mit einigen Geldscheinen wedelt. Ein Vorgesetzter des Abrissunternehmens, wie sich später herausstellt. Verschämt winken die Männer ab, wollen das angebotene Geld nicht annehmen, weil alles bereits bezahlt wurde. Auch die Polizei lehnt die angebotene Kaffeebestellung des großzügigen Unternehmers höflich ab.
Während im Hinterhof über die Zukunft der Kolonie 10 entschieden wird, werden die Freunde und Unterstützer*innen zurückgehalten, die Besprechung soll möglichst unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden. Inzwischen sind auch Bezirksstadtrat Ephraim Gothe, die Untere Naturschutzbehörde und Rainer Altenkamp, 1. Vorsitzender des Naturschutzbundes eingetroffen, um die Lage einzuschätzen. Kurzes Aufatmen in der Menge, beinahe könnte man annehmen, dass jetzt ein Machtwort im Sinne des Naturschutzes und urbaner Biodiversität gesprochen wird. Aber weit gefehlt.
Vertrauen in Naturschutzbehörde und Bezirksamt gebrochen
Tatsächlich ist Altenkamp hier im Auftrag des Bauherrn und nur vor Ort, um die Abrissgenehmigung durchzuwinken. Der Bezirksstadtrat steht daneben, während die Vorkehrungen getroffen werden. Sein Hinweis, dass ein Abriss eigentlich illegal ist, stößt auf taube Ohren bei Bauunternehmen, Anwälten und der Naturschutzbehörde. Nach jahrelangem Bangen geht plötzlich alles ganz schnell. Der Bauunternehmer betritt den Innenhof, einige Garagen werden mit dem Wort “bleibt” in grellem grün markiert, diejenigen also, die nicht abgerissen werden dürfen. Lackgeruch macht sich breit. Die Mannschaft der Bauarbeiter trägt Bauzäune herbei. Eine halbe Stunde später reißen die ersten Baggerarbeiten Löcher in die alten Remisen. Rechtswidrig!
Solche Aktionen stören das Vertrauen in Umweltschutzorganisationen und Verwaltung nachhaltig, das ist auch deutlich im Umfeld der Kolonie-Bewohner herauszuhören.
“Wie kann das sein?!”, wundert sich Caroline Seige, vom AG Artenschutz, die seit 2020 Gutachten für die Kolonie erstellt hat und immer zur Stelle war, wenn die Bagger anrücken wollten, insgesamt 4 illegale Abrissversuche zählten die Bewohner in den letzten Jahren. “Das Gutachten von Herrn Altenkamp ist fachlich mehr als fragwürdig! Es gab keine Vorschläge zu Ausgleichs-Maßnahmen. Außerdem müssen hier zwingende Gründe des öffentlichen Interesses vorliegen, bevor etwas zerstört werden darf. Der Bauherr erfüllt nichts von alledem”, weiß die Umweltschützerin.
Meint: Der Bauherr hätte die Tiere eigentlich umsiedeln müssen, bevor er sich an den Abriss macht. Was als “zwingenden Gründe des öffentlichen Interesses” abgeleitet werden kann, erfährt man, wenn man sich genauer mit der Bezirkspolitik auseinandersetzt.
Wie sieht die Zukunft aus?
Das Katz- und Maus-Spiel mit den Berliner Behörden verläuft seit Jahren ähnlich. Es ist immer wieder dasselbe: Investoren und Bauherren schüchtern die Bezirksämter ein, die dann schlechte Vergleiche akzeptieren, weil sie Angst vor den hohen Kosten eines Gerichtsverfahren haben. Der Berliner Haushalt ist es bekanntlich nicht gut gewappnet in solchen Fällen. Für die urbane Kultur ist das ein ziemliches Problem, die auf diese Weise immer weiter verdrängt werden kann. Dafür gibt es demnächst vermutlich ein paar Mikroapartments mehr. In diesem Fall könnte man tatsächlich wieder auf das öffentliche Interesse verweisen, ist es doch ausgerechnet die Bundeswehr, die auf dem benachbarten “Campus Viva” einige dieser Appartments für ihre Mitarbeiter anmietet. Man darf sich wirklich fragen, wer hier eigentlich wem dient.
“Ich hätte mir mehr Engagement vom Umweltschutz gewünscht, hier wurden einige Verantwortlichkeiten verpasst”, ärgert sich auch Martha Kleedörfer, Sprecherin für Stadtentwicklung- und Wohnungspolitik der Bezirksverordnetenversammlung Mitte bei “Die Linke”. “So wie es gerade abgerissen wird, kann man hier doch gar nichts Neues bauen. Die einzelnen Garagen werden nur entfernt, um die Mieter zu schikanieren und auszubrennen. Während der Abriss stattfindet, wird noch geprüft, was abgerissen werden darf, das ist unglaublich.”
“Als Chef der NABU (Anm. d. Red.: Naturschutzbund) ist Altenkamp untragbar. Eine Naturschutz-Organisation sollte sich nicht für den Abriss von Stadtnatur einsetzen. Wir werden da eine kritische Anfrage stellen. Außerdem werden wir einen Antrag formulieren, der jeglichen Abriss unzulässig macht und das Bezirksamt auffordert, rechtliche Schritte gegen den Investor wegen der illegalen Abrissversuche einzuleiten”, fügt Kleedörfer hinzu.
Ob das für die Bewohner*innen der Koloniestraße noch rechtzeitig passiert, ist allerdings fraglich. Die Abrissarbeiten wurden im Verlauf des Tages irreparabel fortgeführt. Auf dem Instagram-Account der Kolonie 10 finden sich Bilder der Zerstörung durch einen Bagger, die eigentlich rechtswidrig ist. Müssen wir jetzt auch um den Milieuschutz allgemein bangen?
NACHTRAG:
Die Naturfreunde Berlin e.V. planen eine Untersagung, die die Untere Naturschutzbehörde Mitte noch am 9. Januar erreichen wird. Gleichzeitig macht der Landschaftsarchitekt, der die Kolonie 10 erschaffen hat, sein Urheberrecht beim Bauherrn geltend, um weitere Schritte zu verhindern. Die Kolonie 10 kämpft weiter.
So richtig verständlich, weshalb dieser Abriss nun illegal ist, aber in Anwesenheit von Politik, Behörden, Anwälten, Verbänden und Polizeitrotzdem geschieht, ist der Artikel ehrlich gesagt nicht.
Vielleicht kann hier noch einmal nachgebessert werden, worauf diese Illegalität fußt.
Den Bewohnern erst einmal viel Kraft und volle Solidarität für die nächste Phase.
Bleibt zu hoffen, dass sich der Investor damit verhebt und durch dieses Vorgehen weiteres erst Recht verunmöglicht wird!
Das Verhalten der UnB sowie des Herrn Altenkamp ist unerträglich. genau diese Behörden/ Verbände, die sich eigentlich für den Erhalt der Stadtnatur einsetzen müssten, fallen dieser in den Rücken.
Danke für den ausführlichen Bericht, die Hintergründe und das Vor-Ort-sein. Ich war noch im Sommer mit dem Stadtrat bei einer Begehung in der Kolonie. Da hat er den Bewohnern noch Mut gemacht.