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Baptistenkirche in der Müllerstraße:
Ein offener Ort, der sich dem Wedding zuwendet

In die­ser Ecke des Wed­ding, zwi­schen Arbeits­agen­tur und neu­en Büro­ge­bäu­den, muss­te man frü­her schon ein wenig suchen, um die Bap­tis­ten­kir­che zu fin­den. An sich ist die Kapel­le als neu­go­ti­scher, turm­lo­ser Back­stein­bau ein typi­scher Ver­tre­ter des Kir­chen­baus des spä­ten 19. Jahr­hun­derts. Doch nach dem vier­jäh­ri­gen Umbau mit­samt Fas­sa­den­ver­klei­dung ist das Got­tes­haus ein modern wir­ken­des, selbst­be­wusst auf­tre­ten­des Zen­trum der bap­tis­ti­schen Freikirche.

Was als ers­tes auf­fällt, wenn man von der Stra­ße, ist das Por­tal, das die Form der Vor­der­front der Kapel­le auf­greift und schon an der Mül­lerstra­ße dar­auf hin­weist, dass sich etwas Beson­de­res befin­det. Hier stand bis vor eini­gen Jah­ren noch ein Vor­der­haus. Die Kir­che befand sich also ein­mal im Hin­ter­hof – in der Grün­der­zeit war das typisch für klei­ne­re Reli­gi­ons­ge­mein­schaf­ten. Gemein­de­mit­glied Mir­ko Kor­manns­haus führt mich am Eröff­nungs­tag durch das Zen­trum. “Wir haben als 110 Mit­glie­der star­ke Gemein­de den Groß­teil der Bau­kos­ten bereits über Spen­den finan­ziert und nur einen klei­ne­ren Teil über ein Bau­dar­le­hen”, erklärt der Akti­ve nicht ohne Stolz. Bil­der im Trep­pen­haus ins Ober­ge­schoss zei­gen his­to­ri­sche Bil­der, die auf die beweg­te Geschich­te der Gemein­de ver­wei­sen. Ich fra­ge ihn, war­um die neu­en Räu­me vor das schö­ne Back­stein­ge­bäu­de gesetzt wur­den. “Das Grund­stück ist extrem schmal”, sagt Kor­manns­haus. Für den Neu­bau, bei dem noch die Hül­le des Back­stein­baus ein­be­zo­gen wur­den, blieb nur der Platz zur Stra­ße hin, der zum Teil auch unter­kel­lert wur­de. Außer­dem wur­de in 99 Meter Tie­fe nach Geo­ther­mie gebohrt. Auch dafür konn­ten zehn­tau­sen­de Euro an Spen­den gewor­ben wer­den. An beson­ders kal­ten Tagen springt bei der Fuß­bo­den­hei­zung aber auch eine Gas­hei­zung ein und heizt das gro­ße Gemein­de­zen­trum zusätzlich.

Dem alten Back­stein­ge­bäu­de, das Ende des 19. Jahr­hun­derts ursprüng­lich für eine katho­lisch-apos­to­li­sche Gemein­de gebaut wur­de, hat Archi­tekt Ulrich Arndt einen moder­nen, in Grau­tö­nen ver­klei­de­ten Anbau vor­an­ge­stellt. Ganz oben prangt mit einem gel­ben Kreuz das sicht­ba­re Zei­chen dafür, dass sich hier eine Kir­che, in die­sem Fall eine Frei­kir­che, befin­det. Im Inne­ren ist ein groß­zü­gi­ges, viel­fäl­tig nutz­ba­res Gemein­de­zen­trum entstanden.

Links die Trüm­mer­kir­che, in der Mit­te das Bild einer Tau­fe, rechts ein Rest der alten Fassade

Die Bap­tis­ten­ge­mein­de Wed­ding gibt es seit 1898, sie ist selbst­stän­dig orga­ni­siert. Eine gewähl­te Gemein­de­lei­tung küm­mert sich um die Belan­ge der Gemein­de. Das Gebäu­de nutzt sie seit den 1920er Jah­ren. 2023 fei­er­te die Gemein­de an ihrem heu­ti­gen Domi­zil in der Mül­lerstra­ße ihr 125-jäh­ri­ges Bestehen. Doch von der alten Kir­che ist außen nicht mehr viel zu sehen: die Zwi­schen­de­cke wur­de ent­fernt, der Dach­stuhl neu gebaut. Mit­ten im vor­ge­la­ger­ten Anbau ist der obe­re Teil des alten Haupt­tors noch im Ober­ge­schoss erleb­bar. Man kann durch den Bogen hin­durch­tre­ten und eini­ge dahin­ter­lie­gen­de Räu­me errei­chen, von denen zwei mit Glas­schei­ben zum Kirch­saal aus­ge­stat­tet sind. Hier liegt der Kin­der­club mit vie­len Spiel- und Bas­tel­mög­lich­kei­ten. Eben­falls im Ober­ge­schoss ist ein gro­ßer Raum für die Jugend­ar­beit, der sogar über eine Dach­ter­ras­se verfügt. 

Der alte Tor­bo­gen im Ober­ge­schoss und Räu­me für die Kin­der- und Jugendarbeit

Der Pas­tor Peter Jör­gen­sen zeigt stolz das mit fes­tem Glas ver­deck­te Tauf­bas­sin, das den Mit­tel­punkt des gro­ßen Kirch­saals dar­stellt. Hier fin­den an weni­gen Sonn­ta­gen im Jahr Erwach­se­nen­tau­fen mit Ein­tau­chen in das Becken statt. Der Raum selbst erin­nert auch sonst nicht an eine gewöhn­li­che Kir­che – er hat eine bun­te Wand­be­ma­lung im Graf­fi­ti-Stil, dafür kei­ne bibli­schen Moti­ve und kei­ne Orgel. Selbst der Altar ist eine umfunk­tio­nier­te Werk­bank aus der Zeit, als die Gemein­de wegen der Bau­ar­bei­ten in eine alte Kfz-Werk­statt aus­quar­tiert war. Im Kirch­saal fin­det nicht nur sonn­tags um 10.30 Uhr ein Got­tes­dienst statt, son­dern vie­le Ver­an­stal­tun­gen: Thea­ter­sport, Kon­zer­te und in der dunk­len Jah­res­zeit gibt es sogar einen Win­ter­spiel­platz mit Klet­ter­wand. Die frü­he­re Orgel brauch­te die mit viel Live-Musik und moder­ner Ton­tech­nik arbei­ten­de Gemein­de nicht mehr; sie steht inzwi­schen in der Kir­che von Michendorf. 

Die Bap­tis­ten­kir­che ist stark in ihrem ange­stamm­ten Kiez ver­wur­zelt. Der von ihr gegrün­de­te Ver­ein „WIR GESTALTEN e.V.“ enga­giert sich mit zahl­rei­chen Ehren­amt­li­chen für Bil­dung und Chan­cen­ge­rech­tig­keit. Nicht nur im Wed­ding, son­dern auch bei Part­ner­pro­jek­ten in Geor­gi­en und Kenia ist der Ver­ein aktiv. Auch für die Ver­eins­ak­ti­vi­tä­ten (Jugend­ar­beit, Sprach­kur­se, inter­re­li­giö­se Arbeit) wer­den die vie­len Räu­me im neu­en Kir­chen­ge­bäu­de benö­tigt. “Vie­les basiert hier auf dem Ehren­amt”, erklärt Mir­ko Kor­manns­haus, “jedes Mit­glied bringt sich so sehr ein wie es möch­te.” Dass dafür nun auch ein moder­nes und offe­nes Gebäu­de zur Ver­fü­gung steht, bie­tet dafür die idea­le Flä­che. Man merkt: Die Bap­tis­ten­kir­che will Teil des bun­ten und viel­ge­stal­ti­gen Wed­ding sein und ist alles ande­re als nur auf sich bezogen.

Web­site der Bap­tis­ten­kir­che, Mül­lerstr. 14a

Web­site Wir gestal­ten e.V.

Joachim Faust

hat 2011 den Blog gegründet. Heute leitet er das Projekt Weddingweiser. Mag die Ortsteile Wedding und Gesundbrunnen gleichermaßen.

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