Wer im Wedding hat ihn nicht, "seinen" oder "ihren" Dönermann? Meist bewahren sie auch bei größtem Andrang die Ruhe, merken sich die Sonderwünsche ihrer Stammkunden und haben trotzdem fast immer Zeit für ein freundliches Wort. Männliche Kunden werden oft kumpelhaft "Meister" genannt, Kundinnen können auch schon mal eine Charme-Offensive erleben.
Doch ganz ehrlich: Was wissen wir schon über den Mann (und ja, es gibt in der Branche fast nur Männer), der uns die Scheiben vom Dönerspieß abschneidet? Lassen wir doch einen Dönermann erzählen.
Abdulkadir Demir ist erst 22 Jahre alt und schon Geschäftsführer des Bahar Imbiss.
"Ich habe Fachabitur an der Ruth-Cohn-Schule für Sozialwesen gemacht, denn ich wollte einen Abschluss in der Tasche. Ich hatte aber eigentlich gar keine Lust auf Schule, wollte gleich arbeiten und Geld verdienen. Da bot sich der Imbiss von meinem Vater an, Vater meinte sowieso, du bist alt genug. Er hat aufgehört, ist zurück in die Heimat gegangen, nach Urfa, an der Grenze zu Syrien. Wir sind da früher ab und zu hingereist, geboren und aufgewachsen sind wir Kinder aber hier in Deutschland. Ich kann auch besser deutsch als kurdisch. Mein Bruder Halit ist 17, wird 18, kommt nach der Schule auch hier arbeiten. Unter uns Brüdern sprechen wir Deutsch."
So lange er sich erinnern kann, hat die Familie einen Dönerimbiss besessen.
"Als Vater das gemacht hat, hat er ungefähr das Dreifache verkauft. Nicht wegen des Preises, sondern weil es hier an der Ecke Osloer Ecke Prinzenallee viel weniger Konkurrenz gab. Ich habe als Jugendlicher mitbekommen, wie man so einen Laden führt, habe viel zugeguckt, man lernt das ja. Das Konzept habe ich von meinem Vater übernommen, ich musste nicht alles neu erfinden, es blieben auch viele alte Kunden. In den ersten Monaten war es ziemlich hart, da habe ich alles selbst gemacht, damit ich keine Kosten für Angestellte hatte. Und auch heute macht das viel aus: Wenn ich nur nach dem Geld gehen würde, müsste ich zwei Mitarbeiter einsparen."
Abdulkadir ist an der Osloer Straße Ecke Koloniestraße groß geworden und erst später Richtung Reinickendorf gezogen, kennt im Kiez aber immer noch gefühlt jeden.
"Alle von meiner Familie wohnen hier. Das hat auch Nachteile, man sieht die jeden Tag, das nervt mich manchmal (lacht). Es wird halt viel geredet, das ist wie auf dem Dorf. Die Jugendlichen sind am schlimmsten, die sind respektlos, die wachsen in einem Umfeld auf, in dem es keinen Respekt mehr gibt. Die Gesellschaft hat sich verändert. Es macht mich richtig sauer, wenn ich sehe, in welchem Aufzug mein Cousin herumläuft. Mit meinem kleinen Bruder klappt es besser, aber der arbeitet halt auch und hängt nicht den ganzen Tag auf der Straße rum. Ich finde, diese Respektlosigkeit liegt weniger an den Eltern als an dem Umgangston auf der Schule."
Der Bahar Imbiss an der Prinzenallee 21 Ecke Osloer Straße ist nach dem türkischen Wort für Frühling benannt. Der Imbiss verkauft Chicken- und Kalbfleisch-Döner und hat täglich von früh bis spät in die Nacht geöffnet. Derzeit ist das Gebäude eingerüstet, der Imbiss hat aber weiterhin offen und liegt preislich unter dem Niveau der meisten Dönerimbisse im Wedding. Da der Laden fast durchgehend geöffnet ist, bringen viele Kunden gerne ihre Schlüssel in den Imbiss, wenn sie sicherstellen wollen, dass jemand ihren Schlüssel dort abholen soll.
Jeden Tag, sieben Tage die Woche - wie sieht eigentlich ein ganz normalen Tag im Leben eines Dönermanns aus?
"Ich stehe um 6.50 Uhr auf, um 7.20 Uhr bin ich zu mir gekommen. Ich nehme immer die gleiche U-Bahn um 7.55 Uhr vom Franz-Neumann-Platz bis Osloer. Das sind dann 12 Minuten von mir zu Hause bis hier, wenn ich die richtige Straßenbahn kriege. (Es hupt, und er schaut kurz heraus auf die Straße).
Wir bestellen das Gemüse immer für zwei Tage: eine Kiste Salat pro Tag, Tomaten eine halbe Kiste. Ab 11 Uhr kommen die ersten Kunden. Mein Kollege Ibrahim kommt am Mittag und schneidet das Gemüse, zwei Mal am Tag, bis 17, 18 Uhr, dann wird der Tresen nachgefüllt. Bis 15 Uhr sollte der erste Schwung reichen, dann räumen wir alles nach vorne. Es muss immer frisch sein, man kann sich das nicht erlauben, keine frischen Sachen zu verkaufen. Auch unseren Stammkunden ist das wichtig und die bestehen auf Frische.
"Wie viele Leute kommen, hängt vor allem von Bauarbeitern ab"
Den Laden schließe ich auf und esse ein bisschen Frühstück. Um 8 Uhr kommen zwei Spieße von unserem Lieferanten Meva, tiefgefroren, die tauen dann erst mal ungefähr 40 bis 60 Minuten lang auf. Die Zeit vergeht morgens sehr langsam. Ich habe gerade mit Rauchen aufgehört. Es ist aber noch ganz frisch, erst vor zwei Wochen, da ich war krank und dann habe ich nicht geraucht. Ich glaube, ich habe aus Langeweile geraucht. Das war nicht gut. Aber im Moment schmeckt mir nicht mal der Kaffee.
Ab 15 Uhr bis 20 Uhr wird es ruhiger, und danach kommen Stammkunden, die von der Arbeit kommen, da weiß ich meistens schon, wie die Bestellung aussieht. Wie viele Leute am Ende des Tages kommen, hängt vor allem von den Bauarbeitern ab. Bauarbeiter schauen gerne auf den Preis. Bei uns essen viele Chicken, gerade die Bauarbeiter, die lieben Chicken, überhaupt wie viele unserer polnischen Gäste. Gegen 20, 21 Uhr ist auch noch viel los, und wir müssen sehen, dass wir alles abverkaufen. Was uns finanziell sehr hilft, ist, dass wir Spielautomaten im Hinterzimmer haben, die finanzieren die relativ niedrigen Preise im Imbiss und die Gehälter der Mitarbeiter, das deckt unsere Nebenkosten ab."
Zwei Dönerspieße am Tag, das ist eine Menge Fleisch. Worauf achtet ein Dönerimbiss und wie viel geht am Ende über die Theke?
"Vom Kalbfleisch verkaufen wir 25 Kilo, vom Hühnerfleisch vielleicht 10 Kilo. Am Abend verschenken wir auch das Fleisch an Hundebesitzer. Wenn alle Stammkunden an einem Tag kommen, geht der ganze Spieß locker weg. Hier ist viel Konkurrenz, wir beeinflussen uns gegenseitig. Die Sperrung am U-Bahnhof Pankstraße und die dortige Baustelle haben uns sehr geholfen. Manche Moslems meiden uns, weil wir Alkohol verkaufen. In meiner Familie gibt es auch streng Religiöse, die nicht bei mir essen.
Ich gebe viel umsonst an Bekannte ab. Mindestens zehn Kunden am Tag sind Familie oder Bekannte. Was weh tut, ist, wenn sie sich Getränke nehmen (schlägt die Hände über dem Kopf zusammen). Aber was soll ich machen? Schon mein Vater hatte darauf bestanden, kein Geld von der Familie zu nehmen. Sonst heißt es ganz schnell, man wäre nicht großzügig. Ich kann und ich will niemanden ausschließen. Aber ganz ehrlich: die kleinen Cousins sind am schlimmsten." (lacht)
Abdulkadir erzählt, dass er oft darauf angesprochen wird, dass sein Döner zu den Besten im Kiez zählt. Wie schafft der Bahar Imbiss das?
"Wir müssen hier hohe Qualität bieten, denn sonst kommen keine Stammkunden mehr. Wir haben die höchste Qualitätsstufe, kurz vor Yaprak Döner, der ist eine Stufe höher, mit mehr Fettaroma. Das ist eigentlich kein Imbiss-Döner mehr, der eignet sich eher für Tellergerichte. Bei den Lieferanten gibt es große Unterschiede, man kann zwischen Dutzenden Lieferanten auswählen. Jeder Dönerlieferant hat seine eigene Mischung an Gewürzen. Es gibt Nicht-Halal-Döner für ländliche Döner-Imbisse, bei uns im Wedding kommt sowas nicht in Frage! Das Chickenfleisch kommt aus Polen, das Kalbfleisch eher aus Deutschland. In der Firma, wo wir das Fleisch kaufen, da kannst du vom Boden essen, so sauber ist das. Keine einzige Schuhsohle hat den Boden berührt. Das Fleisch esse ich selbst ja auch."
"20 Prozent meines Körpers bestehen aus Döner, Halloumi und Falafel"
Apropos. Kann ein Dönermann eigentlich selbst noch Döner essen?
"Ganz klar ja! 20 Prozent meines Körpers bestehen aus Döner, Halloumi und Falafel. Aber mir geht es immer noch gut. Döner ist gesund, außer das Brot, das lasse ich manchmal weg. Mich macht Döner müde, das ist das Brot, daher mische ich gerne Salat, Fleisch, Soße in eine Döner Box, Low Carb sozusagen. Ich esse meinen Döner selbst mit Kräuter- und scharfer Sauce, Salat komplett, scharfes Pulver drauf, manchmal auch Käse. Wenn ich eine Döner Box esse, kombiniere ich alle drei Saucen. Am besten schmeckt einfach Döner, der mit Liebe gemacht wird. Ich esse bis zu zwei Mal Döner am Tag, wenn ich das selbst nicht vertragen würde, würde ich es nicht verkaufen. Ich habe nie woanders gegessen, verhungern werde ich auf jeden Fall nicht! (lacht) Was vielleicht etwas Besonderes bei uns ist: Man kann bei uns auf jedes Gericht kostenlos Grillgemüse dazu bekommen, auch Jalapenos. Alles außer Käse, das kostet extra.
"Elektrisch schneiden geht gar nicht. Ein guter Dönermann schneidet mit Messer!"
Döner-Schneiden ist so eine Sache. Was meint Abdulkadir dazu?
"Elektrisch schneiden geht gar nicht. Ein guter Dönermann schneidet mit Messer! Man muss das lernen, das ist eine Kunst. Denn du schneidest besser und dünner mit dem Messer und quetschst dasn Fleisch nicht. Man muss das Messer auch schleifen, mindestens einmal am Tag. Jeder hat seine eigene Technik zu schneiden. Wir brauchen mehrere Messer im Jahr, etwa vier oder fünf. Ich hab schon mit 16 das erste Mal geschnitten, wenn ich nach der Schule im Imbiss geholfen habe."
Warum gibt es eigentlich so wenig Döner-Verkäuferinnen?
"Ich würde eine Frau einstellen, wenn sie schneiden kann, aber wenn, dann mittags, nicht abends. Da gibt es viele Betrunkene, ich möchte sie dem nicht aussetzen. Selbst wenn das vielleicht mehr Kunden anlocken würde, und auch viel mehr Kinder."
"Es ist anstrengend, wenn man 4 Stunden am Stück schneidet. Einmal war meine ganze Haut rot."
Heute als Geschäftsführer steht Abdulkadir nicht mehr die ganze Zeit am Tresen, doch er weiß: Es ist ein harter Job.
"Heute überwache ich fast nur, schaue mir die Ware an, das alles ist wichtig, ich muss da nicht mehr die ganze Zeit stehen. Ich hab die Verantwortung, das ist nicht körperlich anstrengend, davon bekomme ich höchstens Kopfschmerzen. Wir wechseln uns manchmal ab und dann springe ich auch schon mal ein. Ich schneide gerne ab, aber es ist anstrengend, wenn man 4 Stunden am Stück schneidet. Einmal war meine ganze Haut rot, man merkt das gar nicht, und man nimmt immer die gleiche Hand. Das merkt man abends in der Schulter!"
Der Mitarbeiter bei Bahar zeigt stolz auf einen Fleisch-Döner, es gibt aber auch vegane Sandwichs.
Was viele Weddinger umtreibt, ist die Inflation, die sich gerade auch besonders bei den Dönerpreisen bemerkbar macht. Wie hat Abdulkadir das erlebt und was sind die Gründe für die Preissteigerungen?
"Ein Beispiel: Wir haben früher in großen Mengen Mayo für 8 Euro gekauft, jetzt kostet es 23 Euro. Das Fleisch ist etwas teurer, Brot ist fast gleich geblieben. Aber die Saucen, der Salat, das Gemüse, alles ist proportional viel teurer geworden als das Fleisch selbst.
Seit anderthalb Jahren haben wir ein Gerüst vor dem Haus, und das ruiniert mich, ganz ehrlich. Was kann man da machen? Vielleicht die Miete senken, aber die ist schon sehr billig, wir haben einen alten Mietvertrag, daher können wir den Döner für 6 Euro mit Kalbfleisch und für 5 Euro mit Hühnerfleisch verkaufen. Als Schüler-Döner kostet die Chicken-Variante 4 Euro, 5 Euro mit Kalbfleisch. Den Schüler-Döner haben sich früher alte Menschen sozusagen ergaunert, haben angeblich für ihre Kinder einen kaufen wollen (lacht). Wir haben viele Kinder, die ziehen uns ganz charmant ab, zahlen nur 1 Euro statt 1,50 Euro, aber das ist nicht schlimm, weil ich sie glücklich machen möchte. Das sind halt die Kunden der Zukunft.
Ich versuche auch, an den Personalkosten zu sparen. Daher komme ich selbst früh am Morgen, damit meine Mitarbeiter nicht so viel arbeiten müssen, ich als Chef decke die schwachen Stunden ab. Jeden Tag, keinen Tag Pause, das mache ich, bis mein kleiner Bruder und mein noch kleinerer Bruder das in ein paar Jahren übernehmen können."
"Ich habe Respekt vor meinen älteren Mitarbeitern"
Eine Zeitlang hat Abdulkadir auch TikTok-Live-Videos aus seinem Imbiss gemacht.
"Aber das ist schnell aus dem Ruder gelaufen, ich habe da 300 bis 400 Euro Spenden verdient pro Woche, viele Frauen haben mich mit Spenden gefüttert. Ich bin richtig durcheinander gekommen, die haben mich besucht, manchmal sogar extra ein Hotelzimmer in Berlin gebucht. Ich hatte Angst, dass mein Ruf dadurch kaputt geht. Vielleicht mache ich das später mal wieder, wenn mein jüngerer Bruder das hier übernimmt."
Wie ist es für einen 22-Jährigen, schon so viel Verantwortung zu tragen?
"Den Laden wollte ich von Anfang an haben, ich bin mit 22 schon Chef, aber ich habe ältere Mitarbeiter, vor denen ich natürlich auch großen Respekt habe. Von meinen Freunden haben viele einen eigenen Laden. Die Väter haben immer gearbeitet, der Start war für ihre Söhne vielleicht leichter als für andere. Zu mir haben manche gesagt: Du machst dich kaputt, mach' das nicht, aber ich weiß doch, dass ich es für mich mache. Ich lebe nicht schlecht, ich verdiene mein Brot damit. Aber ich habe auch jahrelang keinen Urlaub mehr gemacht, aber jetzt kann ich auch mal am Ende der Saison im August eine Auszeit planen.
Es ist so: Ich könnte in der Türkei im Lotto gewonnen haben, und doch werde ich als Unverheirateter nicht ernst genommen. Dass sich jetzt schon einen eigenen Laden habe, ist für die Familie ganz selbstverständlich und gilt nicht als was Besonderes. "Vielleicht heirate ich nächstes Jahr. Je früher ich heirate, desto besser: Jetzt bin ich noch der Sohn von meinem Vater, aber sobald ich heirate, gelte ich ein eigenständiger Mensch. Dann kann ich auch in der Familie mitbestimmen."
Fotos: Andaras Hahn
Tolles Portrait eines sympathischen Mannes und ein interessanter Blick hinter die Kulissen einer Weddinger Institution.
Das ist ein supertoller Bericht über einen Menschen, so wie ich sie mag. Das ist ja richtig herzerwärmend. Ich muss da direkt mal hingehen. So ein junger Mensch und ist so fleissig und vernünftig. Der hat einen direkten Durchblick.
wunderbares Interview, ja so lebendiger wie anrührender Bericht des Abdelkadir: inhaltlich sowieso, das sagt der Sohn eines Gastronomen - genauer, erst im ehemals französischen Sektor von Berlin sicher verständlich: Sohn eines Maître de Cuisine -
den es nach 14 Jahren im Wedding nach Tiergarten verschlagen hat. Ich bin der
Peter - erreichbar über
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