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Ungewöhnliche Fabrik im Sprengelkiez:
Als im Wedding Flugboote gebaut wurden

Vor 100 Jah­ren begann eine unge­wöhn­li­che Fabrik im Wed­ding zu pro­du­zie­ren. Inmit­ten von Wohn­bau­ten ent­stand 1924 eine Fabrik für Flug­zeu­ge, zwi­schen Spren­gel- und Kiautschou­stra­ße – da, wo sich heu­te der Spren­gel­park erstreckt. Ein sti­li­sier­tes Flug­zeug am Park­ein­gang hat euch viel­leicht schon ein­mal erstaunt. Wie kam es dazu, dass mit­ten im Wohn­ge­biet Flug­zeu­ge gebaut wurden?

Bereits ab etwa 1870 gab es auf dem Gelän­de zwi­schen Torf‑, Trift- und Tege­ler Stra­ße (die Samoa- und die Spren­gelstra­ße exis­tier­ten noch nicht) eine Fabrik. Dort wur­den Eisen­bahn­wag­gons her­ge­stellt. Für die Fabrik wur­de eigens ein Hafen­be­cken ange­legt, das Anschluss an den Ber­lin-Span­dau­er-Schif­fahrts­ka­nal hat­te. Schon 1879 ende­te die Pro­duk­ti­on, und die Fabrik­hal­len wur­den als Lager­ge­bäu­de genutzt. 1902 wur­de das Gelän­de par­zel­liert, die Sprengel‑, Samoa- und die Kiautschou­stra­ße entstanden.

1924 wur­de der nicht mit Wohn­häu­sern bebau­te Teil des Gelän­des von der Rohr­bach-Metall­flug­zeug­bau GmbH erwor­ben. Adolf Rohr­bach hat­te zunächst Zep­pe­li­ne bei Dor­nier in Fried­richs­ha­fen gebaut, bevor er sich mit sei­ner eige­nen Fir­ma selbst­stän­dig mach­te. Dem Deut­schen Reich war es unter­sagt, Mili­tär­flug­zeu­ge zu bau­en. Viel­leicht war das der Grund, die Fabrik mög­lichst unauf­fäl­lig mit­ten im Wed­din­ger Spren­gel­kiez zu bau­en. Die Fer­ti­gungs­hal­le war 60 Meter lang und 46 Meter breit. Sie wur­de 1927 bis zur Spren­gelstra­ße erwei­tert. Der Haupt­ein­gang mit­samt Büro­ge­bäu­de befand sich aller­dings an der Kiautschoustraße.

Ein bedeu­ten­der Auf­trag, der 600 Men­schen Arbeit geben soll­te, kam 1927 von der Luft­han­sa: Sie bestell­te drei Flug­boo­te, die zwölf Pas­sa­gie­re über 4.000 Kilo­me­ter weit trans­por­tie­ren konn­te. Die­ses Boot hat­te Rohr­bach unter dem Namen “Romar” kon­stru­iert. Sei­ne Trag­flä­chen hat­ten eine Spann­brei­te von 37 Metern, der Rumpf war 22 Meter lang. Der “Roma“r muss­te wie­der zer­legt wer­den, um bis zum Nord­ha­fen und dann nach Tra­ve­mün­de trans­por­tiert zu wer­den. Erst­mals in die Luft ging er 1928, aller­dings kam er nie in den Lini­en­be­trieb, Fol­ge­auf­trä­ge blie­ben aus. Das brach­te die Fabrik Rohr­bach in gro­ße Schwie­rig­kei­ten; sie wur­de von der Weser-Flug­zeug­bau über­nom­men. End­gül­tig schloss sie 1937. Das Gelän­de wur­de von der Fer­ti­gungs­ge­rä­te­bau GmbH über­nom­men. Wahr­schein­lich wur­den dort kriegs­wich­ti­ge Rüs­tungs­gü­ter gebaut, auch unter dem Ein­satz von Zwangs­ar­bei­tern. 1944 wur­den das Büro­ge­bäu­de voll­stän­dig und die Fabrik­hal­le teil­wei­se durch Bom­ben­tref­fer zer­stört. Die rest­li­chen Gebäu­de­tei­le der Hal­le sowie wei­te­re Hal­len und Werk­stät­ten wur­den in der Nach­kriegs­zeit gewerb­lich genutzt. Die Mete­or Ven­ti­la­to­ren-AG pro­du­zier­te dort von 1954 bis 1967 Ent­lüf­tungs­an­la­gen. 1967 kauf­te das Land Ber­lin das Gelän­de, auf dem sich meh­re­re klei­ne­re Gewer­be­be­trie­be befan­den. In den bei­den Flach­bau­ten an der Kiautschou­stra­ße hat­ten noch eine Tisch­le­rei und eine Arzt­pra­xis überlebt. 

2004 wur­de beschlos­sen, dass das Gelän­de als Aus­gleichs­flä­che für Bau­maß­nah­men der Deut­schen Bahn genutzt wer­den soll. Ein klei­ner Park für den dicht bebau­ten Spren­gel­kiez soll­te es wer­den. Dafür wur­den im Jahr 2004 alle Gebäu­de­tei­le (außer Flach­bau­ten an der Kiautschou­stra­ße) abge­ris­sen. An ihrer Stel­le ent­stand der klei­ne, aber fei­ne Spren­gel­park. Von Indus­trie ist nun im Spren­gel­kiez, der inzwi­schen als gute Wohn­la­ge gilt, nichts mehr zu erah­nen. Nur noch am Ein­gang zum Spren­gel­park an der Spren­gelstra­ße zeigt das sti­li­sier­te Flug­zeug, wel­che erstaun­li­che Indus­trie­ge­schich­te hier geschrie­ben wurde.

Infor­ma­tio­nen ent­nom­men aus der Bro­schü­re “Vom High-Tech-Stand­ort zum Spren­gel­park”, 2005

Noch mehr unge­wöhn­li­che Pro­duk­te aus dem Wed­ding fin­det ihr hier

Spren­gel­park

Joachim Faust

hat 2011 den Blog gegründet. Heute leitet er das Projekt Weddingweiser. Mag die Ortsteile Wedding und Gesundbrunnen gleichermaßen.

4 Comments Leave a Reply

  1. Juten Mor­jen

    dit is mal ooch wie­der so ein pri­ma Arti­kel übern Wed­ding.… dit hab ick so ooch noch nich jewusst, obwohl dort in die Ecke mal Fami­lie jewohnt hat – aba an die Tisch­ler­bu­de kann ick mir noch erinnern 

    Könn­te man aus all die­sen Arti­keln nicht ein Buch machen ? ick würd eens koofen !!

  2. Trotz­dem soll­te fest­ge­hal­ten sein, dass die Zep­pe­li­ne eine Sack­gas­se der tech­ni­schen Ent­wick­lung dar­stell­ten. Ihre gefähr­li­che Tech­nik ist nicht sicher zu beherr­schen. Zep­pe­li­ne konn­ten sich gegen die Flug­zeu­ge nicht durch­set­zen, weil sich zu vie­le dra­ma­ti­sche, töd­li­che Abstür­ze ereig­ne­ten, auch infol­ge von Ent­zün­dun­gen des Gases, mit dem sie gefüllt sind.

  3. Auf alten Plä­nen ist zu erken­nen, daß die Fabrik sogar einen Bahn­an­schluss hatte,er führ­te vom Bahn­hof Wed­ding vor­bei am Koh­len­bahn­hof der. Fenn­str. Durch die Stra­ßen, heu­te kaum noch vorstellbar.

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