Der Nachmittag hat gerade seinen Ruhepuls erreicht. Im Wedding vermischen sich leise Wochentag und Wochenende – it’s Friday. Ich sitze im neu eröffneten Second-Hand-Vintage-Laden „Mercatino“ in der Neuen Hochstraße 24 auf einem senfgelben Vintage-Sessel und unterhalte mich mit Bettina, der Besitzerin. Es ist, als wäre sie geradewegs einer Polaroidaufnahme entsprungen, die dabei nach dem finnischen Modelabel Marimekko und Jazz klingt.


Sie liebt Streifen und trägt Kleidung wie andere Leute Gedanken: intuitiv, durchdacht, manchmal mit Knopfverlust. Mercatino ist ihr zweites Wohnzimmer – oder ihr erstes literarisches Werk. Nur eben aus Textil.


Gerade einmal einen Monat geöffnet, und schon jetzt wirkt der Laden wie eine feste Größe innerhalb der Nachbarschaft. Vielleicht, weil er mehr ist als ein Laden: ein Raum zwischen Erinnerung, Kleidung und Kunst.
Im Hintergrund: Etta James. Im Vordergrund: Vitrinen voller silberner 20er-Jahre-Schühchen, handgemalte Katzenbilder (alle von Bettina selbst gemalt, trotz Katzenallergie), Stoffe mit Geschichte und ein kleiner Tisch, der schon im Wedding stand, bevor irgendwer von Upcycling sprach.


"Ich wollte schon mit 16 einen Second-Hand-Laden", sagt Bettina. "Jetzt ist es endlich soweit."
Begehbarer Kleiderschrank mit Haltung
Das Mercatino ist nicht groß, aber es denkt groß. Die Idee: kuratierter Second-Hand statt Kleiderwühl-Berge. Kein Humana-Charme, kein industrielles Flohmarkt-Flimmern, sondern: Einzelteile mit Erzählpotenzial. Rund 85 Prozent der Stücke sind "klassisch feminin" geschnitten, doch auch maskulin gelesene Schnitte finden sich. Viele der Kleidungsstücke stammen direkt von Bettina selbst. Andere werden von Kund:innen auf Kommissionsbasis gebracht – aber nur, wenn sie schon gelebt haben. Fast Fashion wird möglichst vermieden, Leinen bekommt aber eine Ehrenrunde.


"Ich habe hier auch Kleidungsstücke, die ich seit meiner Jugend besitze", erinnert sich Bettina.
"Manche Stücke trage ich noch. Andere wohnen jetzt hier. Viele Teile kamen aber von Fremden, die ihren Shirts, Schuhen oder Blazern neue Erzählungen schenken wollen.“, erzählt sie und zeigt auf ein Kleid, das vermutlich mehr Geschichten kennt als so mancher Wedding-Altbau.


Warum im Wedding?
"Weil ich finde, dass der Wedding genau so einen Laden gebraucht hat. Einen kleinen, liebevollen, keinen Überfluss-Laden. Einen Ort zum Stöbern, aber auch zum Verweilen. Wo die Geschichten der Kleidung das Verkaufsargument sind, nicht der Preis.“
Tatsächlich erinnert das Mercatino ein wenig an ein liebevoll eingerichtetes Wohnzimmer mit Ladentheke. Hier wird gestöbert, gelacht, Musik aus einem süßen Vintage-Radio gehört.


"Wenn ich irgendwann ein kleines Café im Laden einbaue, wäre der Ort komplett", sagt Bettina. "Vielleicht kommt das ja noch."
Wer hier shoppt? Menschen mit Herz und Haltung
Das Mercatino ist für alle da, die nicht nur ein Outfit, sondern eine Geschichte suchen. Die nicht über Trends nachdenken, sondern über Herkunft. "Ich glaube daran, dass Kleidung ein Gedächtnis hat", sagt Bettina. Sie erzählt von einer alten Handtasche, in der sie einen Zettel fand: "Diese Tasche bekam ich zum 15. Geburtstag von meiner Oma." Und plötzlich hat ein Ding eine Stimme. Eine Geschichte. Einen Ursprung.


Die Preise? Fair. Eine Bluse gibt’s ab 15 Euro, viele Teile bewegen sich zwischen 20–70 Euro. Wer hier etwas kauft, nimmt mehr mit als Textilien – nämlich Haltung und Stoffe, aus denen Geschichten wurden.
Man hört zu, wie Bettina erzählt – über Nachhaltigkeit, über das zärtliche Aufbegehren gegen das Immer-Neue. Und man versteht: Mercatino verkauft nicht Kleidung. Mercatino verleiht Identität. Nur Secondhand. Aber ziemlich erstklassig.


Und wie geht’s weiter?
Bettina denkt über Kooperationen mit lokalen Läden nach. Eine Vintage-Modenschau in den Uferstudios, vielleicht. Ein symbiotisches Kopfkribbeln mit dem unweit entfernten "Found in Wedding" vielleicht?
"Ich bin offen für alles, was sich gut anfühlt."
Während draußen der Wedding dampft und die E-Roller ihren ewigen Slalom tanzen, schimmern im Laden bunt-gelebte Leben und Zukunftsnostalgie. Irgendwo zwischen einem Marimekko-Kleid und einer ¾-Hose in 8XL wartet sie: die Kleidung, die dich schon kennt, bevor du sie trägst.
Und wer Glück hat, findet noch einen Zettel in einer Tasche. Vielleicht steht dort: „Dieses Kleid kennt ein großes Geheimnis. Willst du es erfahren? / Trag mich, um es herauszufinden.“


Mercatino – Second-Hand & Vintage
Neue Hochstraße 24, 13347 Berlin-Wedding
Di–Fr 13–19 Uhr, Sa 12–19 Uhr
(PayPal oder Barzahlung. Kartenzahlung wird bald möglich sein)
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Eine Geschichte, die Lust auf den Laden, und mehr solcher Geschichten macht!
Wunderbar.