Das Handwerk des Steinbildhauens beherrschen nur sehr wenige, und manchmal liegt diese Kunst in der Familie. „Mein Vater war damals in Pasewalk angestellt in der Steinmetz-Produktionsgenossenschaft”, erzählt der 49-jährige Sohn. Nach seiner Steinmetz-Lehre sei sein Vater überall hingefahren und habe die Grabsteine nach Kundenwünschen verziert. Das bildhauerische Talent ist auf Daniel Niemann und seinen Bruder übergegangen.
„Man findet im Osten Deutschlands kaum jemanden, der das noch so kann“, sagt der Steinbildhauer. Im Wedding ist die Werkstatt durch Niemanns Vorgänger Hohlfeld bekannt, der mehrere Filialen rund um die Friedhöfe am Plötzensee besaß. Zu der Zeit, als Niemann die Werkstatt 2014 anmietete, war es mit dem florierenden Geschäft jedoch vorbei. Weil der St. Johannis- und Heiland-Friedhof aufgelassen und damit verbunden auch die Grabstätten geräumt wurden, verwandelte das Niemann zu seinem Vorteil: „Ich habe mir dann die Genehmigung von der Friedhofsverwaltung geholt, um mir einige zum Schreddern bestimmten alte Materialien und Grabsteine zu sichern und wegzubringen”. Diese schaffte er dann mit seinem Bruder eigenhändig mit dem Bänkwagen aufs Werkstattgelände. Der schwerste wog rund 600 kg. Doch das war es ihm wert: “Man braucht ja Material, um seine künstlerische Tätigkeit umsetzen zu können”, sagt Niemann.
So bekommen bei Niemann auch alte Grabsteine ein zweites Leben.
Doch die eigentlichen Kunstwerke lassen sich in der Stein-Ausstellung besichtigen, die Niemann vor der Werkstatt, einsehbar von der Straße aus, aufgebaut hat. Egal, was das Herz begehrt: Niemann macht etwas aus den Steinen, auch aus denen mit einem Sprung oder einer Macke. „Manchmal sitze ich da und überlege, wie man alles aus dem Stein herausholt, zum Beispiel ein Surfbrett mit Segel. Eher selten kommt es vor, dass die Leute zu Lebzeiten einen Stein bestellen, meistens sind es die Hinterbliebenen.“ Doch es müssen gar nicht immer Grabsteine sein. Auch als Hingucker oder Erinnerung für den Garten, als Stele mit der Hausnummer oder sogar für einen Wildpark eignen sich die Steine, aus denen Niemann Motive herausarbeitet.
Obwohl Niemann das Talent in die Wiege gelegt wurde, kam er erst über Umwege zur Steinbildhauerei. „Ich habe die 10. Klasse der POS in Templin beendet. Dann habe ich erst mal Zimmermann gelernt und später umgeschult auf Kaufmann im Groß- und Außenhandel”, erzählt Niemann. Für einen Praktikumsplatz landete er dann bei einem Grabmal-Großhändler. “Dieser hat mein Talent erkannt und gefördert.“
So kam es, dass Niemann für verschiedene Grabmal-Großhändler als freischaffender Künstler und Steinbildhauer arbeitete und deren Grabsteine mit Ornament verschönerte, bevor sie an die einzelnen Steinmetzbetriebe ausgeliefert wurden. “Dank meiner eigenen Werkstatt am Nordufer kann jetzt jeder Kunde und jede Kundin die eigenen Ideen durch mich umsetzen lassen”, erklärt der Bildhauer. Das macht sich natürlich auch im Preis bemerkbar, da durch Eigenproduktionen Zwischenhändler wegfallen.
Mag er eigentlich alle Aufträge? „Ich denke, ich kann fast alles. Nur Porträts mache ich nicht, da lasse ich eher die Finger von. Bei einem Vogel oder einer Rose ist es leichter, das realistisch zu machen. Bei Menschen das Individuelle genau zu treffen, das ist wirklich schwer.“
Bei der eigentlichen Arbeit steht Daniel Niemann inmitten der vielen Steine draußen vor der Werkstatt. Denn beim Behauen mit Hammer und Meißel fliegen die abgesplitterten Steinstücke in alle Richtungen. Vor allem die Feinarbeit mit der Flex ist sehr staubig und erfordert das Tragen einer Schutzbrille. Zunächst skizziert er das Motiv aus dem Gedächtnis auf den Teil des Stein, aus dem die Figur entstehen wird. Niemann ist ein Künstler mit dem Schleifgerät. Innerhalb kurzer Zeit kann man die Form des Vogels, den er herausarbeitet, schon erahnen. Eine besondere Affinität hat er als Norddeutscher für Findlinge, wie es sie in seiner vorpommerschen Heimat oft gibt. Wenn man ihm ein solches Relikt der Eiszeit bringt, meißelt und schleift Niemann das gewünschte Motiv mit der Flex. „Ich finde immer eine Möglichkeit“, sagt er.
Welches Motiv erschafft er am häufigsten? „Rosen sind die beliebtesten Motive, aber auch Tiere wie Singvögel, Eulen, Katzen, Hunde.“ Naturmotive liegen ihm besonders. „Ich mache das immer sehr realistisch.“ Dafür googelt und skizziert er lange, bis er die Bildidee mit der steinernen Vorlage in Einklang gebracht hat. Sein vielleicht eindrücklichstes Tier ist eine lebensgroße Echse, die scheinbar den Stein hochklettert. Sie wurde mit Steinmetz-Schriftfarbe koloriert und leuchtet in blaugrün.
Eines von vielen Tieren im Reich von Daniel Niemann, dem Stein-Tätowierer vom Plötzensee.
Bildhauerei-Werkstatt, Nordufer 40, Tel. 017621754053