Wenn dein Fahrrad klingt wie ein Italo-Western, brauchst du jemanden wie Mesut. Ein Besuch bei Pank Bike wird zur epischen Reise durch kalten Fahrtwind, philosophisches Kopfkino und einen Schraubenschlüssel voller Herz.

Rau und mit 'ner fiesen Linken schlägt mir das Kalt entgegen. Böen, Winde und Verwehungen pinseln mir ein gesundes Rot aufs Gesicht. Catrice für Studierende, auch wenn die Zeit schon Äonen her ist. Ich pflücke mich durch den Morgen, links, rechts, Fahrradweg entlang. Heute Nacht gab's nen ansatzweise flockig-adjustierten Schlaf. Nich grandios, nich beschämend.
Aber ich fall' nich vom Rad und das is' manchmal mehr life-goal als so 'n Tag überhaupt vertragen kann. Die Kette spielt ihre eigene Melodie vom Tod, da schwingen Morricone und Bronson gleichermaßen mit. Staubiger Boden, verlassene Holzhütten, irgendwo schmettert ein rostiges Windrad im Westen aller Western. Eine Mundharmonika setzt an, bläst unermüdlich bis zum unausweichlichen Ableben. Die Bremsen stimmen mit ein. The good, the bad, fehlt nur noch die hässliche Seite der dreiseitigen Medaille. Mit Füßen bringe ich den Lebensdrang des Vorderrads zum Erliegen. Schaltung schnappt ein, schaltet aber nich weiter: The ugly. Einiges oder, doch weniges?, später reißt der Sporen berittene Mantel des Hinterreifens: The deadly.
Also doch: Die 4 Seiten einer Medaille. Die Gedanken an “Was würde Mutti mir da jetzt flüstern?” schlängeln sich durchs Oberstübchen (Archaismen sollen ja ne belebende Wirkung in Texten haben).

Das Zweirad hat’s dann, nach 2 Jahren kompletter Vernachlässigung und täglicher Benutzung, doch mal verdient: Ein Spa, eine Stunde Reinigung, Luftholen, ungebremst, mal loslassen. Der Schwabe in mir meint, dass man das selber machen kann. Der Realist und Menschenfreund überlässt das Ganze dann doch lieber Personen, die das Radl sicherer und nicht noch tödlicher hinbiegen können. Im Wedding gibt es ja eine lebendige Fahrradreparatur-Werkstattsgemeinde.
Case in point: knapp 500 Meter von meiner Wohnung entfernt findet Maps die 9 m² große Fahrradreparaturwerkstatt “Pank Bike”. Pankstraße 62. Weil das “F” von Fahrrad an der 6. Stelle und das “B” von Bike an der 2. Stelle im Alphabet steht. Deshalb Hausnummer 62 und aus keinem anderen Grund! Auf dem Plattenspieler meines Gehörgangs geigt direkt “Chi Mai” von Morricone los. Die Titelmelodie von “Der Profi”, because thematisch is' das 'n richtig gut gewählter Song. Mit meinen professionellsten “Ich hab keine Ahnung von der Materie, aber kriegen wir das für unter 15 Euro hin”-Lachfalten begrüße ich ihn. Er mich. Und so weiter. Mesut, Besitzer und Faktotum des Ladens, steht wohlüberlegt auf, kommt zu mir raus und erkundet the good, the bad, the ugly and the deadly. Kette, Bremsen, Mantel, Schaltung — die Vierfaltigkeit, bei der nur noch mitleidig angeschaut wird. “Fährst du oft damit?”, fragt er. “Täglich im Gebrauch”, ich. Sein Blick klingt, als würde er sagen: Wenn das stimmt, wäre dein Besuch vor 2.000 Kilometern sinnvoller gewesen. Aber you've come to the right place. Keine Sorge.

Und die mach ich mir jetzt auch nicht mehr. Mesut hat mich mit seiner Art überzeugt, kein Von-oben-herab, kein Rumgequatsche, kein anderes Bike. Alles wird inspiziert, anerkennendes Nicken gibt's gratis dazu (weil neue Lichtmaschinerie) und wenig später wird ein Post-It, mit allen Vitaldaten und Ausbesserungen, ans Gestänge gepappt.
“Brauchst du das heute noch?“
“Ach was. Wobei, morgen streiken die ja immer noch, oder? Also.. wenn du’s hinbekommst, ja.”
“Alles klar, ich ruf dich dann an, was ich alles machen muss und was es kosten wird. So in 2-3 Stunden.”
“Klingt absurd schnell, aber Deal.”
Er schiebt das grüne Hercules beiseite und kümmert sich um den Nächsten. Inzwischen sind nämlich zwei neue Reparatur-Kläuse angeschoben gekommen. Ich tippe mit zwei Fingern an die Stirn, zur Verabschiedung. Mache ich natürlich nicht, bin ja kein:e Busfahrer:in. 2-3 Stunden also. Es fühlt sich nackig an, ein Fahrradloser Nackedei.
Ich schiebe, kontemplierend, mein imaginäres Rädchen die kleine Anhöhe hoch und wenig später in den Hinterhof. Und jetzt? Was mache ich denn jetzt 2-3 Stunden lang? Um der ganzen Stimmung treu zu bleiben, schaue ich “Für eine Hand voll Dollar”. Leone, Eastwood, Morricone. Zumindest läuft der epochale Soundtrack dazu durch die kleinen Verwehungen in meinem Zimmer. Aufgeregt und in Erwartung auf den Anruf sitze ich, kaue Tabak. Die Kamera schwenkt von meinem Gesicht, zur Pflanze, zum Fenster, zum Stofflöwen, zum Piano, zu mir and repeat. Die Bahnhofsszene aus “Spiel mir das Lied vom Tod” schaut mütterlich-anerkennend zu.

Vielleicht müsste ich einfach mal nen Tee aufsetzen. Das is doch sowas, dass oft gemacht wird in Filmen, Serien. Wenn man auf was wartet und sich die Zeit vertreiben muss. Irgendjemand schlägt dann doch immer vor, 'nen Tee oder Kaffee aufzusetzen. Für Kaffee is' es jetzt aber zu spät und Tee is keiner da. Na also, heißes Wasser tut’s auch. Zwischendurch tippe ich noch die Nummer der Großeltern ins Telefon, es klingelt. Opa geht ran, erzählt, berichtet, führt aus. Ich frage mehr nach als sonst was. Ich will ja schließlich auch was wissen. Das Gespräch tröpfelt gemächlich zu Ende. Ich frage mich danach die Fragen, die ich mich nach solchen Unterredungen immer frage: Kennen wir uns denn überhaupt? Wie schaffe ich es, mehr als 5 Minuten mit ihnen zu reden? Was wissen sie von mir, außer den Dingen, die wir aktiv miteinander erlebt haben?
Die Fragerei wird jäh unterbrochen und Mesut ruft an. Verbindung ist undankbar und durch das ganze Knacken und Rauschen klingt es, als würde ich mit einer Aubergine aus Lametta telefonieren. Wir wechseln zu Whatsapp, da geht's. Er schreibt, was gemacht werden muss, 80 Euro für alles. Mein Wissen bei Fahrradpreisen beschränkt sich darauf, dass ich Reifen an manchen Fahrradläden umsonst aufpumpen kann. Scheint also fair zu sein. Und selbst wenn nicht, I'll never know. Aber Mesut vertraue ich. Er strahlte professorisches Wissen und buddhistische Vertrauenswürdigkeit aus. 80 Euro, let's do it. In einer Stunde sei er fertig und mein Hercules Radl möchte dann auch bitte gleich abgeholt werden. Nich über Los gehen, sondern ohne Umwege, diagonal, direkt zu “Pank Bike”.
Um 17.30 Uhr komme ich, füßisch, bei Meister Mesut an. Sein Ohr hängt noch kurz am Telefon, dann winkt er mich zu sich rein. Er erklärt mir alles, was er denn so gemacht habe. Bremsen neu, vorne und hinten. Hinten sogar 'ne komplett neue Leitung gelegt. Kette gereinigt und geölt. Mantel gewechselt und alles aufgepumpt, was sich aufpumpen lässt. Zusätzlich hat er mir die Pedale gewechselt und 'nen neuen Sitz draufgeschraubt, da mein alter inzwischen aussah wie n ausgeweidetes Tier in jeder handelsüblichen Savanne. Dieses Elend konnte er sich wohl nich mehr länger mitansehen.
Kurze Testfahrt — kein Vergleich zu davor. Plötzlich liegt mein Rädchen so elegant und aufgepumpt auf der Straße, als würde es von Hermes getragen werden. Das Treten geht fast mühelos und die Bremsen lassen das Rad, bei Betätigung, tatsächlich anhalten. Der Maître de Vélo stellte mir noch kurz den Sitz richtig ein. Modus: Hüne. Geld wird überreicht, Danke auf türkisch probiert sowie auch, aus zu übergriffigem Enthusiasmus, ein “Ich küss dein Herz” dahin geplaudert. Er nimmt es mit einem Lächeln an und denkt sich dabei hoffentlich nichts, worin die Worte “Kartoffel” und “Nächstes Mal reicht ein Danke” vorkommen. Die Wörter beseelt, saumselig, schwärmerisch, beglückt und enthusiasmiert brodeln in mir hoch.

Auf der Heimfahrt entfalten sich mir die Worte, wie ich da so der äußerst geneigten, west-stehenden Sonne entgegenbrause. 'Ne Brise der Inspiration flammt in mir auf. Meine spirituelle Schaltung im Geist wird flink hoch geregelt. Marke: Shamano (höhö). Mit gierigen Pedaltretern träume ich vor mich hin und rieche den umstehenden Alltäglichkeiten ihre Sorglosigkeit an. Wenn es jetzt daheim dann gleich Pommes gäbe, wäre der Tag mit Wirbelwonne komplettiert. Ich war aber heute nich mehr einkaufen, also gibt's Brot und Butter. Gesalzen. Is auch 'n Win, irgendwie.
