Mastodon

Ein Jahr nach der Schließung:
Sie waren Karstadt: Portraits ehemaliger Mitarbeitender

Seit dem 31. Janu­ar 2024 ist Kar­stadt am Leo­pold­platz geschlos­sen. Das mar­kan­te Beton­ge­bäu­de mit rot-metal­li­scher Fas­sa­de gehört seit 1978 zum fes­ten Inven­tar des Leo. Selt­sam leer wirkt der Platz nun ohne sein eins­ti­ges Herz­stück, an des­sen Stel­le nur noch ein ver­wais­ter Eck­mo­no­lith auf­ragt. Die Plä­ne zur Wie­der­be­le­bung des Gebäu­des ver­zö­gern sich.

Die Baye­ri­sche Ver­si­che­rungs­kam­mer, die seit der Plei­te des Signa-Kon­zerns allei­ni­ger Besit­zer des Hau­ses ist, plant zwar ein mul­ti­funk­tio­nel­les, futu­ris­ti­sches Zen­trum, ein „Kauf­haus der Zukunft“, zu bau­en, jedoch wird die nächs­ten drei Jah­re vor­erst kein Stein ver­setzt. Vor­über­ge­hend soll Lidl ein­zie­hen.

Wäh­rend das inne­re Gerüst des Waren­hau­ses und sei­ne äuße­re Fas­sa­de zuneh­mend in sich zusam­men­ge­fal­len sind, hat die Beleg­schaft durch alle Kri­sen hin­durch eng zusam­men­ge­hal­ten. Knapp ein Jahr nach Schlie­ßung der Filia­le, am 18. Janu­ar, haben sich die Kar­städ­ter im “Schin­ken” wie­der­ge­trof­fen, einer hei­me­li­gen Alt­ber­li­ner Knei­pe in direk­ter Nach­bar­schaft zu Kar­stadt. Bei üppi­gem Buf­fett und Ever­greens tau­schen sich die frü­he­ren Kol­le­gen über alte Zei­ten und neue Lebens­we­ge aus. Der Zusam­men­halt ist spür­bar. Was ist aus all den enga­gier­ten Mit­ar­bei­ten­den gewor­den, die das Kiez­le­ben so berei­chert haben? Wir haben mit eini­gen von ihnen gespro­chen und mehr über ihre Erleb­nis­se bei Kar­stadt und neue Lebens­ent­wür­fe erfahren.

Die ehe­ma­li­gen Mit­ar­bei­ten­den bei der Kranz­nie­der­le­gung vor dem Karstadt-Gebäude

Anja

“Ich war 33 Jah­re bei Kar­stadt. Die Zeit war toll. Es war schon sehr beson­ders, dort zu ler­nen und zu arbei­ten. Die Bedin­gun­gen wur­den schlech­ter, doch wir haben als Kol­le­gen gut zusam­men­ge­hal­ten. Es gab ein gutes Arbeits­kli­ma unter dem Stress, den wir damals hat­ten. Wir haben viel gekämpft. Erst war die Mül­lerstra­ße auf der Schlie­ßungs­lis­te, dann wur­de sie wie­der run­ter­ge­nom­men. Der Bezirk wur­de ein­be­zo­gen, die Poli­tik hat mit­wir­ken wol­len, sol­len. Aber ist lei­der nicht pas­siert. Und immer die­se Angst. Wir wol­len noch nicht aus­ein­an­der­ge­hen. Kar­stadt ist wich­tig für die Mül­lerstra­ße und die Umge­bung. Denn, wenn man rum­guckt, war das auch Betreu­tes Woh­nen. Vie­le aus unse­rer Kli­en­tel waren recht alt. Die sind mal ’nen Kaf­fee trin­ken gegan­gen, haben mal ’nen Stoff gekauft. Für uns war wich­tig, dass sowas nicht ver­schwin­det, dass das Inter­net nicht alles schluckt. Und wir woll­ten unse­re Arbeits­plät­ze erhal­ten, obwohl wir nicht mehr tarif­be­zahlt wur­den seit Jahr­zehn­ten, kein Urlaubs­geld bekom­men haben. Aber wir dach­ten, das ist schon in Ord­nung, wir krie­gen das irgend­wie hin. Wir sind schon so lan­ge Zeit zusam­men. Im Betriebs­rat haben wir ganz nah mit­be­kom­men, um was es hier geht. Wir haben ver­sucht, das hier zu hal­ten, aber es hat ein­fach nicht gereicht.

Die Hoff­nung stirbt natür­lich zuletzt. Aber die Jah­re ver­gin­gen und irgend­wann war uns klar: Signa ist vor­bei. Ich bin der Mei­nung, dass es in ein bis drei Jah­ren über­haupt kein Kar­stadt mehr in Ber­lin geben wird. Die machen alles platt. Kauf­haus ist nicht mehr zeit­ge­mäß, lei­der. Dabei ist es so wert­voll. Ich gebe immer das Bei­spiel mit Nadel und Faden, mit Wol­le. Ich brauch einen Knopf, ich brauch eine Sicher­heits­na­del, dann geh ich zu Karstadt.

Ich war 21 Jah­re in der Her­ren­kon­fek­ti­on und den Rest danach Kas­se. Alles immer hier. Danach sind wir mit vie­len Kol­le­gen zur DRV Bund gegan­gen. Es gab die Mög­lich­keit, dort Arbei­ten zu machen, die uns lie­gen und für die wir qua­li­fi­ziert sind. Seit August 23 bin ich bei der DRV in der Reha-Abtei­lung. Bis zum Schluss habe ich es hier nicht aus­ge­hal­ten. Mein Leben geht ja wei­ter und man muss von irgend­was leben. Bür­ger­geld ist nicht so mein Fall. Das sind aber natür­lich him­mel­wei­te Unter­schie­de. Ich bin ein sehr kom­mu­ni­ka­ti­ver Mensch. Ich hab gern als Ver­käu­fe­rin gear­bei­tet, das hat mir Spaß gemacht. Stän­dig hat man Men­schen um sich. Man kann mit Oma ein paar Wor­te wech­seln, man kann sich auch mit Jugend­li­chen unter­hal­ten. Im Büro ist man allei­ne. Für mich ist es schon hart. Aber ich muss sagen, die Rah­men­be­din­gun­gen sind toll. Öffent­li­cher Dienst. Ich ver­die­ne ein Schwei­negeld für mei­ne Ver­hält­nis­se. Ich bin reich (lacht). Das Plus wiegt das Minus auf.

Natür­lich schau ich auch weh­mü­tig hier drauf. Ich fah­re viel­leicht zwei­mal die Woche hier vor­bei und geh ein­mal im Monat zur Blu­men­händ­le­rin. Wir heu­len ’ne Run­de, reden ein biss­chen und fra­gen uns: Was hat sich ver­än­dert? Ah schau, da ist Licht. Wir umar­men uns, ich lauf noch­mal rum. Ja, das tut schon weh.”

Annett

“Ich habe 35 Jah­re in die­ser Filia­le gear­bei­tet. Als es hieß, unser Haus macht zu, war das ein Schock. Es ist doch immer so gut gelau­fen. Soll­te man noch im „Ver­ein“ blei­ben oder sich lie­ber sagen: So mit mir nicht mehr? Das ist dein zwei­tes Zuhau­se gewe­sen. Da denkt man sich, das sitz ich jetzt aus. Aber man sieht ja, Gale­ria am Alex gibt’s bald nicht mehr, am Her­mann­platz wird’s weni­ger. Dann bis­te irgend­wann kein Unter­neh­men mehr. Ich war bei Kar­stadt Lebens­mit­tel. Ich hab den Absprung von Kar­stadt nicht geschafft. Aus der Lebens­mit­tel­s­par­te, kann ich sagen, wur­den alle ver­setzt. Wir sind nach Ste­glitz gegan­gen. Da wur­den wir mit offe­nen Armen emp­fan­gen, es gibt dort ein ähn­li­ches Kol­le­gi­ums­ge­fühl. Die sind ja unter­ein­an­der zusam­men­ge­wach­sen wie wir. Wir sind alle eine Fami­lie. Das Lebens­ge­fühl ist ähn­lich zu damals.

Aber der Weg zur Arbeit ist jetzt weit. Ich woh­ne ja hier oben im Nor­den. Plötz­lich kam der Kul­tur­schock und man muss­te U‑Bahn fahren.

Klar, habe ich Sor­ge, wie es wei­ter­geht. Aber so all­ge­mein, wenn man sich die Welt­la­ge ansieht. Man kann den Fern­se­her gar nicht mehr anma­chen. Ja, ich hab Angst, Zukunfts­angst. Aber ein Neu­an­fang mit 60 macht nicht viel Sinn. Wir haben eine Abfin­dung bekom­men, zwei Monats­ge­häl­ter. Ich sag mal: Vor 10 Jah­ren war das noch anders. Aber die Mana­ger ste­cken sich die Taschen voll. Und alles wird teu­rer. Die Kar­stadt­prei­se waren auch kein Geheim­nis und die Prei­se auf Weih­nachts­märk­ten sind ja jen­seits von gut und böse (lacht).

Mei­ne Kin­der bestel­len inzwi­schen fast alles im Inter­net. Aber die wol­len mir doch nicht erzäh­len, dass Online-Shop­ping umwelt­freund­li­cher ist. Die gan­zen Ver­pa­ckun­gen. Vie­le ent­sor­gen das, was zurück­ge­schickt wird und die Fah­rer sind arm dran. An jeder Ecke wur­den neue Geschäf­te hoch­ge­zo­gen. Aber ich kann mir schon vor­stel­len, dass sich das wie­der rege­ne­riert. So hab ich das eigent­lich im Kopf. Das wür­de ich mir wün­schen. Aber die­je­ni­gen, die heu­te 18, 20 und wat weiß ich sind, die ken­nen das dann nur noch so, dass man Sachen in einen Korb packt, das wird dann auto­ma­tisch ein­ge­scannt und abge­zo­gen. Was ist dar­an noch per­sön­lich? Nix! Ich hof­fe nicht, dass das so kommt.

Aber ich muss sagen, ich gehe immer noch ger­ne zur Arbeit in den Laden, weil das ein­fach ein ganz ande­res Ein­kau­fen ist. Bei uns gibt es beson­de­re Sachen, die man woan­ders nicht bekommt.” 

Herr Petersen

“Ich hat­te das Restau­rant, die Oase bei Kar­stadt im Kel­ler. Ich gehör­te indi­rekt zu Kar­stadt als Päch­ter. Das war was Eigen­stän­di­ges: Per­fet­to bei Peter­sen, ursprüng­lich Per­fet­to Treff. Wir gehör­ten ursprüng­lich zur Lebens­mit­tel­ab­tei­lung bei Kar­stadt. Ich hab als Ange­stell­ter da gear­bei­tet, hab aber vor­her schon­mal ’nen Laden gehabt. War im Ste­glit­zer Bereich, muss­te mein Restau­rant 2009 auf­ge­ben, weil da abge­ris­sen wur­de. Bin erst rum­ge­tin­gelt und hab dann 2010 bei Kar­stadt ange­fan­gen. Nach­dem es wie­der eine Kar­stadt-Kri­se gab und sie den Laden schlie­ßen woll­ten, hab ich den seit 2016 in eige­ner Regie geführt. Ich wuss­te, dass da Poten­zi­al besteht. Die haben mir gute Kon­di­tio­nen ange­bo­ten. Ich war das Kiez­re­stau­rant, hab zu 95 Pro­zent Stamm­gäs­te gehabt, bin mit ’ner 4,9er Goog­le Bewer­tung raus­ge­gan­gen. Am 30. machen wir ein Per­fet­to Revi­val Tref­fen mit mei­nen Stamm­gäs­ten. Also, wir haben alle die glei­chen Gedan­ken gehabt. Ich war der Chef­koch da. 2018 kam die nächs­te Kar­stadt-Kri­se und dann ging’s mit der Pan­de­mie los. Davor hat­te ich noch ’nen Koch, der auch her­vor­ra­gend war, mit dem auch mei­ne Gäs­te wun­der­bar klar­ka­men. Aber den hab ich ver­lo­ren, weil der gehei­ra­tet hat und in ein ande­res Unter­neh­men ein­ge­stie­gen ist. Danach hab ich immer mit Mini-Job­bern gear­bei­tet. Wäh­rend der Pan­de­mie hab ich drei Mal die Woche für zwei, drei Stun­den hier gear­bei­tet als Ansprech­part­ner für die Gäs­te. Ich hab auch vie­le älte­re Gäs­te gehabt, die zuhau­se in ihren Woh­nun­gen ein­sam sind. Damit sie einen Ansprech­part­ner haben. Es ging mir um die Sozi­al­kom­po­nen­te. Das hat ja kei­ne Umsät­ze gemacht. Und auch, um dem Stress zuhau­se zu ent­kom­men. Am Anfang konn­te ich noch Geträn­ke aus­ge­ben, das fiel spä­ter weg. Wirt­schaft­lich war das nicht. Die Pan­de­mie hat uns ganz schön gescha­det. Ken­nen tu ich sehr vie­le hier. Ich hab immer mit den Kar­städ­tern hier guten Kon­takt gehabt. Jetzt arbei­te ich als Ange­stell­ter in der Wil­mers­dor­fer Abtei­lung. Es fehlt so ein biss­chen die Indi­vi­dua­li­tät. Ich war damals sehr kun­den­ori­en­tiert, man konn­te die Bei­la­ge immer indi­vi­du­ell wäh­len. Bin jetzt mehr in der Büro­kra­tie, Waren­be­schaf­fung, Logis­tik. Ich wür­de lie­ber mei­nen Job wei­ter­ma­chen. Aber ich bin 56 und da macht der Kör­per auch nicht mehr alles mit. Des­we­gen ist das jetzt im Ver­hält­nis bes­ser. Mir wur­den drei, vier Läden ange­bo­ten, auch am Herr­mann­platz, aber ich habe abge­lehnt. Das hät­te ich auch in dem Stil machen kön­nen, wie ich es gemacht habe, aber das habe ich ver­wei­gert. Am Her­mann­platz das klei­ne Restau­rant ist doch auch schon lan­ge zu. Und das gro­ße Restau­rant macht jetzt zu.

Es war nicht nur das rei­ne Geko­che, son­dern auch das Gequat­sche. Mit­ein­an­der kom­mu­ni­zie­ren und har­mo­ni­sie­ren. Das Gemein­schafts­ge­fühl war vor Jah­ren eigent­lich noch bes­ser, aber da Kar­stadt ’ne Kri­se hat­te, haben wir die guten, die jun­gen Leu­te ver­lo­ren. Die Alten haben nur noch auf ihre Ren­te und ihre Abfin­dung gewar­tet. Das hast du auch am Ser­vice gemerkt, der ist immer wei­ter zurück­ge­gan­gen. Und die Jun­gen wur­den gekün­digt. Weil man nicht wuss­te, ob bald wie­der die nächs­te Kar­stadt-Kri­se kommt. Das schlaucht ja auch, weil man nie weiß, wie es wei­ter­geht, ist ja auch ’ne Existenzfrage.”

Barbara

“Seit 96 war ich bei Kar­stadt. In der Sport­ab­tei­lung, über Kas­se, über Ser­vice­team. Habe Kar­stadt als tol­les Unter­neh­men ken­nen­ge­lernt und hab gese­hen, wie dat alles Stück für Stück zer­pflückt wur­de. Hab mir die Haa­re gerauft. Wie kann man so wirt­schaf­ten, aber der klei­ne Mann wird nicht gefragt. Ich war hier bis zum Schluss. Bis das hier zuge­macht wur­de. Wir sind so ’ne klei­ne Fami­lie. Das freund­schaft­li­che Mit­ein­an­der haben die Chefs nie ver­stan­den. Also Mensch­lich­keit ist im Lau­fe der Jah­re ver­lo­ren gegan­gen sei­tens der Geschäfts­füh­rung. Das ist das, was mich so trau­rig macht. Die gan­zen Tarif­ver­zich­te, Urlaubs- und Weih­nachts­geld­ver­zich­te. Wir haben zwar durch die Gewerk­schaft Tarif­kämp­fe gemacht, aber das ist alles nicht so kor­rekt abge­lau­fen. Es gab vie­le Abspra­chen hin­ter ver­schlos­se­nen Türen. Immer wie­der falsch ein­zu­kau­fen, die fal­schen Geschäfts­prin­zi­pi­en durch­zu­set­zen. Die Mana­ger hät­ten ein­fach mit den Ver­käu­fern reden müs­sen. Wir wis­sen Bescheid, sind an der Ware, wir sind am Kun­den. Da weiß man genau, was kommt, was ver­kauft wird, was gewollt wird. Das ist alles nicht gut gelaufen.

Die letz­ten 10 Jah­re waren schon so ’ne Sache. Ich hab jetzt vier Insol­ven­zen mit­ge­macht und eine Kün­di­gungs­wel­le, wo zwei Tage lang schon Aus­ver­kaufs­schil­der hier hin­gen, die dann wie­der rück­gän­gig gemacht wur­de. Ich hab noch ’nen gut ver­die­nen­den Ehe­mann. Aber als Mut­ter, allein­er­zie­hend, hat man’s ganz schlecht. Das ist schon ’nen Druck, da muss man mit umge­hen. Aber so vom Team hier, 70 Pro­zent der Leu­te sind wegen dem Team geblie­ben. Wir haben immer zusam­men­ge­hal­ten. Wir haben uns gegen­sei­tig gehol­fen. Vor 10 Jah­ren waren wir 1260 Leu­te, am Ende waren es noch 107.

Die Leu­te jetzt wie­der­zu­se­hen, ja, das ist ein­fach wunderschön.”

Angie und Jens

Angie: “Ich war Erst­kraft im Bereich Schul‑, Leder­wa­ren und Strümp­fe. Ich bin Rent­ne­rin. Bis zum letz­ten Tag war ich Betriebs­rats­vor­sit­zen­de von die­sem Haus. 29 Jah­re war ich da. In der Kri­se sind die Mit­ar­bei­ter ja teil­wei­se weg­ge­we­sen. Auf der Flä­che waren wir zu zweit oder zu dritt. Das war trau­rig und schlimm. Wir haben gekämpft im Betriebs­rat. Waren bei der Arbeits­se­na­to­rin, beim Bür­ger­meis­ter, haben alles ver­sucht. Die Kri­sen wur­den immer schlim­mer, weil die Geschäfts­füh­rer gewech­selt haben. Bei dem letz­ten Geschäfts­füh­rer wuss­ten wir, dass der so ein Abwick­ler war. Da war uns klar, wir sind dran, das Haus wird jetzt auf­ge­ge­ben. Wir wur­den von allem abge­klemmt. Wenn man kein Tele­fon mehr hat, kei­nen Com­pu­ter, da braucht man nicht mehr arbei­ten. Aber die Mit­ar­bei­ter sind alle noch gekom­men und haben alles unterstützt.

Die letz­ten zwei Wochen über war die Kas­se voll und wir haben nur noch abge­fei­ert. Haben Musik gehört und „Reißt die Hüt­te ab“ gesun­gen. Es kam ja kein Kun­de mehr. Und wir haben Pic­co­los getrun­ken (lacht). Der Kun­de hat­te gar kei­ne Fra­gen mehr. Haben Sie die­sen Arti­kel noch? ’Ne Bera­tung gab es nicht mehr. Aber wir waren immer noch gewöhnt, dass alles sei­ne Ord­nung haben muss­te. Wir haben auf­ge­räumt wie die Ver­rück­ten. Mei­ne Schu­he waren als ers­tes alle ver­kauft. Dann haben sie alles run­ter­ge­fah­ren. Unten im Erd­ge­schoss waren nur noch die Ver­kaufs­flä­chen. Die Mit­ar­bei­ter sind raus und alles sah top aus.”

Jens: “Ganz zum Schluss war es schon wuse­lig. Die Gän­ge leer, irgend­wie war die See­le raus. Vie­le Mit­ar­bei­ter waren nicht mehr dort, Aus­hil­fen waren da. Die haben bloß noch auf­ge­passt, dass nicht geklaut wird, haben Waren­trä­ger zusam­men gescho­ben. Das hat natür­lich dem Kun­den auch kein zufrie­de­nes Ein­kaufs­er­leb­nis mehr verschafft.”

Angie: “Beim Umtausch war was los. Die Kun­den haben uns bemit­lei­det: “Oh mein Gott, dabei waren wir doch immer jeden Tag ein­kau­fen.” Ne, war’n ’se eben nicht. “Wir waren doch immer hier.” Ja, aber es hat nicht gereicht. Nach­her haben sich man­che Kun­den ver­ab­schie­det. Am 16. Janu­ar um 15:30 Uhr habe ich mit dem Geschäfts­füh­rer ent­schie­den, wir schlie­ßen das Haus. Dann soll­te ich vor­ne die Tür abschlie­ßen. Da war dann Schluss.

Bis zum 31.1. muss­ten wir alles weg­räu­men, die Schau­fens­ter­pup­pen muss­ten run­ter in den Kel­ler. Kun­den woll­ten die ja kau­fen. Es muss­te alles aus­ge­räumt wer­den, die Roh­ma­te­ria­li­en in ande­re Häu­ser. Es war logisch, dass sich man­che haben krank­schrei­ben las­sen. Ich war da mit zehn oder zwölf Mit­ar­bei­tern. Ein paar Sachen haben wir uns mit­ge­nom­men, zum Bei­spiel Givea­ways von der Par­fü­me­rie-Abtei­lung. Habe die in Rei­se­ta­schen gesteckt und den Mit­ar­bei­tern geschenkt. Auch Fri­sche­wa­ren und Geschirr.

Am 31.1. hab ich die Schlüs­sel der Rechts­an­wäl­tin von der Baye­ri­schen Ver­si­che­rungs­kam­mer über­ge­ben und gesagt, sie möch­ten das Haus bit­te in guten Hän­den wei­ter­füh­ren. Danach woll­te ich in den “Schin­ken” gehen, ’nen Wod­ka trin­ken, aber es war kei­ner hier (lacht).”

Jens: “Heu­te freue ich mich, dass wir uns hier alle wie­der­se­hen. Und dass der größ­te Teil von unse­rem Team das Leben nach Kar­stadt gut orga­ni­sie­ren konn­te für sich sel­ber. Jeder hat natür­lich jetzt so sei­nen eige­nen Weg gefun­den. Der eine ist in Ren­te gegan­gen, jemand anders arbei­tet wei­ter­hin bei Gale­ria. Es gibt nur ganz weni­ge, die auf der Stre­cke geblie­ben sind, was natür­lich trau­rig ist für die ein­zel­nen. Aber die gro­ße Mas­se, und davor hat­ten wir ja Angst als Betriebs­rat und dar­um haben wir immer gekämpft, die gro­ße Mas­se hat’s geschafft. Es herrscht hier eine gute Stim­mung heute.

Das Tref­fen haben Angie und Anja orga­ni­siert. Im Betriebs­rat haben wir uns vor­ge­stellt, dass nach dem Kar­stadt-Aus eine Abschieds­par­ty statt­fin­det. Das war unser Wunsch. […] Wir sind in die­se Ber­li­ner Kiez­knei­pe hier gegan­gen. Es war schön, weil Trä­nen geflos­sen sind. Die gan­ze Anspan­nung der letz­ten Wochen ist abge­fal­len, man wuss­te, es ist jetzt vor­bei. Damals haben wir gesagt, ein Jahr spä­ter wer­den wir uns hier wie­der­tref­fen. Das war unse­re Phi­lo­so­phie. Wir wol­len uns so ver­ab­schie­den. Ich hab immer gesagt, wir sind eine Fami­lie. Und das sind wir auch immer noch. Man­che haben sich vor Mona­ten das letz­te Mal gese­hen, aber man nimmt sich in den Arm und weiß, es ist so, als wenn es ges­tern war.

Ich selbst war nach Kar­stadt erst bei der Ren­te, zwei Mona­te, dann konn­te ich nicht mehr. Ich woll­te was mit Men­schen machen. Das ist ’n tol­ler Arbeit­ge­ber, aber es war nicht mei­ne Arbeit. Ich bin jetzt beim Land Ber­lin beim Lan­des­amt für Bür­ger- und Ord­nungs­an­ge­le­gen­hei­ten, der LABO. Da mach ich Aus­wei­se und Rei­se­päs­se für Obdach­lo­se und woh­nungs­lo­se Men­schen. Das erfüllt mich voll mit Freu­de, also Men­schen zu begeg­nen. Bei Kar­stadt muss­ten wir immer 120 % lie­fern, weil’s immer weni­ger Per­so­nal gab. Jetzt hab ich natür­lich bes­se­re Arbeits­zei­ten. Ich arbei­te im öffent­li­chen Dienst. Da muss ich mir kei­ne Sor­gen machen. Ich bin ein­fach nur dank­bar, dass ich da arbei­ten darf. Ich wäre heu­te wahr­schein­lich immer noch bei Kar­stadt. Aber ich muss­te gehen und dann woll­te ich auch. Ich woll­te was Neu­es machen. Ich glau­be für mich per­sön­lich habe ich das Bes­te dar­aus gemacht.

Manch­mal den­ke ich noch, es gab ja Leu­te, die kamen täg­lich. Die sind dann durch den Laden. Ich frag mich: Mensch, was macht denn die Frau Sowie­so? Und das wit­zi­ge ist, als ich hier­her gefah­ren bin, hab ich eine Per­son gese­hen, die immer in der Stoff­ab­tei­lung war und da dach­te ich: Wir sind im Kiez. Das sind Men­schen, mit denen man teils täg­lich in Kon­takt war und dar­um haben wir den Job ja auch so ger­ne gemacht. Das legt man nicht ab mit ’ner Kündigung.”

Auf dem Weg zur “Kranz­nie­der­le­ge­ung”

Rauch ver­teilt sich zuneh­mend in der Knei­pe, die von ange­reg­ten Gesprä­chen erfüllt ist. Das üppi­ge Buf­fet wird lang­sam leer­ge­ges­sen. Sogar ein Ehe­paar ist vor­bei­ge­kom­men, das zur Stamm­kund­schaft gehörte.

Gegen halb sie­ben ver­sam­meln sich die Kar­städ­ter vor dem „Schin­ken“ und tre­ten in eisi­ger Käl­te den Zug zum Kar­stadt-Eck an. Es wer­den Ker­zen und Grab­lich­ter ange­zün­det und ein Tan­nen­kranz wird vor­ne­weg getra­gen. Wie zurück­ge­kehr­te Zeit­rei­sen­de wir­ken die frü­he­ren Kar­stadt-Mit­ar­bei­ten­den, deren Hei­mat­ort nicht mehr der­sel­be ist. Teils has­ten sie, teils schlen­dern sie, zwi­schen hei­te­rer und melan­cho­li­scher Stim­mung. „Jetzt sieht man, wir hät­ten sogar viel län­ger drin blei­ben kön­nen“, mur­melt es zwi­schen rascheln­den Män­teln. „Ja.” Jemand lacht tro­cken. „Man­che gehen jetzt ins Gesund­brun­nen­cen­ter.“ Die Trau­be von Men­schen macht vor dem geis­ter­haf­ten Kubus Halt. Kar­stadt sieht innen wie leer­ge­fegt aus. Ver­ein­zelt erahnt man Tape­zier­zeug und Lei­tern. „Der Kranz, das ist ein­fach so eine klei­ne Ges­te für uns“, so Jens. Es sei auch eine Mah­nung, dass der Ein­zel­han­del ster­be, wenn man sich anse­he, wie die Innen­städ­te sich ver­än­dern. Wie schwie­rig das für das Zusam­men­le­ben sei.

„Ist das hier eine Beer­di­gung?“ hört man einen Jugend­li­chen im Ver­bei­ge­hen sagen. Sein Kum­pel in schwar­zer Jacke und Bag­gy-Jeans zieht ihn wei­ter. „Ja, von Kar­stadt.“ Die Kar­städ­ter schau­en ihnen nach. Der Kranz wird fei­er­lich in die Tür­klin­ke gehängt, die letz­ten Ker­zen ange­zün­det und auf­ge­stellt und es rol­len Trä­nen. Man nimmt sich in den Arm.

Fotos: Andar­as Hahn / @siehs_mal

6 Comments Leave a Reply

  1. Mei­ne Schwes­ter Bar­ba­ra Rei­se hat dort auch lan­ge gear­bei­tet, lei­der ist sie 2022 gestor­ben. Kennt sie noch jemand hier. Sie war in der Lebens­mit­tel­ab­tei­lung. Den Arti­kel fin­de ich sehr trau­rig, da ich auch im Ein­zel­han­del gelernt habe und viel Veständ­nis für die Men­schen, die dort arbei­te­ten und eine gro­ße Fami­lie waren, habe. Es ist scha­de, aber der Fort­schritt geht wei­ter und der Nor­mal­bür­ger ist ist immer an ers­ter Front.

  2. Da hel­fen kein Jam­mern und kein Weh­kla­gen. Es wur­de ser­viert, was die Kund­schaft bestellt hat­te. Tech­ni­scher Fort­schritt, der dem Men­schen dien­lich sein soll­te, zeigt sei­ne häß­li­chen Neben­wir­kun­gen. Heu­te die Schau­fens­ter im Inter­net, oder gehen wir zur Ver­deut­li­chung des gesell­schaft­li­chen Wan­dels mal etwas wei­ter zurück, bei­spiels­wei­se zur längst ver­ges­se­nen Meta­mor­pho­se der Jahr­hun­der­te wäh­ren­den Lebens­be­din­gun­gen durch dampf­be­trie­be­ne Kraft- und Arbeits­ma­schi­nen. Vor etwa zwei­hun­dert Jah­ren, mit Beginn der Pro­to­in­dus­tria­li­sie­rung, folg­te, noch for­ciert durch die Land­flucht in Fol­ge der Auf­he­bung der Leib­ei­gen­schaft, das jahr­zehn­te­lan­ge bei­spiel­lo­se Elend der Deut­schen, das man abso­lut nen­nen darf. Das gro­ße Hand­wer­ker­ster­ben, der abge­ma­ger­te Allein­meis­ter als Küm­mer­exis­tenz, nun­mehr dem Lum­pen­pro­le­ta­ri­at gleich­ge­stellt. 75% der sei­ner­zei­ti­gen Ber­li­ner Bevöl­ke­rung leb­te im staat­lich aner­kann­ten Zustand der Armut, war amt­li­cher­seits von Woh­nungs- und Schul­steu­er befreit. Erst die Indus­tria­li­sie­rung des Lan­des brach­te den Men­schen wie­der Lohn und Brot und bot Per­spek­ti­ven. Leben auf trü­bem Hin­ter­hof­ter­rain, den­noch weit­aus erträg­li­cher als das vor­ma­li­ge Dasein in kaser­nen­ar­ti­gen „Fami­li­en­häu­sern“, in denen sich oft vier Fami­li­en ein klei­nes Zim­mer tei­len muß­ten („Dies Buch gehört dem König“). Bei allem Ver­ständ­nis für die Küm­mer­nis­se der frü­he­ren Kar­stadt-Beleg­schaft, nie­mand wird hun­gern, alle wer­den ihr Dach über dem Kopf behal­ten kön­nen. Das gro­ße Elend bleibt ihnen erspart. Kein gna­den­lo­ser Exe­ku­tor, kei­ne Hun­ger­re­vol­ten oder das Kurie­ren indi­vi­du­el­len Fehl­ver­hal­tens im Arbeits­haus. Wer die Ver­gan­gen­heit nicht kennt, wird die Gegen­wart nicht verstehen.

  3. Tol­ler Arti­kel, dan­ke fürs Tei­len. Wir ver­mis­sen den Kar­stadt und die Gesich­ter, die dort all die Jah­re zuver­läs­sig zur Stel­le waren, auch sehr. Beson­de­re Grü­ße an Jens, der immer stets freund­lich in Sachen Kin­der­ge­burts­ta­gen und Weih­nach­ten bera­ten hat. Frau Sowie­so muss jetzt schwe­ren Her­zens woan­ders Spiel­zeug einkaufen…

  4. Ja sehr trau­rig! Ich bin im Wes­ten sozia­li­siert und da gehör(t)en Kauf­häu­ser – lie­be­voll Kack­stadt genannt – zur Lebens­qua­li­tät in der dama­li­gen sozia­len Markt­wirt­schaft: Aus­ge­such­te bewähr­te Arti­kel, wenig Beschiss, Umtausch fast immer mög­lich, ech­te Per­sön­lich­kei­ten als Ver­käu­fe­rin­nen! Viel Fach­kun­de. Ich bin rum­ge­kom­men, habe in meh­re­ren Bun­des­län­dern Deutsch­lands und auch in ver­schie­de­nen Stadt­tei­len Ber­lins gewohnt (ob West oder Ost, immer in Mauernähe).
    Und der Kar­stadt Wed­ding war über Jahr­zehn­te eine fes­te Grö­ße in mei­nem Leben!
    Was ich dage­gen an Beschiss und Ramsch erlebt habe, als mei­ne Arbeits­stel­le eine Zeit­lang in der Nähe des Ale­xa war. Wie noch nie in mei­nem Leben!
    Lei­der gibt es kein Buch über den Kar­stadt-Betrug aus gewerk­schaft­li­cher Sicht. Aber immer­hin gibt es „Arcan­dors Absturz“ des Wirt­schafts­jour­na­lis­ten Hagen Sei­del (2010). Da steht das wich­tigs­te drin.
    Ande­re Län­der kön­nen auch heu­te noch Kauf­haus, zum Bei­spiel in Paris. Oder das „Kauf­haus des Nor­dens“ (Kauf­haus Stolz) in 30 Städ­ten an der Nord- und Ostsee.
    Den ex Kar­stadt Ver­käu­fe­rin­nen und Ver­käu­fern wün­sche ich alles Gute! Ihr wart ein groß­ar­ti­ger Betrieb und seid unver­gess­li­che Persönlichkeiten!

Schreibe einen Kommentar

Your email address will not be published.

nachoben

Auch interessant?