Seit dem 31. Januar 2024 ist Karstadt am Leopoldplatz geschlossen. Das markante Betongebäude mit rot-metallischer Fassade gehört seit 1978 zum festen Inventar des Leo. Seltsam leer wirkt der Platz nun ohne sein einstiges Herzstück, an dessen Stelle nur noch ein verwaister Eckmonolith aufragt. Die Pläne zur Wiederbelebung des Gebäudes verzögern sich.
Die Bayerische Versicherungskammer, die seit der Pleite des Signa-Konzerns alleiniger Besitzer des Hauses ist, plant zwar ein multifunktionelles, futuristisches Zentrum, ein „Kaufhaus der Zukunft“, zu bauen, jedoch wird die nächsten drei Jahre vorerst kein Stein versetzt. Vorübergehend soll Lidl einziehen.
Während das innere Gerüst des Warenhauses und seine äußere Fassade zunehmend in sich zusammengefallen sind, hat die Belegschaft durch alle Krisen hindurch eng zusammengehalten. Knapp ein Jahr nach Schließung der Filiale, am 18. Januar, haben sich die Karstädter im “Schinken” wiedergetroffen, einer heimeligen Altberliner Kneipe in direkter Nachbarschaft zu Karstadt. Bei üppigem Buffett und Evergreens tauschen sich die früheren Kollegen über alte Zeiten und neue Lebenswege aus. Der Zusammenhalt ist spürbar. Was ist aus all den engagierten Mitarbeitenden geworden, die das Kiezleben so bereichert haben? Wir haben mit einigen von ihnen gesprochen und mehr über ihre Erlebnisse bei Karstadt und neue Lebensentwürfe erfahren.
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Die ehemaligen Mitarbeitenden bei der Kranzniederlegung vor dem Karstadt-Gebäude
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Anja
“Ich war 33 Jahre bei Karstadt. Die Zeit war toll. Es war schon sehr besonders, dort zu lernen und zu arbeiten. Die Bedingungen wurden schlechter, doch wir haben als Kollegen gut zusammengehalten. Es gab ein gutes Arbeitsklima unter dem Stress, den wir damals hatten. Wir haben viel gekämpft. Erst war die Müllerstraße auf der Schließungsliste, dann wurde sie wieder runtergenommen. Der Bezirk wurde einbezogen, die Politik hat mitwirken wollen, sollen. Aber ist leider nicht passiert. Und immer diese Angst. Wir wollen noch nicht auseinandergehen. Karstadt ist wichtig für die Müllerstraße und die Umgebung. Denn, wenn man rumguckt, war das auch Betreutes Wohnen. Viele aus unserer Klientel waren recht alt. Die sind mal ’nen Kaffee trinken gegangen, haben mal ’nen Stoff gekauft. Für uns war wichtig, dass sowas nicht verschwindet, dass das Internet nicht alles schluckt. Und wir wollten unsere Arbeitsplätze erhalten, obwohl wir nicht mehr tarifbezahlt wurden seit Jahrzehnten, kein Urlaubsgeld bekommen haben. Aber wir dachten, das ist schon in Ordnung, wir kriegen das irgendwie hin. Wir sind schon so lange Zeit zusammen. Im Betriebsrat haben wir ganz nah mitbekommen, um was es hier geht. Wir haben versucht, das hier zu halten, aber es hat einfach nicht gereicht.
Die Hoffnung stirbt natürlich zuletzt. Aber die Jahre vergingen und irgendwann war uns klar: Signa ist vorbei. Ich bin der Meinung, dass es in ein bis drei Jahren überhaupt kein Karstadt mehr in Berlin geben wird. Die machen alles platt. Kaufhaus ist nicht mehr zeitgemäß, leider. Dabei ist es so wertvoll. Ich gebe immer das Beispiel mit Nadel und Faden, mit Wolle. Ich brauch einen Knopf, ich brauch eine Sicherheitsnadel, dann geh ich zu Karstadt.
Ich war 21 Jahre in der Herrenkonfektion und den Rest danach Kasse. Alles immer hier. Danach sind wir mit vielen Kollegen zur DRV Bund gegangen. Es gab die Möglichkeit, dort Arbeiten zu machen, die uns liegen und für die wir qualifiziert sind. Seit August 23 bin ich bei der DRV in der Reha-Abteilung. Bis zum Schluss habe ich es hier nicht ausgehalten. Mein Leben geht ja weiter und man muss von irgendwas leben. Bürgergeld ist nicht so mein Fall. Das sind aber natürlich himmelweite Unterschiede. Ich bin ein sehr kommunikativer Mensch. Ich hab gern als Verkäuferin gearbeitet, das hat mir Spaß gemacht. Ständig hat man Menschen um sich. Man kann mit Oma ein paar Worte wechseln, man kann sich auch mit Jugendlichen unterhalten. Im Büro ist man alleine. Für mich ist es schon hart. Aber ich muss sagen, die Rahmenbedingungen sind toll. Öffentlicher Dienst. Ich verdiene ein Schweinegeld für meine Verhältnisse. Ich bin reich (lacht). Das Plus wiegt das Minus auf.
Natürlich schau ich auch wehmütig hier drauf. Ich fahre vielleicht zweimal die Woche hier vorbei und geh einmal im Monat zur Blumenhändlerin. Wir heulen ’ne Runde, reden ein bisschen und fragen uns: Was hat sich verändert? Ah schau, da ist Licht. Wir umarmen uns, ich lauf nochmal rum. Ja, das tut schon weh.”
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Annett
“Ich habe 35 Jahre in dieser Filiale gearbeitet. Als es hieß, unser Haus macht zu, war das ein Schock. Es ist doch immer so gut gelaufen. Sollte man noch im „Verein“ bleiben oder sich lieber sagen: So mit mir nicht mehr? Das ist dein zweites Zuhause gewesen. Da denkt man sich, das sitz ich jetzt aus. Aber man sieht ja, Galeria am Alex gibt’s bald nicht mehr, am Hermannplatz wird’s weniger. Dann biste irgendwann kein Unternehmen mehr. Ich war bei Karstadt Lebensmittel. Ich hab den Absprung von Karstadt nicht geschafft. Aus der Lebensmittelsparte, kann ich sagen, wurden alle versetzt. Wir sind nach Steglitz gegangen. Da wurden wir mit offenen Armen empfangen, es gibt dort ein ähnliches Kollegiumsgefühl. Die sind ja untereinander zusammengewachsen wie wir. Wir sind alle eine Familie. Das Lebensgefühl ist ähnlich zu damals.
Aber der Weg zur Arbeit ist jetzt weit. Ich wohne ja hier oben im Norden. Plötzlich kam der Kulturschock und man musste U‑Bahn fahren.
Klar, habe ich Sorge, wie es weitergeht. Aber so allgemein, wenn man sich die Weltlage ansieht. Man kann den Fernseher gar nicht mehr anmachen. Ja, ich hab Angst, Zukunftsangst. Aber ein Neuanfang mit 60 macht nicht viel Sinn. Wir haben eine Abfindung bekommen, zwei Monatsgehälter. Ich sag mal: Vor 10 Jahren war das noch anders. Aber die Manager stecken sich die Taschen voll. Und alles wird teurer. Die Karstadtpreise waren auch kein Geheimnis und die Preise auf Weihnachtsmärkten sind ja jenseits von gut und böse (lacht).
Meine Kinder bestellen inzwischen fast alles im Internet. Aber die wollen mir doch nicht erzählen, dass Online-Shopping umweltfreundlicher ist. Die ganzen Verpackungen. Viele entsorgen das, was zurückgeschickt wird und die Fahrer sind arm dran. An jeder Ecke wurden neue Geschäfte hochgezogen. Aber ich kann mir schon vorstellen, dass sich das wieder regeneriert. So hab ich das eigentlich im Kopf. Das würde ich mir wünschen. Aber diejenigen, die heute 18, 20 und wat weiß ich sind, die kennen das dann nur noch so, dass man Sachen in einen Korb packt, das wird dann automatisch eingescannt und abgezogen. Was ist daran noch persönlich? Nix! Ich hoffe nicht, dass das so kommt.
Aber ich muss sagen, ich gehe immer noch gerne zur Arbeit in den Laden, weil das einfach ein ganz anderes Einkaufen ist. Bei uns gibt es besondere Sachen, die man woanders nicht bekommt.”
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Herr Petersen
“Ich hatte das Restaurant, die Oase bei Karstadt im Keller. Ich gehörte indirekt zu Karstadt als Pächter. Das war was Eigenständiges: Perfetto bei Petersen, ursprünglich Perfetto Treff. Wir gehörten ursprünglich zur Lebensmittelabteilung bei Karstadt. Ich hab als Angestellter da gearbeitet, hab aber vorher schonmal ’nen Laden gehabt. War im Steglitzer Bereich, musste mein Restaurant 2009 aufgeben, weil da abgerissen wurde. Bin erst rumgetingelt und hab dann 2010 bei Karstadt angefangen. Nachdem es wieder eine Karstadt-Krise gab und sie den Laden schließen wollten, hab ich den seit 2016 in eigener Regie geführt. Ich wusste, dass da Potenzial besteht. Die haben mir gute Konditionen angeboten. Ich war das Kiezrestaurant, hab zu 95 Prozent Stammgäste gehabt, bin mit ’ner 4,9er Google Bewertung rausgegangen. Am 30. machen wir ein Perfetto Revival Treffen mit meinen Stammgästen. Also, wir haben alle die gleichen Gedanken gehabt. Ich war der Chefkoch da. 2018 kam die nächste Karstadt-Krise und dann ging’s mit der Pandemie los. Davor hatte ich noch ’nen Koch, der auch hervorragend war, mit dem auch meine Gäste wunderbar klarkamen. Aber den hab ich verloren, weil der geheiratet hat und in ein anderes Unternehmen eingestiegen ist. Danach hab ich immer mit Mini-Jobbern gearbeitet. Während der Pandemie hab ich drei Mal die Woche für zwei, drei Stunden hier gearbeitet als Ansprechpartner für die Gäste. Ich hab auch viele ältere Gäste gehabt, die zuhause in ihren Wohnungen einsam sind. Damit sie einen Ansprechpartner haben. Es ging mir um die Sozialkomponente. Das hat ja keine Umsätze gemacht. Und auch, um dem Stress zuhause zu entkommen. Am Anfang konnte ich noch Getränke ausgeben, das fiel später weg. Wirtschaftlich war das nicht. Die Pandemie hat uns ganz schön geschadet. Kennen tu ich sehr viele hier. Ich hab immer mit den Karstädtern hier guten Kontakt gehabt. Jetzt arbeite ich als Angestellter in der Wilmersdorfer Abteilung. Es fehlt so ein bisschen die Individualität. Ich war damals sehr kundenorientiert, man konnte die Beilage immer individuell wählen. Bin jetzt mehr in der Bürokratie, Warenbeschaffung, Logistik. Ich würde lieber meinen Job weitermachen. Aber ich bin 56 und da macht der Körper auch nicht mehr alles mit. Deswegen ist das jetzt im Verhältnis besser. Mir wurden drei, vier Läden angeboten, auch am Herrmannplatz, aber ich habe abgelehnt. Das hätte ich auch in dem Stil machen können, wie ich es gemacht habe, aber das habe ich verweigert. Am Hermannplatz das kleine Restaurant ist doch auch schon lange zu. Und das große Restaurant macht jetzt zu.
Es war nicht nur das reine Gekoche, sondern auch das Gequatsche. Miteinander kommunizieren und harmonisieren. Das Gemeinschaftsgefühl war vor Jahren eigentlich noch besser, aber da Karstadt ’ne Krise hatte, haben wir die guten, die jungen Leute verloren. Die Alten haben nur noch auf ihre Rente und ihre Abfindung gewartet. Das hast du auch am Service gemerkt, der ist immer weiter zurückgegangen. Und die Jungen wurden gekündigt. Weil man nicht wusste, ob bald wieder die nächste Karstadt-Krise kommt. Das schlaucht ja auch, weil man nie weiß, wie es weitergeht, ist ja auch ’ne Existenzfrage.”
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Barbara
“Seit 96 war ich bei Karstadt. In der Sportabteilung, über Kasse, über Serviceteam. Habe Karstadt als tolles Unternehmen kennengelernt und hab gesehen, wie dat alles Stück für Stück zerpflückt wurde. Hab mir die Haare gerauft. Wie kann man so wirtschaften, aber der kleine Mann wird nicht gefragt. Ich war hier bis zum Schluss. Bis das hier zugemacht wurde. Wir sind so ’ne kleine Familie. Das freundschaftliche Miteinander haben die Chefs nie verstanden. Also Menschlichkeit ist im Laufe der Jahre verloren gegangen seitens der Geschäftsführung. Das ist das, was mich so traurig macht. Die ganzen Tarifverzichte, Urlaubs- und Weihnachtsgeldverzichte. Wir haben zwar durch die Gewerkschaft Tarifkämpfe gemacht, aber das ist alles nicht so korrekt abgelaufen. Es gab viele Absprachen hinter verschlossenen Türen. Immer wieder falsch einzukaufen, die falschen Geschäftsprinzipien durchzusetzen. Die Manager hätten einfach mit den Verkäufern reden müssen. Wir wissen Bescheid, sind an der Ware, wir sind am Kunden. Da weiß man genau, was kommt, was verkauft wird, was gewollt wird. Das ist alles nicht gut gelaufen.
Die letzten 10 Jahre waren schon so ’ne Sache. Ich hab jetzt vier Insolvenzen mitgemacht und eine Kündigungswelle, wo zwei Tage lang schon Ausverkaufsschilder hier hingen, die dann wieder rückgängig gemacht wurde. Ich hab noch ’nen gut verdienenden Ehemann. Aber als Mutter, alleinerziehend, hat man’s ganz schlecht. Das ist schon ’nen Druck, da muss man mit umgehen. Aber so vom Team hier, 70 Prozent der Leute sind wegen dem Team geblieben. Wir haben immer zusammengehalten. Wir haben uns gegenseitig geholfen. Vor 10 Jahren waren wir 1260 Leute, am Ende waren es noch 107.
Die Leute jetzt wiederzusehen, ja, das ist einfach wunderschön.”
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Angie und Jens
Angie: “Ich war Erstkraft im Bereich Schul‑, Lederwaren und Strümpfe. Ich bin Rentnerin. Bis zum letzten Tag war ich Betriebsratsvorsitzende von diesem Haus. 29 Jahre war ich da. In der Krise sind die Mitarbeiter ja teilweise weggewesen. Auf der Fläche waren wir zu zweit oder zu dritt. Das war traurig und schlimm. Wir haben gekämpft im Betriebsrat. Waren bei der Arbeitssenatorin, beim Bürgermeister, haben alles versucht. Die Krisen wurden immer schlimmer, weil die Geschäftsführer gewechselt haben. Bei dem letzten Geschäftsführer wussten wir, dass der so ein Abwickler war. Da war uns klar, wir sind dran, das Haus wird jetzt aufgegeben. Wir wurden von allem abgeklemmt. Wenn man kein Telefon mehr hat, keinen Computer, da braucht man nicht mehr arbeiten. Aber die Mitarbeiter sind alle noch gekommen und haben alles unterstützt.
Die letzten zwei Wochen über war die Kasse voll und wir haben nur noch abgefeiert. Haben Musik gehört und „Reißt die Hütte ab“ gesungen. Es kam ja kein Kunde mehr. Und wir haben Piccolos getrunken (lacht). Der Kunde hatte gar keine Fragen mehr. Haben Sie diesen Artikel noch? ’Ne Beratung gab es nicht mehr. Aber wir waren immer noch gewöhnt, dass alles seine Ordnung haben musste. Wir haben aufgeräumt wie die Verrückten. Meine Schuhe waren als erstes alle verkauft. Dann haben sie alles runtergefahren. Unten im Erdgeschoss waren nur noch die Verkaufsflächen. Die Mitarbeiter sind raus und alles sah top aus.”
Jens: “Ganz zum Schluss war es schon wuselig. Die Gänge leer, irgendwie war die Seele raus. Viele Mitarbeiter waren nicht mehr dort, Aushilfen waren da. Die haben bloß noch aufgepasst, dass nicht geklaut wird, haben Warenträger zusammen geschoben. Das hat natürlich dem Kunden auch kein zufriedenes Einkaufserlebnis mehr verschafft.”
Angie: “Beim Umtausch war was los. Die Kunden haben uns bemitleidet: “Oh mein Gott, dabei waren wir doch immer jeden Tag einkaufen.” Ne, war’n ’se eben nicht. “Wir waren doch immer hier.” Ja, aber es hat nicht gereicht. Nachher haben sich manche Kunden verabschiedet. Am 16. Januar um 15:30 Uhr habe ich mit dem Geschäftsführer entschieden, wir schließen das Haus. Dann sollte ich vorne die Tür abschließen. Da war dann Schluss.
Bis zum 31.1. mussten wir alles wegräumen, die Schaufensterpuppen mussten runter in den Keller. Kunden wollten die ja kaufen. Es musste alles ausgeräumt werden, die Rohmaterialien in andere Häuser. Es war logisch, dass sich manche haben krankschreiben lassen. Ich war da mit zehn oder zwölf Mitarbeitern. Ein paar Sachen haben wir uns mitgenommen, zum Beispiel Giveaways von der Parfümerie-Abteilung. Habe die in Reisetaschen gesteckt und den Mitarbeitern geschenkt. Auch Frischewaren und Geschirr.
Am 31.1. hab ich die Schlüssel der Rechtsanwältin von der Bayerischen Versicherungskammer übergeben und gesagt, sie möchten das Haus bitte in guten Händen weiterführen. Danach wollte ich in den “Schinken” gehen, ’nen Wodka trinken, aber es war keiner hier (lacht).”
Jens: “Heute freue ich mich, dass wir uns hier alle wiedersehen. Und dass der größte Teil von unserem Team das Leben nach Karstadt gut organisieren konnte für sich selber. Jeder hat natürlich jetzt so seinen eigenen Weg gefunden. Der eine ist in Rente gegangen, jemand anders arbeitet weiterhin bei Galeria. Es gibt nur ganz wenige, die auf der Strecke geblieben sind, was natürlich traurig ist für die einzelnen. Aber die große Masse, und davor hatten wir ja Angst als Betriebsrat und darum haben wir immer gekämpft, die große Masse hat’s geschafft. Es herrscht hier eine gute Stimmung heute.
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Das Treffen haben Angie und Anja organisiert. Im Betriebsrat haben wir uns vorgestellt, dass nach dem Karstadt-Aus eine Abschiedsparty stattfindet. Das war unser Wunsch. […] Wir sind in diese Berliner Kiezkneipe hier gegangen. Es war schön, weil Tränen geflossen sind. Die ganze Anspannung der letzten Wochen ist abgefallen, man wusste, es ist jetzt vorbei. Damals haben wir gesagt, ein Jahr später werden wir uns hier wiedertreffen. Das war unsere Philosophie. Wir wollen uns so verabschieden. Ich hab immer gesagt, wir sind eine Familie. Und das sind wir auch immer noch. Manche haben sich vor Monaten das letzte Mal gesehen, aber man nimmt sich in den Arm und weiß, es ist so, als wenn es gestern war.
Ich selbst war nach Karstadt erst bei der Rente, zwei Monate, dann konnte ich nicht mehr. Ich wollte was mit Menschen machen. Das ist ’n toller Arbeitgeber, aber es war nicht meine Arbeit. Ich bin jetzt beim Land Berlin beim Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten, der LABO. Da mach ich Ausweise und Reisepässe für Obdachlose und wohnungslose Menschen. Das erfüllt mich voll mit Freude, also Menschen zu begegnen. Bei Karstadt mussten wir immer 120 % liefern, weil’s immer weniger Personal gab. Jetzt hab ich natürlich bessere Arbeitszeiten. Ich arbeite im öffentlichen Dienst. Da muss ich mir keine Sorgen machen. Ich bin einfach nur dankbar, dass ich da arbeiten darf. Ich wäre heute wahrscheinlich immer noch bei Karstadt. Aber ich musste gehen und dann wollte ich auch. Ich wollte was Neues machen. Ich glaube für mich persönlich habe ich das Beste daraus gemacht.
Manchmal denke ich noch, es gab ja Leute, die kamen täglich. Die sind dann durch den Laden. Ich frag mich: Mensch, was macht denn die Frau Sowieso? Und das witzige ist, als ich hierher gefahren bin, hab ich eine Person gesehen, die immer in der Stoffabteilung war und da dachte ich: Wir sind im Kiez. Das sind Menschen, mit denen man teils täglich in Kontakt war und darum haben wir den Job ja auch so gerne gemacht. Das legt man nicht ab mit ’ner Kündigung.”
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Rauch verteilt sich zunehmend in der Kneipe, die von angeregten Gesprächen erfüllt ist. Das üppige Buffet wird langsam leergegessen. Sogar ein Ehepaar ist vorbeigekommen, das zur Stammkundschaft gehörte.
Gegen halb sieben versammeln sich die Karstädter vor dem „Schinken“ und treten in eisiger Kälte den Zug zum Karstadt-Eck an. Es werden Kerzen und Grablichter angezündet und ein Tannenkranz wird vorneweg getragen. Wie zurückgekehrte Zeitreisende wirken die früheren Karstadt-Mitarbeitenden, deren Heimatort nicht mehr derselbe ist. Teils hasten sie, teils schlendern sie, zwischen heiterer und melancholischer Stimmung. „Jetzt sieht man, wir hätten sogar viel länger drin bleiben können“, murmelt es zwischen raschelnden Mänteln. „Ja.” Jemand lacht trocken. „Manche gehen jetzt ins Gesundbrunnencenter.“ Die Traube von Menschen macht vor dem geisterhaften Kubus Halt. Karstadt sieht innen wie leergefegt aus. Vereinzelt erahnt man Tapezierzeug und Leitern. „Der Kranz, das ist einfach so eine kleine Geste für uns“, so Jens. Es sei auch eine Mahnung, dass der Einzelhandel sterbe, wenn man sich ansehe, wie die Innenstädte sich verändern. Wie schwierig das für das Zusammenleben sei.
„Ist das hier eine Beerdigung?“ hört man einen Jugendlichen im Verbeigehen sagen. Sein Kumpel in schwarzer Jacke und Baggy-Jeans zieht ihn weiter. „Ja, von Karstadt.“ Die Karstädter schauen ihnen nach. Der Kranz wird feierlich in die Türklinke gehängt, die letzten Kerzen angezündet und aufgestellt und es rollen Tränen. Man nimmt sich in den Arm.
Fotos: Andaras Hahn / @siehs_mal
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Meine Schwester Barbara Reise hat dort auch lange gearbeitet, leider ist sie 2022 gestorben. Kennt sie noch jemand hier. Sie war in der Lebensmittelabteilung. Den Artikel finde ich sehr traurig, da ich auch im Einzelhandel gelernt habe und viel Veständnis für die Menschen, die dort arbeiteten und eine große Familie waren, habe. Es ist schade, aber der Fortschritt geht weiter und der Normalbürger ist ist immer an erster Front.
Da helfen kein Jammern und kein Wehklagen. Es wurde serviert, was die Kundschaft bestellt hatte. Technischer Fortschritt, der dem Menschen dienlich sein sollte, zeigt seine häßlichen Nebenwirkungen. Heute die Schaufenster im Internet, oder gehen wir zur Verdeutlichung des gesellschaftlichen Wandels mal etwas weiter zurück, beispielsweise zur längst vergessenen Metamorphose der Jahrhunderte währenden Lebensbedingungen durch dampfbetriebene Kraft- und Arbeitsmaschinen. Vor etwa zweihundert Jahren, mit Beginn der Protoindustrialisierung, folgte, noch forciert durch die Landflucht in Folge der Aufhebung der Leibeigenschaft, das jahrzehntelange beispiellose Elend der Deutschen, das man absolut nennen darf. Das große Handwerkersterben, der abgemagerte Alleinmeister als Kümmerexistenz, nunmehr dem Lumpenproletariat gleichgestellt. 75% der seinerzeitigen Berliner Bevölkerung lebte im staatlich anerkannten Zustand der Armut, war amtlicherseits von Wohnungs- und Schulsteuer befreit. Erst die Industrialisierung des Landes brachte den Menschen wieder Lohn und Brot und bot Perspektiven. Leben auf trübem Hinterhofterrain, dennoch weitaus erträglicher als das vormalige Dasein in kasernenartigen „Familienhäusern“, in denen sich oft vier Familien ein kleines Zimmer teilen mußten („Dies Buch gehört dem König“). Bei allem Verständnis für die Kümmernisse der früheren Karstadt-Belegschaft, niemand wird hungern, alle werden ihr Dach über dem Kopf behalten können. Das große Elend bleibt ihnen erspart. Kein gnadenloser Exekutor, keine Hungerrevolten oder das Kurieren individuellen Fehlverhaltens im Arbeitshaus. Wer die Vergangenheit nicht kennt, wird die Gegenwart nicht verstehen.
Bitte beim Thema bleiben!
Toller Artikel, danke fürs Teilen. Wir vermissen den Karstadt und die Gesichter, die dort all die Jahre zuverlässig zur Stelle waren, auch sehr. Besondere Grüße an Jens, der immer stets freundlich in Sachen Kindergeburtstagen und Weihnachten beraten hat. Frau Sowieso muss jetzt schweren Herzens woanders Spielzeug einkaufen…
Vielen Dank, Elsa,
ich hoffe, dir und deiner Familie geht es gut!
LG, Jens 😉
Ja sehr traurig! Ich bin im Westen sozialisiert und da gehör(t)en Kaufhäuser – liebevoll Kackstadt genannt – zur Lebensqualität in der damaligen sozialen Marktwirtschaft: Ausgesuchte bewährte Artikel, wenig Beschiss, Umtausch fast immer möglich, echte Persönlichkeiten als Verkäuferinnen! Viel Fachkunde. Ich bin rumgekommen, habe in mehreren Bundesländern Deutschlands und auch in verschiedenen Stadtteilen Berlins gewohnt (ob West oder Ost, immer in Mauernähe).
Und der Karstadt Wedding war über Jahrzehnte eine feste Größe in meinem Leben!
Was ich dagegen an Beschiss und Ramsch erlebt habe, als meine Arbeitsstelle eine Zeitlang in der Nähe des Alexa war. Wie noch nie in meinem Leben!
Leider gibt es kein Buch über den Karstadt-Betrug aus gewerkschaftlicher Sicht. Aber immerhin gibt es „Arcandors Absturz“ des Wirtschaftsjournalisten Hagen Seidel (2010). Da steht das wichtigste drin.
Andere Länder können auch heute noch Kaufhaus, zum Beispiel in Paris. Oder das „Kaufhaus des Nordens“ (Kaufhaus Stolz) in 30 Städten an der Nord- und Ostsee.
Den ex Karstadt Verkäuferinnen und Verkäufern wünsche ich alles Gute! Ihr wart ein großartiger Betrieb und seid unvergessliche Persönlichkeiten!