Ich sag’s, wie’s ist! Ich bin ein Freibadmensch. Mit langen Auto- oder S-Bahn-Fahrten zu Berliner und Brandenburger Seen kann man mich inzwischen jagen. Dort angekommen erwartet einen bei 37 Grad nicht nur ein Handtuchmeer auf Staubwolken, sondern auch mein ultimativer Sommerspaß-Endgegner: trübes Wasser.
Es gibt für mich nichts Gruseligeres, als mich mit nackten Füßen Schritt für Schritt in solchen Gewässern vorwärts zu tasten, nur, um ständig an irgendwelchem abgestorbenen Grünzeug mit Entenkacke hängen zu bleiben (*hust* Tegeler See *hust*). Mein Kopf bastelt sich in solchen Situationen alles Mögliche zusammen, da sind der Fantasie leider wirklich keine Grenzen gesetzt.

Deshalb gehe ich im Sommer lieber ins Freibad – bevorzugt ins Humboldthain. Denn da gibt es einen großen Pool. Ich liebe die Vorhersehbarkeit von Pools. Absperrungen, Linien, glasklares Wasser. Ränder, Leitern, Chlor. Was gibt es Schöneres, als in kontrollierter Umgebung abzutauchen? Ich bin gegen Chlor zwar leicht allergisch, aber dieses Gesundheitsrisiko nehme ich für pflanzenfreies Schwimmen jederzeit in Kauf.
An den fünf Tagen dieses Berliner Sommers, an denen es über 30 Grad hatte, konnte man mich also wenig überraschend im Humboldthain’schen Pool antreffen. Meist war ich auf der rechten Bahn, bei den Schwimmern. Wir zogen brav wie Entlein unsere Bahnen, bis einem Profi mal wieder die Geduld riss und er uns im Eiltempo überholte. Soll er doch. Ich ließ mich davon nicht aus der Ruhe bringen.
Der Hain diskriminiert nicht
Was mich am Sommerbad Humboldthain besonders fasziniert, ist, dass man sowohl im Wasser, als auch an Land auf wirklich alle Alters- und Gesellschaftsschichten des Bezirks trifft. Seniorinnen und Senioren, lachende Babys und Kinder unter 3 Jahren, knutschende Teenies, die stark Tätowierten mit Muskeln, die ledrig Gebräunten, Zoomer mit hippen Haarschnitten.
Alle möglichen middle-aged Frauen und Männer in Bürostuhljobs, die später mit nassen Haaren in Hemd und Segelschuhen wieder zum Ausgang trotten (um abends nochmal ein paar Rechnungen zu schicken). Digital Nomads, die ihre Laptops im Schatten aufklappen, um in Slack erreichbar zu sein. Skinny bitches mit extra langen Fingernägeln. Long story short: Es fiel mir zwischenzeitlich wirklich schwer, nicht zu starren. Sollte man im Schwimmbad dezidiert nicht machen, eh klar.

Aber wo gibt’s das bitte sonst noch, dass alle kommentarlos dasselbe essen – nämlich Pommes mit Ketchup und Mayo – und sich nicht in ihren durchindividualisierten Lebensrealitäten verschanzen, die durch Jobs, Geld, Zugang zu Wohnraum und Prestige geprägt werden? Wo sind wir gleicher, als im öffentlichen Schwimmbad?
Auf den Wiesen leben ganze Gruppen von Frauen mit fünfzehn semi-verwandten Kindern, die ihre Campingstühle und Nahrungsmittel in Kühltruhen morgens auf großen Wägen ankarren. Das sieht dann fast aus wie auf einem Festival. Nur, dass der Eintritt eben keine 200 Euro pro Kopf kostet. Und direkt daneben liegt die 23-jährige Studentin, die eine Tageszeitung liest. In Print! Herrgott, wann habe ich das zum letzten Mal getan?

Mein Feelgood-Ort 2025
Jedenfalls ist das Humboldthain 2025 aus genau diesen Gründen zu meinem persönlichen Feelgood-Ort des Sommers avanciert. Im Humboldthain befindet man sich mitten im Geschehen, mischt sich unters Volk, gehört einfach dazu.
Besonders zu empfehlen ist, das Handy gleich zu Beginn im Spind wegzusperren, und dann fünf Stunden nicht draufzuschauen. In diesen fünf Stunden hat man dann meistens ein Buch angefangen oder fertiggelesen, den Rest seines Business-Jahres geplant und die Gedanken sortiert. Wenn man nach ein paar Runden im Pool wieder ans Handy geht, fühlt sich das fast so an wie früher, als man im EU-Ausland noch kein kostenloses Internet hatte. Kontakt zur Außenwelt? Irgendwie magisch, so in Bikinihose.
Mein größter Kritikpunkt am Humboldthain ist übrigens nicht der Fakt, dass die Menschensuppe im Nicht-Schwimmerbereich von weiter weg ein bisschen so aussieht wie das letzte Viertel von James Camerons Titanic
Sondern, dass diese eine Bademeisterin (ihr wisst sicher, wen ich meine) dem Schwimmpublikum gerne den ganzen Tag non-stop ungefragt Lektionen in puncto Kindererziehung erteilt. „Passen Sie auf Ihre Kinder auf! Ich wiederhole: Passen Sie auf Ihre Kinder auf!“, schreit sie ins Megaphon. „In unserem Land herrscht die Aufsichtspflicht!“
Ich verstehe ja, dass an heißen Tagen viel los ist und Bademeister ihren Job machen müssen. Aber warum der harsche Ton, und warum die Betonung auf unser Land? Ich bin auch Ausländerin, aber ich denke kaum, dass sie mir einen Vortrag über „ihr Land und seine Umgangsformen“ halten würde, wäre ich mit meinen nicht vorhandenen Kindern in „ihrem Humboldthain“ baden gegangen.
Wenig später sperrt die Diktatorin die Rutsche bis auf Weiteres und schimpft in anti-pädagogischer „Selbst Schuld“-Manier weiter. „Na hoffentlich hat die keine Kinder“, denke ich mir, bevor der letzte Bademeisterwechsel des Tages stattfindet.
Komisch. Für den Rest des Abends höre ich keinen Mucks mehr aus den Lautsprechern.
Unser Humboldthain kann so friedlich sein.
Bianca Jankovska ist Autorin und teilt ihr geballtes Wissen über die (Arbeits-)Welt in Kündigungsberatungen (Thx bye), auf ihrem Blog (Groschenphilosophin), auf Instagram (@groschenphilosophin) und in ihrem neuen Buch, „Potenziell furchtbare Tage“. (Haymon Verlag)
Fotos: Andaras Hahn