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Straßenumbenennungen im Afrikanischen Viertel?

17. Juni 2011
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Gro­ßes Bür­ger­inter­es­se, wenn es um Stra­ßen­na­men geht

Alles Mögliche hat hier einen Afrikabezug....
Alles Mög­li­che hat hier einen Afrikabezug.…

Der Saal im Paul-Ger­hardt-Stift ist am Abend des 30. Mai 2011 gut gefüllt. Zahl­rei­che inter­es­sier­te Anwoh­ner, Lokal­po­li­ti­ker und Ver­tre­ter von Bür­ger­initia­ti­ven möch­ten mehr über Gerüch­te und Fak­ten erfah­ren, wenn es um den Umgang mit den Stra­ßen­na­men im Afri­ka­ni­schen Vier­tel geht. Die SPD in Mit­te hat zu einer Dis­kus­si­ons­ver­an­stal­tung ein­ge­la­den, um den Pro­zess der Ent­wick­lung des Afri­ka­ni­schen Vier­tels zu einem Lern- und Gedenk­ort anzustoßen.

Das Afri­ka­ni­sche Vier­tel ist das größ­te Flä­chen­denk­mal mit kolo­ni­al­his­to­ri­schem Bezug in Deutsch­land“, erklärt der auf die deut­sche Kolo­ni­al­ge­schich­te spe­zia­li­sier­te His­to­ri­ker Dr. Joa­chim Zel­ler, der selbst in Nami­bia gebo­ren wur­de. Das Afri­ka­ni­sche Vier­tel hat das Poten­zi­al, die Geschich­te Afri­kas stell­ver­tre­tend für ganz Deutsch­land zu erzäh­len, fin­det auch Dr. Chris­ti­an Han­ke, der Bezirks­bür­ger­meis­ter von Ber­lin-Mit­te. „Wed­ding hat sich ver­än­dert, unse­re Gesell­schaft ist bun­ter gewor­den“, erläu­tert der Lokal­po­li­ti­ker und fügt hin­zu: „Im Afri­ka­ni­schen Vier­tel kön­nen wir die Geschich­te Afri­kas nach der Deko­lo­ni­sie­rung wei­ter­erzäh­len.“ Die Ent­wick­lung eines Lern- und Gedenk­or­tes setzt eine kri­ti­sche Aus­ein­an­der­set­zung mit der Geschich­te vor­aus. Die Stra­ßen­na­men im Vier­tel, die zwi­schen 1899 und 1958 benannt wur­den, spie­geln die jewei­li­ge deut­sche Hal­tung zu Afri­ka wider – sei es eine Wer­bung für die Kolo­ni­al­po­li­tik bis 1919, sei es eine Wür­di­gung des 1958 unab­hän­gig gewor­de­nen Staa­tes Ghana.

Ein Lern- und Gedenk­ort der ande­ren Art

An der Togostraße

Aus Sicht man­cher Teil­neh­mer der Run­de sind von den 24 Stra­ßen­na­men, die in die­ser Häu­fung ein­ma­lig in Deutsch­land sind, drei Bezeich­nun­gen nicht mehr trag­bar. Es han­delt sich dabei um die Peter­s­al­lee, den Nach­ti­gal­platz und die Lüde­ritz­stra­ße. Alle drei mit einer Stra­ße geehr­ten Per­sön­lich­kei­ten haben im 19. Jahr­hun­dert auf unter­schied­lichs­te Art dazu bei­getra­gen, gro­ße Tei­le Afri­kas für die Kolo­ni­al­an­sprü­che des Kai­ser­reichs zu sichern. „Die meis­ten Gedenk­or­te betref­fen den Natio­nal­so­zia­lis­mus oder die deut­sche Tei­lung. War­um nicht auch ein­mal ein Gedenk­ort für Afri­ka?“ fragt sich Bruni Wil­denhein-Lau­ter­bach, die den Wahl­kreis im Abge­ord­ne­ten­haus ver­tritt. Dabei ist es ihr als gebür­ti­ge Ber­li­ne­rin wich­tig, dass sich auch die Anwoh­ner mit ihrem Vier­tel und ihren Stra­ßen­na­men iden­ti­fi­zie­ren. Sie sol­len neue Namen nicht über­ge­stülpt bekommen.

Genau dies befürch­tet die Bewoh­ner­initia­ti­ve „Pro Afri­ka­ni­sches Vier­tel“. Ihren Mit­glie­dern geht es nicht dar­um, den Gedenk­ort zu ver­hin­dern. Sie sehen aber vor allem die Kos­ten, die eine Umbe­nen­nung für den Bezirk, aber auch Bewoh­ner und Gewer­be­trei­ben­de mit sich bringt. „War­um kann nicht eine Zusatz­ta­fel erklä­ren, nach wem die Stra­ße benannt wur­de?“ fragt ein Anwoh­ner. Dadurch wüss­ten Besu­cher und Bewoh­ner des Vier­tels, wel­che Per­son in wel­cher Zeit mit der Benen­nung geehrt wur­de und wel­che Moti­va­ti­on dahin­ter stand. Für den Bezirks­bür­ger­meis­ter wäre dies kein adäqua­ter Umgang mit den zahl­rei­chen Opfern der kolo­nia­len Ver­gan­gen­heit. Inzwi­schen hat die Bezirks­ver­ord­ne­ten­ver­samm­lung den Beschluss gefasst, eine Info­säu­le im Afri­ka­ni­schen Vier­tel auf­stel­len zu las­sen. Über den Text gab es unter­schied­li­che Auf­fas­sun­gen – daher hat man sich auf zwei Tex­te geei­nigt, die zwei unter­schied­li­che Per­spek­ti­ven auf die Kolo­ni­al­ge­schich­te auf­zei­gen. Eine sol­che Info­ta­fel, deren Stand­ort noch nicht geklärt ist, ist durch ihren umstrit­te­nen Text selbst Teil des Pro­zes­ses, sagt Bür­ger­meis­ter Dr. Hanke.

Ein Pro­zess, der jetzt erst beginnt und an des­sen Ende das gesam­te Afri­ka­ni­sche Vier­tel ein Lern- und Gedenk­ort ist. Ein Vor­bild dafür könn­te das Baye­ri­sche Vier­tel in Schö­ne­berg sein, an dem im Stra­ßen­bild der schritt­wei­sen Ent­rech­tung der Juden in der Nazi­zeit gedacht wird. Die­sen Pro­zess auf die Umbe­nen­nung von Stra­ßen zu redu­zie­ren, wür­de an dem Poten­zi­al vor­bei­ge­hen, das ein sol­cher Lern- und Gedenk­ort für die­sen Teil des Wed­ding dar­stel­len kann. Nur die Inter­es­sen weni­ger Anwoh­ner zu berück­sich­ti­gen, wird der deutsch­land­wei­ten Bedeu­tung des Afri­ka­ni­schen Vier­tels nicht gerecht.

Joachim Faust

hat 2011 den Blog gegründet. Heute leitet er das Projekt Weddingweiser. Mag die Ortsteile Wedding und Gesundbrunnen gleichermaßen.

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