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Privates Engagement für mehr Sauberkeit:
Gemeinsam gegen den Müll – die Litterpickers

Eine Initiative zum Müllsammeln im Humboldthainkiez wächst weiter und weiter - und auch bei Gewitterwarnungen kommen viele Gesichter zusammen, um gemeinsam mit Abstand und Verantwortung in Corona-Zeiten aktiv zu werden. Jeden Freitag 17 Uhr an der Böttgerstraße 17.
20. Mai 2021
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Wer am Wochen­en­de im Hum­boldt­hain unter­wegs ist, staunt nicht schlecht über ein Maß an Sau­ber­keit, wel­ches eher an unser benach­bar­tes Prenz­lau­er Berg erin­nert. Zu ver­dan­ken haben wir das enga­gier­ten Men­schen aus der Nach­bar­schaft, die seit Janu­ar jede Woche regel­mä­ßig mit Müll­sä­cken und Zan­gen aus­ge­stat­tet den Pan­ke-Kiez von Ziga­ret­ten­stum­meln, To-Go-Ver­pa­ckun­gen und Sperr­müll befrei­en. Damals als klei­ne Nach­bar­schafts­ak­ti­on gestar­tet, sind die LITTERPICKER mitt­ler­wei­le eine eta­blier­te Initia­ti­ve, bei der jeden Frei­tag alte und neue Gesich­ter zusam­men­kom­men. Die gemein­sa­me Mis­si­on: auf­räu­men, auf­klä­ren und aufrütteln.

Foto: Andar­as Hahn 

Wir sind Spitzenreiter in Sachen Müll

Foto: Andar­as Hahn

Mit 37 kg Ver­pa­ckungs­müll aus Plas­tik pro Kopf im Jahr ist Deutsch­land euro­pa­weit größ­ter Müll­erzeu­ger. Dabei kom­men wir kaum noch am The­ma Müll­ver­mei­dung vor­bei: Plas­tik­stroh­hal­me sind es bereits, To-Go-Becher wohl als nächs­tes ver­bo­ten. Unver­packt-Läden sprie­ßen in allen Ecken aus dem Boden und auch die Gur­ke gibt es im Super­markt mitt­ler­wei­le ver­pa­ckungs­frei. Den­noch machen die­se Mate­ria­li­en die Hälf­te des welt­weit pro­du­zier­ten Plas­tik­mülls aus, wie akti­onmüll­frei berich­tet. Und davon wer­den nur trau­ri­ge 9% wirk­lich recy­celt. Der Rest wird ver­brannt, lan­det in Depo­nien oder eben auf der Stra­ße und im Park. Und gera­de dort fühlt sich nie­mand so rich­tig für zustän­dig. Zwi­schen BSR, Grün­flä­chen­amt und Spar­maß­nah­men der Stadt fal­len vor allem die Erho­lungs- und Natur­räu­me, unse­re vie­len Ber­li­ner Parks, hin­ten über. Dage­gen wol­len Anna und Nina aus der Bött­ger­stra­ße zusam­men mit vie­len Nachbar:innen angehen. 

Die Sache selbst in die Hand nehmen

Die Initia­to­rin­nen Nina & Anna Foto: Andar­as Hahn

“Wir machen nicht die Arbeit der Stadt­rei­ni­gung, weil wir uns haupt­säch­lich auf die Zwi­schen­be­rei­che kon­zen­trie­ren”, erzählt Anna, die lie­ber selbst aktiv wird, anstatt sich über ein Zustän­dig­keits-Ping-Pong zu ärgern. Die 35-Jäh­ri­ge Foto­gra­fin lebt seit 2010 im Wed­ding und hat das Müll­sam­meln bereits als Hob­by in ihren All­tag inte­griert. Frei nach dem Mot­to Machen statt Meckern sieht sie ihr Enga­ge­ment viel mehr als Unter­stüt­zung für BSR und das Stra­ßen- und Grün­flä­chen­amt. Gro­ße Müllan­samm­lun­gen kön­nen außer­dem per App dem Ord­nungs­amt gemel­det wer­den – ein Tipp für alle, die Frei­tag Nach­mit­tag kei­ne Zeit zum gemein­schaft­li­chen Müll­sam­meln fin­den. Doch das Mit­ma­chen lohnt sich. “Schon bei der ers­ten Akti­on war klar: Das müs­sen wir wie­der­ho­len. Alle Anwe­sen­den hat­ten Spaß und haben uns gefragt, ob wir es wöchent­lich machen wol­len”, so Anna, die mitt­ler­wei­le wohl alle Büsche in ihrem Kiez kennt. Auch Nina pack­te die Moti­va­ti­on, eine Ver­än­de­rung zu bezwe­cken. Schon in ihrer Hei­mat an der Nord­see hat sie gemein­sam mit ihrem Vater Müll gesam­melt: “Der Strand war vol­ler Fischer­net­ze und Gum­mi­hand­schu­he – viel geän­dert hat sich dar­an nichts. Ende letz­ten Jah­res habe ich dann wie­der ange­fan­gen bei mei­nen Coro­na-Spa­zier­gän­gen in Ber­lin am Weges­rand wil­den Müll zu sammeln.” 

Clau­dia sam­melt wie jede Woche Müll im Hum­boldt­hain Foto: Andar­as Hahn

Von Anfang an gab es viel Zuspruch für die Nach­bar­schafts­in­itia­ti­ve. Es hel­fen immer mehr Men­schen – jun­ge Leu­te, Eltern, Kin­der, Senio­ren, geis­tig Behin­der­te und Geflüch­te­te. Teil­wei­se kom­men sie jede Woche; manch­mal sogar aus angren­zen­den Stadt­tei­len. Auch Clau­dia ist jeden Frei­tag um 17 Uhr am Treff­punkt vor der Wil­den 17 in der Bött­ger­stra­ße. Sie erzählt, dass ihr das Müll­sam­meln einen Aus­gleich schafft zu dem kon­stan­ten All­tag in ihrer Gemein­schafts­un­ter­kunft. Sie woll­te sich in der Nach­bar­schaft ein­brin­gen und wur­de durch eine Betreue­rin der Ein­rich­tung auf die noch jun­ge Initia­ti­ve auf­merk­sam. “Ich hat­te schon etwas wie auf­räu­men im Kopf, denn mir liegt die Natur sehr am Her­zen. Durch den gan­zen Müll gelan­gen so vie­le gif­ti­ge Stof­fe in den Boden.” Das möch­te sie mit ihrem Enga­ge­ment ver­hin­dern, erzählt Clau­dia. Die Moti­va­ti­on ist wohl bei allen so hoch, weil es Woche für Woche immer neue Müll-Schät­ze zu fin­den gibt. 

Toxische Auswirkungen auf die Umwelt

Ver­müll­te Parks sind nicht schön anzu­se­hen, aber vor allem auch eine gro­ße Belas­tung für die Umwelt. Und das in vie­ler­lei Hin­sich­ten. Mikro­plas­tik gelangt durch die lang­sa­me Zer­set­zung von Ver­pa­ckungs­müll bis­her unge­hemmt in unser Grund­was­ser. Dabei ist noch völ­lig unklar, inwie­fern die­se Kleinst­par­ti­kel schäd­lich für den mensch­li­chen Orga­nis­mus sind. Fakt ist: neben Plas­tik­ver­pa­ckun­gen sam­melt sich nicht sel­ten auch Son­der­müll wie umwelt­schäd­li­che Farb­res­te an. Doch wie oft sind es die unschein­ba­ren Din­ge, die größ­te Aus­wir­kun­gen ver­zeich­nen. So hat laut dem natur­schutz­bund eine Ziga­ret­ten­kip­pe bis zu 4.000 toxi­sche Stof­fe, die zwi­schen 40 und 60 Liter Grund­was­ser ver­un­rei­ni­gen, Pflan­zen­wachs­tum nega­tiv beein­flus­sen und auch schon in den Kör­pern von Vögeln und Säu­ge­tie­ren gefun­den wur­den. Von 4,5 Bil­lio­nen weg­ge­wor­fe­ner Ziga­ret­ten jähr­lich fal­len allei­ne in deut­schen Städ­ten und Gemein­den so vie­le an, dass es Kos­ten von rund 225 Mil­lio­nen Euro ver­ur­sacht. Das ist über 13 des Gesamt­bud­gets für das soge­nann­te Lit­te­ring.

Seit der Pan­de­mie fin­den auch immer wie­der Mas­ken ihren Weg in die Natur Foto: Andar­as Hahn

Wer schon ein­mal selbst aktiv wur­de, weiß, wie frus­trie­rend das Auf­sam­meln von Kip­pen, Kon­fet­ti und Klein­plas­tik sein kann. Doch es lohnt sich – auch wenn die Aus­beu­te im Müll­sack am Ende wohl etwas mau aus­sieht. Ohne Müll­zan­ge und Hand­schu­he möch­te aber wohl nie­mand den Dreck von der Stra­ße krat­zen. Die LITTERPICKER sind dem seit Beginn gewapp­net: Müll­zan­gen wur­den durch die Orga­ni­sa­ti­on wir-Ber­lin sowie die Stk Wed­ding Zen­trum gestellt und auch die BSR spon­sert mitt­ler­wei­le Müll­sä­cke und die Abho­lung des gesam­mel­ten Guts. Das war aller­dings nicht von Anfang an so.

Der Zuspruch kam peu á peu

Wer bei der Senats­ver­wal­tung für Umwelt, Ver­kehr und Kli­ma­schutz nach einer Ant­wort auf die Fra­ge sucht, wie­so es in den Ber­li­ner Grün­an­la­gen nicht mehr Abfall­be­häl­ter gibt, wird schnell fün­dig. Ihre Logik: Mehr Müll­ei­mer erzeu­gen auch mehr Abfall und dadurch höhe­re Ent­sor­gungs­kos­ten. Eben­so kurz­sich­tig zeig­te sich anfangs die Ber­li­ner Stadt­rei­ni­gung und woll­te die Coro­na-kon­for­me Initia­ti­ve inmit­ten einer Pan­de­mie nicht zur Sei­te ste­hen. Doch Stadt­teil­ko­or­di­na­ti­on, Stif­tun­gen und Medi­en unter­stüt­zen umso mehr. 

Benutz­te Sprit­zen – kein sel­te­ner Fund. Foto: Andar­as Hahn

Nach eini­gen Zei­tungs­ar­ti­keln und Müllak­tio­nen bat auch die alt­ein­ge­ses­se­ne Stadt­rei­ni­gung dann ihre Hil­fe an. Die 26-jäh­ri­ge Nina freut sich über den wert­vol­len Aus­tausch mit Nachbar:innen und Insti­tu­tio­nen wie dem Baum­haus und der Fabrik Oslo­er Stra­ße. Dar­über hin­aus ent­ste­hen kon­kre­te Plä­ne für Ver­än­de­run­gen, die eine nach­hal­ti­ge Ver­bes­se­rung der Sau­ber­keit bezwe­cken sol­len. Mit Hil­fe von Nach­ba­rin und SPD-Abge­ord­ne­ten Sven­ja Lin­ne­mann wur­de in der Bezirks­ver­ord­ne­ten­ver­samm­lung in Mit­te bereits ein Antrag für einen Sprit­zen-Eimer im Hum­boldt­hain ein­ge­bracht und ver­ab­schie­det. “Das freut mein Herz!”, so Anna über die ers­ten kon­kre­ten Aus­wir­kun­gen der Initiative. 

Mitt­ler­wei­le ermu­ti­gen die LITTERPICKER unter dem Hash­tag #der­wed­ding­räum­tauf Men­schen in ande­ren Kiezen aktiv zu wer­den. Par­al­lel zum Treff­punkt Bött­ger­stra­ße 17 kom­men auch am Leo­pold­platz wöchent­lich Anwoh­nen­de mit Müll­sä­cken und Greif­zan­gen zusam­men. Sogar die Stadt­teil­ko­or­di­na­ti­on sowie das Quar­tier­ma­nage­ment unter­stüt­zen nun finan­zi­ell, so dass als nächs­tes WeCa­re-Pake­te an inter­es­sier­te Nachbar:innen ver­teilt wer­den kön­nen – samt Müll­zan­ge, Müll­beu­teln und Hand­schu­hen. So kann jede Per­son unab­hän­gig vom Frei­tags­ter­min im eige­nen Kiez in die Büsche gehen. Ein­fach hier anfra­gen und direkt loslegen. 

Aufräumen und Aufrütteln

Für Nina und Anna ist Müll­sam­meln ein gemein­sa­me Frei­zeit­be­schäf­ti­gung gewor­den. “Es ist medi­ta­tiv und man ist an der fri­schen Luft”, so Anna – und Nina ergänzt: “Ein Hob­by, für das wir jetzt sogar einen Kurs beim BUND zur Abfall­bot­schaf­te­rin bele­gen”. Wäh­rend der Aktio­nen rund um den Hum­boldt­hain schafft nicht zuletzt die Prä­senz der blau­en Müll­tü­ten Ande­ren ein Bewusst­sein und regt zum Mit­ma­chen an. So wächst die Initia­ti­ve wei­ter und wei­ter – und auch bei Gewit­ter­war­nun­gen kom­men vie­le Gesich­ter zusam­men, um gemein­sam mit Abstand und Ver­ant­wor­tung in Coro­na-Zei­ten aktiv zu werden. 

Foto: Andar­as Hahn

LITTERPICKER
Treff­punkt: Bött­ger­str. 17, 13357 Ber­lin
Kon­takt: [email protected] / +49 (0)1633504728
Insta­gram: @berlin_litterpicker

Charleen Effenberger

Mag den Wedding und das Schreiben - und die Kombination aus Beidem. Seit 2017 hier vor Ort möchte sie bleiben; nicht zuletzt um dabei sein zu können, wenn der Wedding endlich kommt.

6 Comments

  1. […] gehen sie zusam­men auf Müll­sam­mel-Akti­on und alle sind ein­ge­la­den mit­zu­ma­chen. In der Arti­kel „Gemein­sam gegen den Müll – #der­wed­ding­räum­tauf“ kannst du viel mehr über die Initia­ti­ve erfah­ren! Tschüss […]

  2. Lie­be Alle,

    ich bewun­de­re eure Arbeit, vie­len Dank! Ich ärge­re mich jeden Tag beim Hun­de­spa­zier­gang über die Igno­ranz unse­rer Mit­men­schen, die ihren Dreck hin­ter­las­sen, denn irgend­wer wird es ja wegmachen…auch über die Hundebesitzer*innen, die nicht hin­ter ihren Hun­den sau­ber machen. Die Fol­ge, über­all Gift­kö­deralarm in Berlin!
    Viel­licht bräuch­te man auch mehr Schil­der zur Sen­si­bi­li­sie­rung? Manch­mal brauch man ja einen Gedankenanstoss…

    Schö­nen Tag,
    Petra

    • Dan­ke für dei­ne Nach­richt Petra!! Ja genau, wir pla­nen jetzt Comics zu machen und räu­men nicht nur auf, son­dern klä­ren auch auf und machen auf das The­ma Auf­merk­sam. Ich hab selbst nicht gedacht wie viel man durch rei­ne Prä­senz und Gesprä­che lösen kann, aber Stück für Stück hat jeder Shop hier sei­nen Aschen­be­cher und der Abfall redu­ziert sich. Bald kom­men auch Bal­lot Bins für Ziga­ret­ten an den Brun­nen­platz… Am aller­wich­tigs­ten ist unse­rer Mei­nung aber Bil­dung. Wir sind schon im Aus­tausch mit der Schu­le in unse­rer Stra­ße, aber wenn euch Schu­len oder Kitas ein­fal­len, die Lust auf ein Pro­jekt haben, LET US KNOW!!!

  3. Dan­ke für die tol­len Taten! Ich war bei mei­nem letz­ten Besuch im Hum­boldt­hain über­rascht von der Sau­ber­keit! Wohltuend.
    Den­noch gebe ich noch ein­mal den Hin­weis auf die Ord­nungs­amt App mit der man ein­fach und schnell auf Miss­stän­de hin­wei­sen kann. Nicht alles kann man mit Sam­meln besei­ti­gen. Ich nut­ze sie seit ca. 2 Jah­ren und etli­che Müll­ber­ge sind schon ver­schwun­den. Lie­be Grüs­se Hannes

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