Wer am Wochenende im Humboldthain unterwegs ist, staunt nicht schlecht über ein Maß an Sauberkeit, welches eher an unser benachbartes Prenzlauer Berg erinnert. Zu verdanken haben wir das engagierten Menschen aus der Nachbarschaft, die seit Januar jede Woche regelmäßig mit Müllsäcken und Zangen ausgestattet den Panke-Kiez von Zigarettenstummeln, To-Go-Verpackungen und Sperrmüll befreien. Damals als kleine Nachbarschaftsaktion gestartet, sind die LITTERPICKER mittlerweile eine etablierte Initiative, bei der jeden Freitag alte und neue Gesichter zusammenkommen. Die gemeinsame Mission: aufräumen, aufklären und aufrütteln.
Wir sind Spitzenreiter in Sachen Müll
Mit 37 kg Verpackungsmüll aus Plastik pro Kopf im Jahr ist Deutschland europaweit größter Müllerzeuger. Dabei kommen wir kaum noch am Thema Müllvermeidung vorbei: Plastikstrohhalme sind es bereits, To-Go-Becher wohl als nächstes verboten. Unverpackt-Läden sprießen in allen Ecken aus dem Boden und auch die Gurke gibt es im Supermarkt mittlerweile verpackungsfrei. Dennoch machen diese Materialien die Hälfte des weltweit produzierten Plastikmülls aus, wie aktionmüllfrei berichtet. Und davon werden nur traurige 9% wirklich recycelt. Der Rest wird verbrannt, landet in Deponien oder eben auf der Straße und im Park. Und gerade dort fühlt sich niemand so richtig für zuständig. Zwischen BSR, Grünflächenamt und Sparmaßnahmen der Stadt fallen vor allem die Erholungs- und Naturräume, unsere vielen Berliner Parks, hinten über. Dagegen wollen Anna und Nina aus der Böttgerstraße zusammen mit vielen Nachbar:innen angehen.
Die Sache selbst in die Hand nehmen
“Wir machen nicht die Arbeit der Stadtreinigung, weil wir uns hauptsächlich auf die Zwischenbereiche konzentrieren”, erzählt Anna, die lieber selbst aktiv wird, anstatt sich über ein Zuständigkeits-Ping-Pong zu ärgern. Die 35-Jährige Fotografin lebt seit 2010 im Wedding und hat das Müllsammeln bereits als Hobby in ihren Alltag integriert. Frei nach dem Motto Machen statt Meckern sieht sie ihr Engagement viel mehr als Unterstützung für BSR und das Straßen- und Grünflächenamt. Große Müllansammlungen können außerdem per App dem Ordnungsamt gemeldet werden – ein Tipp für alle, die Freitag Nachmittag keine Zeit zum gemeinschaftlichen Müllsammeln finden. Doch das Mitmachen lohnt sich. “Schon bei der ersten Aktion war klar: Das müssen wir wiederholen. Alle Anwesenden hatten Spaß und haben uns gefragt, ob wir es wöchentlich machen wollen”, so Anna, die mittlerweile wohl alle Büsche in ihrem Kiez kennt. Auch Nina packte die Motivation, eine Veränderung zu bezwecken. Schon in ihrer Heimat an der Nordsee hat sie gemeinsam mit ihrem Vater Müll gesammelt: “Der Strand war voller Fischernetze und Gummihandschuhe – viel geändert hat sich daran nichts. Ende letzten Jahres habe ich dann wieder angefangen bei meinen Corona-Spaziergängen in Berlin am Wegesrand wilden Müll zu sammeln.”
Von Anfang an gab es viel Zuspruch für die Nachbarschaftsinitiative. Es helfen immer mehr Menschen – junge Leute, Eltern, Kinder, Senioren, geistig Behinderte und Geflüchtete. Teilweise kommen sie jede Woche; manchmal sogar aus angrenzenden Stadtteilen. Auch Claudia ist jeden Freitag um 17 Uhr am Treffpunkt vor der Wilden 17 in der Böttgerstraße. Sie erzählt, dass ihr das Müllsammeln einen Ausgleich schafft zu dem konstanten Alltag in ihrer Gemeinschaftsunterkunft. Sie wollte sich in der Nachbarschaft einbringen und wurde durch eine Betreuerin der Einrichtung auf die noch junge Initiative aufmerksam. “Ich hatte schon etwas wie aufräumen im Kopf, denn mir liegt die Natur sehr am Herzen. Durch den ganzen Müll gelangen so viele giftige Stoffe in den Boden.” Das möchte sie mit ihrem Engagement verhindern, erzählt Claudia. Die Motivation ist wohl bei allen so hoch, weil es Woche für Woche immer neue Müll-Schätze zu finden gibt.
Toxische Auswirkungen auf die Umwelt
Vermüllte Parks sind nicht schön anzusehen, aber vor allem auch eine große Belastung für die Umwelt. Und das in vielerlei Hinsichten. Mikroplastik gelangt durch die langsame Zersetzung von Verpackungsmüll bisher ungehemmt in unser Grundwasser. Dabei ist noch völlig unklar, inwiefern diese Kleinstpartikel schädlich für den menschlichen Organismus sind. Fakt ist: neben Plastikverpackungen sammelt sich nicht selten auch Sondermüll wie umweltschädliche Farbreste an. Doch wie oft sind es die unscheinbaren Dinge, die größte Auswirkungen verzeichnen. So hat laut dem naturschutzbund eine Zigarettenkippe bis zu 4.000 toxische Stoffe, die zwischen 40 und 60 Liter Grundwasser verunreinigen, Pflanzenwachstum negativ beeinflussen und auch schon in den Körpern von Vögeln und Säugetieren gefunden wurden. Von 4,5 Billionen weggeworfener Zigaretten jährlich fallen alleine in deutschen Städten und Gemeinden so viele an, dass es Kosten von rund 225 Millionen Euro verursacht. Das ist über 1⁄3 des Gesamtbudgets für das sogenannte Littering.
Wer schon einmal selbst aktiv wurde, weiß, wie frustrierend das Aufsammeln von Kippen, Konfetti und Kleinplastik sein kann. Doch es lohnt sich – auch wenn die Ausbeute im Müllsack am Ende wohl etwas mau aussieht. Ohne Müllzange und Handschuhe möchte aber wohl niemand den Dreck von der Straße kratzen. Die LITTERPICKER sind dem seit Beginn gewappnet: Müllzangen wurden durch die Organisation wir-Berlin sowie die Stk Wedding Zentrum gestellt und auch die BSR sponsert mittlerweile Müllsäcke und die Abholung des gesammelten Guts. Das war allerdings nicht von Anfang an so.
Der Zuspruch kam peu á peu
Wer bei der Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz nach einer Antwort auf die Frage sucht, wieso es in den Berliner Grünanlagen nicht mehr Abfallbehälter gibt, wird schnell fündig. Ihre Logik: Mehr Mülleimer erzeugen auch mehr Abfall und dadurch höhere Entsorgungskosten. Ebenso kurzsichtig zeigte sich anfangs die Berliner Stadtreinigung und wollte die Corona-konforme Initiative inmitten einer Pandemie nicht zur Seite stehen. Doch Stadtteilkoordination, Stiftungen und Medien unterstützen umso mehr.
Nach einigen Zeitungsartikeln und Müllaktionen bat auch die alteingesessene Stadtreinigung dann ihre Hilfe an. Die 26-jährige Nina freut sich über den wertvollen Austausch mit Nachbar:innen und Institutionen wie dem Baumhaus und der Fabrik Osloer Straße. Darüber hinaus entstehen konkrete Pläne für Veränderungen, die eine nachhaltige Verbesserung der Sauberkeit bezwecken sollen. Mit Hilfe von Nachbarin und SPD-Abgeordneten Svenja Linnemann wurde in der Bezirksverordnetenversammlung in Mitte bereits ein Antrag für einen Spritzen-Eimer im Humboldthain eingebracht und verabschiedet. “Das freut mein Herz!”, so Anna über die ersten konkreten Auswirkungen der Initiative.
Mittlerweile ermutigen die LITTERPICKER unter dem Hashtag #derweddingräumtauf Menschen in anderen Kiezen aktiv zu werden. Parallel zum Treffpunkt Böttgerstraße 17 kommen auch am Leopoldplatz wöchentlich Anwohnende mit Müllsäcken und Greifzangen zusammen. Sogar die Stadtteilkoordination sowie das Quartiermanagement unterstützen nun finanziell, so dass als nächstes WeCare-Pakete an interessierte Nachbar:innen verteilt werden können – samt Müllzange, Müllbeuteln und Handschuhen. So kann jede Person unabhängig vom Freitagstermin im eigenen Kiez in die Büsche gehen. Einfach hier anfragen und direkt loslegen.
Aufräumen und Aufrütteln
Für Nina und Anna ist Müllsammeln ein gemeinsame Freizeitbeschäftigung geworden. “Es ist meditativ und man ist an der frischen Luft”, so Anna – und Nina ergänzt: “Ein Hobby, für das wir jetzt sogar einen Kurs beim BUND zur Abfallbotschafterin belegen”. Während der Aktionen rund um den Humboldthain schafft nicht zuletzt die Präsenz der blauen Mülltüten Anderen ein Bewusstsein und regt zum Mitmachen an. So wächst die Initiative weiter und weiter – und auch bei Gewitterwarnungen kommen viele Gesichter zusammen, um gemeinsam mit Abstand und Verantwortung in Corona-Zeiten aktiv zu werden.
LITTERPICKER
Treffpunkt: Böttgerstr. 17, 13357 Berlin
Kontakt: [email protected] / +49 (0)1633504728
Instagram: @berlin_litterpicker
Danke!
[…] gehen sie zusammen auf Müllsammel-Aktion und alle sind eingeladen mitzumachen. In der Artikel „Gemeinsam gegen den Müll – #derweddingräumtauf“ kannst du viel mehr über die Initiative erfahren! Tschüss […]
Liebe Alle,
ich bewundere eure Arbeit, vielen Dank! Ich ärgere mich jeden Tag beim Hundespaziergang über die Ignoranz unserer Mitmenschen, die ihren Dreck hinterlassen, denn irgendwer wird es ja wegmachen…auch über die Hundebesitzer*innen, die nicht hinter ihren Hunden sauber machen. Die Folge, überall Giftköderalarm in Berlin!
Viellicht bräuchte man auch mehr Schilder zur Sensibilisierung? Manchmal brauch man ja einen Gedankenanstoss…
Schönen Tag,
Petra
Danke für deine Nachricht Petra!! Ja genau, wir planen jetzt Comics zu machen und räumen nicht nur auf, sondern klären auch auf und machen auf das Thema Aufmerksam. Ich hab selbst nicht gedacht wie viel man durch reine Präsenz und Gespräche lösen kann, aber Stück für Stück hat jeder Shop hier seinen Aschenbecher und der Abfall reduziert sich. Bald kommen auch Ballot Bins für Zigaretten an den Brunnenplatz… Am allerwichtigsten ist unserer Meinung aber Bildung. Wir sind schon im Austausch mit der Schule in unserer Straße, aber wenn euch Schulen oder Kitas einfallen, die Lust auf ein Projekt haben, LET US KNOW!!!
Danke für die tollen Taten! Ich war bei meinem letzten Besuch im Humboldthain überrascht von der Sauberkeit! Wohltuend.
Dennoch gebe ich noch einmal den Hinweis auf die Ordnungsamt App mit der man einfach und schnell auf Missstände hinweisen kann. Nicht alles kann man mit Sammeln beseitigen. Ich nutze sie seit ca. 2 Jahren und etliche Müllberge sind schon verschwunden. Liebe Grüsse Hannes
Danke! Ja, die App benutzen wir auch und empfehlen sie sehr! Das Melden hat uns in Mitte auch sehr viel Geld für Projekte eingebracht. Also WIN WIN WIN https://www.tagesspiegel.de/berlin/millionen-gegen-den-muell-so-sollen-berlins-strassen-sauberer-werden/26785048.html