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Der Wedding bleibt hässlich

6. Januar 2018
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Fahrrad, Antwerpener Straße, kuriosPark­ver­bots­schil­der auf dem Geh­weg sind ihre ers­ten Vor­bo­ten. Wenig spä­ter schon fol­gen die Abschlep­per, gern von ein bis zwei mehr oder min­der prä­sen­ten Poli­zei­uni­for­men flan­kiert, bevor es offen­sicht­lich wird. Das bis ges­tern noch recht unschein­ba­re Wohn­haus wird ein­ge­rüs­tet – und ver­schwin­det für meh­re­re Wochen gänz­lich hin­ter Häm­mern, Stem­men und (viel­leicht bald schon geklau­ten) Bau­auf­zü­gen. „Gen­tri­fi­dings“ ruft man eilig dort, wo von außen mal eben auf­ge­hübscht wer­den soll. Dabei steht auch des­we­gen längst fest: von innen bleibt der Wed­ding häss­lich. Trotz neu­em Zep­pe­lin­platz. Trotz auf­ge­kleb­ter Dämm­plat­ten. Trotz der neu­en Fas­sa­den, der neu­en Bal­ko­ne und der auf­ge­mal­ten Klinkersteine.

Häss­lich dort, wo die selbst­er­nann­ten Wed­din­ger es nicht für nötig hal­ten, die Not­durft ihrer Vier­bei­ner von der Stra­ße zu heben. Dort, wo man lie­ber die stin­ken­de Hun­de­toi­let­te namens Mit­tel­strei­fen behält. Der Wed­ding wird von außen hübsch gemacht. Nur hin­ter den Fens­tern, dort bleibt er genau­so häss­lich wie immer. Dort, wo die­je­ni­gen unter uns woh­nen, die wir abge­hängt und ver­ges­sen haben. Die­je­ni­gen, die vom Amt weder zum Leben noch zum Ster­ben genug haben. Dort, wo die­je­ni­gen jetzt woh­nen, die sich genau den Wed­ding zurück­wün­schen, als die­ser höchst­selbst ver­ges­sen und abge­hängt wur­de. In den Jah­ren nach dem Mau­er­fall. Die Iro­nie der Geschich­te ist, dass die selbst­er­nann­ten Wed­ding­schüt­zer den Wed­ding der 1990er ja selbst nie mit­er­lebt haben.

Eck­haus Mül­ler-/Schö­ningstr.

Der Wed­ding wird von außen auf­ge­hübscht, von innen bleibt er häss­lich. Und das trotz der­je­ni­gen, die in den letz­ten Jah­ren zu uns gekom­men sind. Den­je­ni­gen, denen man nach­sagt, sie könn­ten es sich ja leis­ten. Was Frit­ze Wed­ding aber schnell ver­gisst: die­je­ni­gen kom­men hier­her, nicht, weil sie sich den Wed­ding leis­ten kön­nen, son­dern weil sie ansons­ten kei­ne bezahl­ba­re Unter­kunft fin­den. Und zwar weder in Kreuz­berg, Neu­kölln oder Lich­ten­berg, noch in Köpe­nick oder in Span­dau bei Ber­lin. Nicht nur der Wed­ding wird auf­ge­hübscht, son­dern die gesam­te Stadt. Wer aber nur so weit über den Wed­din­ger Tel­ler­rand schaut wie ein Schwein springt, wird das nicht natür­lich nicht erfassen.

Der Wed­ding wur­de nach dem Fall der Mau­er ver­ges­sen. Wer sich die­sen Zustand zurück­wünscht, soll­te viel­leicht auch die Mau­er wie­der errich­ten las­sen. Aller­dings nicht bloß an der Ber­nau­er Stra­ße, son­dern genau­so gut am Kut­schi, am Nord­ufer, am Gleim­tun­nel und natür­lich auch an der Born­hol­mer Stra­ße. Dann könnt ihr auch end­lich wie­der dar­über bestim­men, wer inner­halb eurer Mau­ern woh­nen darf – und wer nicht. Der Wed­ding bleibt hässlich.

Autor: Jakob M. Lampe

Gastautor

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4 Comments

  1. In ers­ter Linie ent­schei­den m.E. die Bewoh­ner über die Aus­strah­lung eines Ortes. Natür­lich auch Archi­tek­tur, Infra­struk­tur usw. Wenn man den Wed­ding also häss­lich fin­det, dann doch wohl vor allem die dort Woh­nen­den. Wed­ding ist eben nicht das gechill­te Char­lot­ten­burg, das hete­ro­ge­ne Schö­ne­berg usw. Ich per­sön­lich fin­de es vor allem auf der Mül­lerstra­ße und am Leo­pold­platz sehr her­un­ter­ge­kom­men und zwar in jeg­li­cher Form. Dem Wed­ding täte eine Durch­mi­schung der ver­schie­dens­ten sozia­len Schich­ten sehr gut. Man wird sehen, was kommt.

  2. Dich will ich loben, Häss­li­ches, du hast so was ver­läss­s­li­ches. (Robert Gern­hard). Ich bin vor ein paar Tagen auch noch mal mit der Kame­ra um die Häu­ser gezo­gen, und war erschro­cken, wie her­un­ter­ge­kom­men mein Kiez ist. Was die Ver­mie­ter nicht davon abhält, die unsa­nier­ten Häu­ser schnell teu­er zu vermieten.

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