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Gewerbehof Wattstraße: Miete hoch, Betriebe raus!

6. Oktober 2017
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Der Gewerbehof in der Wattstraße. Foto: Beate Heyne
Der Gewer­be­hof in der Watt­stra­ße. Foto: Bea­te Heyne

Ver­drän­gung wegen stei­gen­der Mie­ten betrifft nicht nur Woh­nungs­mie­ter. Wäh­rend För­der­pro­gram­me die sozia­le Mischung im Brun­nen­vier­tel erhal­ten sol­len, wer­den alt­ein­ge­ses­se­ne Gewer­be­mie­ter aus der Innen­stadt ver­drängt, zum Bei­spiel aus der Watt­stra­ße.Watt­stra­ße, Ecke Use­do­mer Stra­ße: Seit eini­ger Zeit wird hier groß gebaut. Neben einem Ver­wal­tungs­ge­bäu­de der Ber­li­ner Ver­kehrs­be­trie­be (BVG) ent­ste­hen im Auf­trag des lan­des­ei­ge­nen Woh­nungs­bau­un­ter­neh­mens Dege­wo 128 Woh­nun­gen, von denen 26 Pro­zent im Rah­men der Woh­nungs­neu­bau­för­de­rung kofi­nan­ziert wer­den. Haupt­zie­le die­ses Pro­gramms sind der Erhalt und die För­de­rung der sozia­len Mischung in der Innen­stadt, damit auch künf­tig Haus­hal­te mit gerin­ge­rem Ein­kom­men dort woh­nen kön­nen. Dies ist auch Ziel der seit 2005 im Kiez täti­gen Quar­tiers­ma­nage­ments, die durch die Euro­päi­sche Uni­on, den Bund und das Land Ber­lin geför­dert werden.

Der Reifenservice Kubik ist ein alteingesessener Gewerbemieter im Gewerbehof. Ihm droht die Kündigung. Fotos: Beate Heyne
Der Rei­fen­ser­vice Kubik ist ein alt­ein­ge­ses­se­ner Gewer­be­mie­ter im Gewer­be­hof. Ihm droht die Kün­di­gung. Fotos: Bea­te Heyne

Eine ande­re Ent­wick­lungs­ten­denz zeich­net sich schräg gegen­über im GSG-Gewer­be­hof Watt­stra­ße ab. Das Gelän­de und eini­ge Gebäu­de des Hofes haben Stadt- bezie­hungs­wei­se Kiez­ge­schich­te geschrie­ben: Mit­te des 19. Jahr­hun­derts Sitz des von Bethel Hen­ry Strous­berg gegrün­de­ten Schlacht- und Vieh­ho­fes, ließ hier nach dem Zwei­ten Welt­krieg die Her­mann Mey­er AG Ver­wal­tungs­ge­bäu­de für ihre Fir­ma errich­ten. In einem Teil die­ser Gebäu­de, in der Watt­stra­ße 11–12, hat­te die Tages­zei­tung taz von 1979 bis 1989 ihre ers­ten Redak­ti­ons­räu­me. Eini­ge der Gebäu­de ste­hen heu­te unter Denk­mal­schutz. Und dann gibt es noch die klei­ne Fabrik­hal­le in der Vol­ta­stra­ße 29–30: das ehe­ma­li­ge Umform­erwerk Vol­ta II, 1925 nach Plä­nen von Adolf Mey­er-Luy­ken für das städ­ti­sche Ver­sor­gungs­un­ter­neh­men BEWAG gebaut.

Bereits um 1990 wur­den För­der­mit­tel des Euro­päi­schen Fonds für regio­na­le Ent­wick­lung für die Sanie­rung und damit Stand­orter­hal­tung des Gewer­be­ho­fes ein­ge­setzt, der sich damals im Besitz der Lan­des­ei­ge­nen Gewer­be­sied­lungs­ge­sell­schaft (GSG) befand. Seit­dem hat sich dort eine bun­te Mischung von klei­nen und mit­tel­stän­di­schen Büros, Dienst­leis­tungs- und Hand­werks­be­trie­ben ange­sie­delt. Zwi­schen ihnen und der auf dem ehe­ma­li­gen AEG-Gelän­de befind­li­chen Tech­ni­schen Uni­ver­si­tät Ber­lin gibt es Koope­ra­tio­nen,  es wird Wis­sen trans­fe­riert. Eini­ge der Büros und Fir­men betreu­en Stu­den­ten bei Abschluss­ar­bei­ten, bie­ten Prak­ti­kums­plät­ze, bil­den aus. Der Hof ist in den Kiez inte­griert, die Mie­ter iden­ti­fi­zie­ren sich mit ihm und sei­nem Umfeld, ganz im Sin­ne sowohl der Stadt­teil­för­de­rung im Brun­nen­vier­tel als auch des 2012 von alt­ein­ge­ses­se­nen Fir­men gegrün­de­ten Ver­eins Tech­no­lo­gie­park Hum­boldt­hain e.V. (TPH).

Deckblatt des Werbeprospektes der GSG von 2014 für den Neubau in der Voltastraße 29–30. Flyer: GSG
Deck­blatt des Wer­be­pro­spek­tes der GSG von 2014 für den Neu­bau in der Vol­ta­stra­ße 29–30. Hier ist heu­te noch der Rei­fen­ser­vice. Fly­er: GSG

Nach Pri­va­ti­sie­rung der GSG 2007 und einem wei­te­ren Ver­kauf an einen tsche­chi­schen Immo­bi­li­en­in­ves­tor 2015 schei­nen sich gra­vie­ren­de Ver­än­de­run­gen im Gewer­be­hof Watt­stra­ße anzu­bah­nen. So wur­de in den ver­gan­ge­nen Mona­ten meh­re­ren, teil­wei­se alt­ein­ge­ses­se­nen Gewer­be­mie­tern gekün­digt bezie­hungs­wei­se die Mie­te von weni­ger als sechs Euro net­to kalt pro Qua­drat­me­ter auf zwölf Euro erhöht. Wei­ter wur­de eine umfas­sen­de Neu­ge­stal­tung und Ver­dich­tung des Are­als ange­kün­digt. In die­sem Zusam­men­hang ist ein Neu­bau in der Vol­ta­stra­ße 29–30 geplant. Auch zeich­net sich eine inhalt­li­che Neu­ori­en­tie­rung ab: hin zur äußerst pro­fi­ta­blen Bereit­stel­lung von kom­plett ein­ge­rich­te­ten Büro­räu­men für Start-ups. – Start-ups, die kom­men und gehen, aber mit dem Kiez­ge­dan­ken wenig zu tun haben.

Sicher­lich sind Mie­ten von unter sechs Euro net­to kalt für eine sol­che Lage nicht mehr zeit­ge­mäß, man­che Flä­chen nicht opti­mal genutzt wor­den und mög­li­cher­wei­se auch nicht alle Nut­zungs­ar­ten für den Stand­ort geeig­net.  Vor die­sem Hin­ter­grund bedarf es jedoch einer Visi­on für die Ent­wick­lung des Stand­or­tes, die den Gedan­ken an einen zusam­men­hän­gen­den Kiez nicht auf­gibt oder ver­nach­läs­sigt und den För­der­zie­len an ande­rer Stel­le im Kiez nicht entgegensteht.

Der Text stammt von Bea­te Hey­ne, die seit elf Jah­ren ihr Archi­tek­tur­bü­ro in der Watt­stra­ße betreibt. Sie ist gleich­zei­tig Mit­glied der Bür­ger­re­dak­ti­on im Brun­nen­vier­tel. Ihr Bei­trag ist zuerst im Kiez­ma­ga­zin “brun­nen” ver­öf­fent­licht. Mehr über die Bür­ger­re­dak­ti­on und das Kiez­ma­ga­zin gibt es auf dem Redak­ti­ons­blog.

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