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Zehn Gedanken über Stern*chen in Wörtchen

30. März 2017
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GendernMei­nung Ist das jetzt unnö­ti­ges Zun­gen­bre­cher­deutsch oder not­wen­di­ger Respekt? Eini­ge Poli­ti­ker in unse­rem Bezirk wol­len nur noch über Druck­sa­chen dis­ku­tie­ren, die in gegen­der­ter Spra­che ver­fasst sind. Damit soll „die Wert­schät­zung der Geschlech­ter auch durch die BVV (Bezirks­ver­ord­ne­ten­ver­samm­lung) voll­zo­gen wer­den”, heißt es im zuge­hö­ri­gen Antrag vom 7. Febru­ar. Stern*chen oder Binnen‑I? Mei­ne Damen und Her­ren, hier kom­men zehn Gedan­ken über das Gendern:

  1. Das Stern*chen und das gro­ße I in der Wort­mit­te ver­wir­ren die, die zumeist im Wed­ding in Volks­hoch­schul­kur­sen müh­sam Deutsch ler­nen wol­len. Ist die deut­sche Spra­che nicht schon schwer genug? Und geht es nichts zual­ler­erst ums Verstandenwerden?
  1. Das Stern­chen kenn­zeich­net laut gül­ti­gem Duden etwas, das in die Fuß­no­te abge­scho­ben wird. Beim Stern­chen denkt man doch an Mobil­funk­ver­trä­ge. Frau­en (und alle ande­ren) soll­ten sich nicht auf die­se Wei­se weg­schie­ben und abwer­ten lassen.
  1. Das Binnen‑I kann doch kein Mensch aus­spre­chen. Angeb­lich lässt man eine Pau­se vor dem I. Da wird eine neue, poli­tisch kor­rek­te Beam­ten­spra­che geschaf­fen. Hieß es nicht vor kur­zem noch, eine bür­ger­na­he Spra­che sei nötig?
  1. So schwer ist es ja nicht, ab und zu “Wed­din­ge­rin­nen und Wed­din­ger” zu sagen. Und so viel län­ger ist es auch nicht. In Reden fällt die Dop­pel­an­re­de auch gar nicht mehr auf. Nur das ellen­lan­ge “Gesund­brun­nerin­nen” soll­te nicht ver­langt werden.
  1. Dann darf aber nicht gedan­ken­los gegen­dert wer­den. Nicht dass es plötz­lich reflex­ar­tig heißt: Die Fußballer*Innen des BFC Reh­ber­ge gewan­nen am 26. März gegen den 1. FC Schö­ne­berg 4:0. (Wer stand da wohl auf dem Feld?)
  1. Da soll doch mit Spra­che mani­pu­liert wer­den. So wie das Wort Aus­lands­ein­satz nach Jugend­aus­tausch klin­gen soll. Es ist zwar schön, beim Wort Bäcke­rin an eine Frau zu den­ken. Bes­ser wäre es, beim Wort Bäcker an eine Frau zu den­ken, die den glei­chen Lohn wie der Kol­le­ge bekommt. (Könn­te sie es sich aus­su­chen, wür­de sie die Gehalts­er­hö­hung dem Stern­chen wohl vorziehen.)
  1. Wer auf Zwang setzt, ver­traut nicht auf die Kraft von Vor­bil­dern. “Ich woh­ne im Wed­ding” hat sich von allein und ganz ohne Amts­be­schluss (gegen “Ich woh­ne in Wed­ding”) durch­ge­setzt. Ein­fach, weil alle so reden. 
  1. Und das alles nur, weil es beim Pau­ken der Gram­ma­tik in der 1. Klas­se hieß: „Der Mann, die Frau, das Kind‟ und nicht „der Mensch, die Per­son, das Wesen‟.
  1. Ob nun Mie­ter, Mie­te­rIn­nen oder Mieter*innen – die Mie­ten stei­gen sowie­so! Und dann tschüß Wed­ding. Auf nach Mar­zahn oder Span­dau. Wahr ist: Gen­dern hilft gegen dro­hen­de Ver­drän­gung gar nicht. Hier im Wed­ding sind echt wich­ti­ge­re dicke Bret­ter zu bohren!
  1. In der tür­ki­schen Spra­che gibt es übri­gens kei­ne Geschlech­ter, nicht mal Arti­kel. Sind Wed­din­ger, die mit der tür­ki­schen Spra­che auf­ge­wach­sen sind, dadurch auto­ma­tisch wert­schät­zen­der gegen­über Frau­en, Homo­se­xu­el­len, Trans­gen­der-Men­schen und allen ande­ren sozia­len Geschlechtern?

7 Comments

  1. Da wo Spra­che ein Instru­ment der Herr­schen­den ist, soll­ten wir vor­sich­tig sein. Das End­la­ger für Atom­müll hat man uns in mei­ner Jugend als “Ent­sor­gungs­park” ver­kau­fen wol­len. Und wenn ich das Wort “Leis­tungs­trä­ger” im Wirt­schafts­teil lese, wird mir immer übel, weil damit nicht die Kran­ken­schwes­ter und der Flie­sen­le­ger gemeint sind.

    Spra­che ist aber in ers­ter Linie ein Instru­ment der Ver­stän­di­gung. Daher muss sie ein­fach und für alle ver­ständ­lich sein. Eine For­mu­lie­rung in der Schrift­spra­che muss auch als gespro­che­nes Wort funk­tio­nie­ren. Wie lese ich das Stern­chen oder die Bin­nen­ver­sa­lie? Da neh­me ich mir im Zwei­fels­fall doch lie­ber Zeit und schrei­be z.B. “Lese­rin­nen und Leser”.

    Ich glau­be, die prag­ma­ti­schen Men­schen im Wed­ding haben wenig Ver­ständ­nis für die­se abge­ho­be­nen aka­de­mi­schen Debat­ten um irgend­ei­ne Beschluss­vor­la­ge in der BVV. Schaut ein­fach dem Volk aufs Maul und lernt die Spra­che auf der Straße.

      • Ich glau­be, man spricht vom Gen­der-Gap. Der Regie­ren­de Bür­ger­meis­ter hat mal ver­mu­tet, man lässt da ein­fach eine Lücke. Lie­be Ber­li­ner (Pau­se, stum­mes *) innen!

  2. ja, das The­ma sorgt immer wie­der für Auf­re­gung. Wie­so eigent­lich? Klar, wir kön­nen strei­ten über Stern­chen, gro­ße “I“s, deren Bedeu­tung und was dadurch alles kom­pli­zier­ter wird. Aber das The­ma bleibt doch, dass die Auf­merk­sam­keit dadurch erhal­ten wird, der Gedan­ke in die Rich­tung von Gleich­stel­lung und Gleich­wer­tig­keit gerich­tet wird.
    Spra­che ist (auch) Herr­schafts­in­stru­ment. Und schafft Wirk­lich­keit. Grenzt ab/aus, schließt auch ein. Und gera­de dann, wenn sie ecki­ger wird, dann ver­ur­sacht das ein Nach­den­ken bei den Lesen­den. Da spricht auch nichts dage­gen, dass es Spra­chen ohne geschlecht­li­che For­men gibt. Oder Men­schen, die noch nicht so gut deutsch sprechen/lesen kön­nen. Und erst recht nicht, dass Frau­en und Män­ner unter­schied­lich bezahlt wer­den bei glei­cher Tätig­keit und Eignung.
    Vie­le klei­ne Schrit­te sind not­wen­dig, um die bestehen­den Bil­der zu hin­ter­fra­gen, um zum kri­ti­schen Nach­den­ken anzu­re­gen – geschlech­ter­ge­rech­te oder ‑neu­tra­le Spra­che ist einer davon und es ist gut, wenn Behör­den und deren Orga­ni­sa­tio­nen damit anfan­gen. Und natür­lich bleibt der männ­li­che Fuss­bal­ler ein Fuss­bal­ler – sowie wie bei Tur­bi­ne Pots­dam eben Fuss­bal­le­rin­nen spie­len. Dif­fe­ren­zie­rung lässt sich ler­nen und üben – um nicht viel mehr geht es dabei.

    • Das The­ma ist sicher nicht unwich­tig und zu hin­ter­fra­gen, was man den gan­zen Tag so sagt und schreibt, ist immer gut. Ich fin­de es nur schlimm, wenn ein sol­ches The­ma insti­tu­tio­na­li­siert wird. Das ruft bei mir so eine Art Gegen­re­ak­ti­on hervor. 

      Ich glau­be nicht, dass bei uns die Mehr­heit den gan­zen Tag aus­gren­zen­de Gedan­ken denkt. Aber sprach­lich umer­zo­gen wer­den möch­te man doch trotz­dem nicht, oder? Wenn es als Anre­gung gedacht wäre, über Gleich­be­rech­ti­gung und Tole­ranz nach­zu­den­ken, fän­de ich das gut.

      • Gibt es nicht Pri­ri­tä­ten in unse­rem All­tags­le­ben, wie zum Bei­spiel glei­che Bezah­lung für den Mann und die Frau?

        Da lie­be ich doch Ms. Pankhurst, die auf die Stra­ße gegan­gen ist, um für das Wahl­recht der Frau­en zu kämpfen.

        Mit der ” Insti­tu­ti­ons­na­li­sie­rung ” des The­mas ver­gißt man/frau die etwas wich­ti­ge­ren The­men des Alltags.

        Wir soll­ten doch Prio­ri­tä­ten setzen!!

        Aber den Begriff kennt man/frau wohl nicht mehr.

        Und ganz nebenbei:

        Was mache ich eigent­lich mit den femi­ni­nen Sub­stan­ti­ven in der deut­schen Sprache:

        z.B. : Die Person 

        ???

        Die Wirk­lich­keit des Lebens sieht aller­dings anders aus 🙂

    • “Spra­che ist (auch) Herr­schafts­in­stru­ment.” – Zunächst ein­mal ist gera­de Spra­che nicht Herr­schafts­in­stru­ment. Gera­de Spra­che ist der wah­re Ort der Frei­heit. Das soll­te man nie ver­ges­sen trotz aller ein­leuch­tend klin­gen­den Theo­rien. Mit Spra­che kön­nen Gedan­ken aus­ge­drückt wer­den. Und natür­lich nutzt sie jeder für sei­ne Zie­le, will mit ihr ande­re über­zeu­gen. Nur gin­ge das öffent­li­che, gemein­sa­me Rin­gen um den rich­ti­gen Gedan­ken ver­lo­ren, wenn eine staat­lich ver­ord­ne­te Spra­che geschaf­fen wird. Erst dann wird Spra­che zum Herr­schafts­in­stru­ment. Die Leu­te legen sich eine offi­zi­el­le und eine pri­va­te Rede­wei­se zu. Erst dann haben die Wör­ter die Herr­schaft erlangt und der Aus­tausch der Gedan­ken ist unterdrückt.

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