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Der große Wedding-Jahresrückblick der Brauseboys: Frühling

14. Dezember 2015
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Das Jahr geht zu Ende, der Jah­res­rück­blick der Brau­se­boys kommt. Schon zum 10. Mal lädt die Wed­din­ger Lese­büh­ne für meh­re­re Wochen in den Come­dy­club Kooka­bur­ra, um an die wirk­lich wich­tigs­ten The­men des Jah­res mit hei­te­ren Tex­ten und wahn­wit­zi­gen Lie­dern zu erin­nern. Für den Wed­ding­wei­ser fas­sen sie in die­sem Jahr exklu­siv die wich­tigs­ten Wed­din­ger Ereig­nis­se zusam­men, in vier Jah­res­zei­ten unter­teilt. Vier Wochen lang jeden Montag.

Früh­ling 2015

Ber­li­ner Wild­life (Vol­ker Surmann)

robert_eddingUnser Haus bekommt ein Specht­ma­nage­ment. Was für ein komi­sches Wort. Klingt nach einer die­ser neu­en Füh­rungs­me­tho­den, wie sie die­se Busi­ness-Eso­te­ri­ker alle hal­be Jahr auf den Markt schmei­ßen. Aber nein. Ich woh­ne an einem Park, und unser Haus hat Specht­be­fall. Anfangs habe ich unse­rem Nach­barn im Sei­ten­flü­gel gegen­über ja nicht glau­ben wol­len: Jaja, Spech­te klop­fen an Ihren Wän­den, von außen. Ham Sie mal wie­der Schnaps getrun­ken, das kenn ich, da hat man hin­ter­her auch immer das Gefühl, dass da gehö­rig was am Kopf rum­häm­mert. Aber nun kom­me ich nicht umhin, dem Nach­barn recht zu geben: Die rück­wär­ti­ge, fens­ter­lo­se Sei­ten­flü­gel­fas­sa­de unse­res Hau­ses sieht aus wie ein Schwei­zer Käse mit gut vier­zig auf­ge­hack­ten Löchern drin. Und in die­sem Früh­jahr hör­te ich es auch erst­mals in den frü­hen Mor­gen­stun­den: trrrrrrrrrtt trrrrrrrrt … trrrrrrrt trrrrrrrt – und zwar etwa auf der Höhe mei­nes Kopf­kis­sens. Kein Zwei­fel: Ein Specht war gera­de aus­häu­sig am Werk! Und das schon mor­gens um sechs! Ja, das ist die wil­de Großstadt!
Es ist schon trau­rig. Ich bin im Teu­to­bur­ger Wald auf­ge­wach­sen. Auf einem Bau­ern­hof. Um uns her­um gab es nur Wald und Land­schaft, sonst nichts; nur Natur! Doch mei­nen ers­ten Fuchs in frei­er Wild­bahn habe ich auf der Gericht­stra­ße im Ber­li­ner Wed­ding gesich­tet. Und mein ers­tes Wild­schein, wie es gera­de eine Müll­ton­ne am Schlach­ten­see plün­der­te. Aber dit is Ber­lin! Hier füt­tern Wasch­bä­ren ihren Nach­wuchs mit Döner extra­scharf, betrun­ke­ne Mar­der tor­keln über Geh­we­ge, nach­dem sie wie­der zu tief in die Motor­schläu­che mit dem Frost­schutz­mit­tel geschaut haben und Eich­hörn­chen fal­len benom­men vom Baum, weil sie im Gör­li statt Vor­rats­nüss­chen wie­der nur Haschisch ausbuddeln.

Im Namen der Jog­ging­ho­se (Frank Sorge)

Ich stau­ne nicht schlecht über das Pla­kat vor dem Wed­din­ger Super­markt: 10% Rabatt für den Ein­kauf in Jog­ging­ho­se wird ver­spro­chen. Nicht für das Kau­fen von Jog­ging­ho­sen, son­dern für alles, was man mit einer sol­chen beklei­det kauft. Anlass der Akti­on ist der “Welt­tag der Jog­ging­ho­se”. Was aber ist mit denen, die hier das gan­ze Jahr in Jog­ging­ho­se kom­men? So ein Pla­kat kann man schnell mal über­se­hen. Wenn die Kas­sie­re­rin extra noch ein­mal auf­ste­hen muss, um sich genau die Hosen der Ein­kau­fen­den zu betrach­ten – kann das nicht sehr irri­tie­rend sein?
“Wat kie­ken Se denn da?”
“Ihre Hose.”
“Meene Hose? Jibts da wat Interessantet?”
“Ihre Jogginghose.”
“Die is’ nich von hier, die hab ick schon länger.”
“Sieht man, sieht man.”
Eine erwart­ba­re Tor­tur für die Kas­sen­kräf­te, noch mehr, wenn die Kun­den Bescheid wis­sen. Denn der typi­sche Kun­de im Pro­blem­vier­tel kennt sich mit Rabatt­ak­tio­nen, Cou­pons und ähn­li­chem so gut aus, dass mit aus­ge­wähl­ten Spitz­fin­dig­kei­ten zu rech­nen ist.
“Krieg ick denn ooch ne Jog­ging­ho­se selbst mit Rabatt?”
“Nur, wenn Sie eine anhaben.”
“Und darf ick die jetzt anzie­hen, bevor ick Se koofe?”
“Nein, das geht nicht, es ist ja dann noch nicht ihre.”
“Aber wenn ick die jetzt anzie­he, will die doch eh nie­mand ande­res mehr haben. Da könn­te man doch qua­si mei­nen, dass et schon mei­ne is.”
“Ist sie aber nicht.”
“Jute Frau, da steht doch wohl – Rabatt für den Ein­kauf in Jog­ging­ho­se. Is’ doch ein­deu­tig, oder nich? Ick zieh mir die jetz­te an, kie­ken Se mal weg, und dann bin ick ein­deu­tig in Jog­ging­ho­se einkoofen.”
“Ja, machen Se.”

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Die neue Kas­sie­re­rin im ALDI (Robert Rescue)

O Gott, ein Frisch­ling, den­ke ich mir, als ich mich der Kas­se nähe­re. Sie ist jung und lächelt so abar­tig. So fröh­lich. Einer der Alten vor mir beginnt eine Debat­te mit ihr, ob er 9,57 € Rück­geld bekom­men hat oder 9,27 €. Die übli­che Lei­er, aber anstatt ihm das Baguette um die Ohren zu hau­en, erläu­tert sie ihm gedul­dig, dass er 9,27 € zurück erhal­ten hat. »Das ist doch Scheiß egal«, rufe ich von hin­ten. »Ver­piss dich end­lich und stirb zuhau­se.« Ich höre zustim­men­des Gemur­mel. Der Alte ist ver­wirrt und gibt sich zufrie­den. Eine jun­ge Frau will sich mit dem Hin­weis, sie habe nur drei Sachen, an mir vor­bei­drän­gen, aber ich sto­ße sie zurück. Als sie es erneut pro­biert, ram­me ich ihr die Faust in den Magen. Sie fällt zurück und die ande­ren War­ten­den rei­chen sie durch, bis sie wie­der am Ende der Schlan­ge steht. »Und ich habe nur Bier«, las­se ich sie wis­sen. Dann bin ich dran. „Einen schö­nen guten Tag wün­sche ich Ihnen“, ruft die neue Kas­sie­re­rin, als ich ihr den Pfand­bon rei­che. Ihre Freund­lich­keit bringt mich durch­ein­an­der. „Halt die …“, will ich schon rufen und ver­bes­se­re mich zu dem unsin­ni­gen Satz, „… übli­che Pfand­men­ge.“ Sie lächelt mich an und stellt die Ein­käu­fe sogar in den Wagen. Eine Woche gebe ihr, dann hat sie ent­we­der gekün­digt oder sie ist nor­mal geworden.

Requi­em für das Mül­lerstra­ßen­fest (Hei­ko Werning)

Das Mül­lerstra­ßen­fest im Ber­li­ner Wed­ding fin­det nicht mehr statt. Die Ver­wal­tung des Bezirks Mit­te hat ange­kün­digt, die Geneh­mi­gun­gen nicht mehr zu ertei­len, die bis­he­ri­gen Betrei­ber haben gar kei­nen Antrag mehr eingreicht. Eine jahr­zehn­te­lan­ge Tra­di­ti­on geht zu Ende. Vor­bei die Zei­ten, als auf der Mül­lerstra­ße Stän­de mit allem auf­ge­baut wur­den, was das durch Alko­hol­kon­sum und unge­sun­de Ernäh­rung ver­fet­te­te Herz eben so begehrt: Bil­lig-Tex­ti­li­en, Bil­lig-Krem­pel, Bil­lig-Musik, Bil­lig-Bier, dazwi­schen bil­li­ge Kin­der­be­spa­ßung. Eine Orgie des schlech­ten Geschmacks also, eine Gele­gen­heit für alle, die sonst das Unter­schich­ten­fern­se­hen gucken, mal vor die Tür zu gehen, um Gleich­ge­sinn­te zu treffen.
Das Kiez­blatt „Ber­li­ner Woche“ schreibt, „die zur Bil­lig­mei­le ver­kom­me­nen Stra­ßen­par­ty“ sol­le ver­bo­ten wer­den, und wei­ter: „Ein Kri­te­ri­um ist, dass die Ver­an­stal­tun­gen im öffent­li­chen Inter­es­se sein müs­sen. Dies ist aber beim Mül­lerstra­ßen­fest schon lan­ge nicht mehr der Fall.“ Die B.Z. grü­belt: „Kiez­fes­te sol­len Spaß machen, die Anwoh­ner ein­be­zie­hen und den Bezirk am bes­ten noch ber­lin­weit in ein gutes Licht rücken. Bei­des scheint beim Mül­lerstra­ßen­fest nicht mehr gege­ben.“ Nicht mehr im öffent­li­chen Inter­es­se? Zur Bil­lig­mei­le ver­kom­men? Rückt den Bezirk nicht mehr in ein gutes Licht? Ich ken­ne das Mül­lerstra­ßen­fest seit 1991, seit ich vor sei­nen Toren woh­ne. Vie­le jam­mern ja, dass alles immer schlech­ter wer­de in der Welt, das Fern­se­hen und die Toma­ten, und die Plat­ten die­ser einen Band waren frü­her ja auch noch rich­tig gut – fuck it. Ich aber kann ver­si­chern: Das garan­tiert Ein­zi­ge, was wirk­lich seit vie­len Jah­ren kei­nen Mil­li­me­ter schlech­ter gewor­den ist, weil es immer schon genau so furcht­bar war, wie es nun ein­mal ist, ist das Mül­lerstra­ßen­fest. Jahr­zehn­te­lang hat das kaum jeman­den gestört. Erst jetzt wird es plötz­lich zum Pro­blem. Aber wenn die Pro­blem­ana­ly­se bereits mit einer sol­chen Lüge beginnt, indem sie näm­lich den Ein­druck ver­mit­telt, hier gehe etwas vor die Hun­de, dass in Wirk­lich­keit schon immer dort lag, dann ist höchs­tes Miss­trau­en ange­bracht. Nicht das Fest näm­lich hat sich so ver­än­dert, dass es nicht mehr zum öffent­li­chen Inter­es­se passt, son­dern das öffent­li­che Inter­es­se hat sich so ver­än­dert, dass das Fest nicht mehr zu ihm passt. So läuft er eben, der Klas­sen­kampf von oben. Jetzt, wo das hier nicht mehr Ghet­to ist, son­dern bes­te Innen­stadt­la­ge, soll das pre­kä­re Wed­din­ger Men­schen­ma­te­ri­al bit­te mal fix aus dem Bild tre­ten. Sei­ne Bratwurst‑, Bier- und Rest­pos­ten-aus-Paris-für-3-Euro-Stän­de kann es doch bit­te schön auch irgend­wo in Mar­zahn oder Span­dau auf­stel­len, da stört es wenigs­tens keinen.

heiko_akifStadt­rat Spal­lek betont: „Die Stadt­teil­fes­te Fete de la Musi­que, Fas­ten­bre­chen, Weih­nachts­ba­ser auf dem Leo­pold­platz sind nicht betrof­fen und sol­len selbst­ver­ständ­lich wei­ter statt­fin­den.“ Selbst­ver­ständ­lich. Und sicher hät­te auch das Mül­lerstra­ßen­fest wie­der eine Chan­ce, wenn dort statt Sepa­ra­to­ren­fleisch­res­ten, mit Alko­hol ver­setz­ten Indus­trie­ab­wäs­sern und von Säug­lin­gen aus Ban­gla­desch zusam­men­ge­spei­chel­ten Syn­the­tik-Tan­gas dem­nächst end­lich hand­geschro­te­te Bio-Wach­tel­würs­te, vega­ne Lit­schi-Maca­de­na-Milch­shakes und von erleuch­te­ten Scha­ma­nin­nen bei Voll­mond aus Yak-Haar­spit­zen gehä­kel­te Regen­bo­gen­schals ange­bo­ten wür­den. Denn zumin­dest eines wäre all das dann ganz bestimmt nicht: bil­lig. Und schon könn­ten wir wie­der drü­ber reden, wetten?
Ande­rer­seits: Da Cars­ten Spal­lek ja bei der CDU ist, könn­te man womög­lich dar­auf spe­ku­lie­ren, dass sei­ne Ansich­ten auf Dau­er all­ge­mein gesell­schafts­fä­hig wer­den. Denn laut B.Z. ist es so: „Anwoh­ner und Geschäfts­leu­te wür­den die Ver­mül­lung und Pro­ble­me mit dem Lie­fer­ver­kehr bekla­gen, sag­te Spal­lek wei­ter. Auch der öffent­li­che sowie gro­ße Alko­hol­kon­sum dürf­te bei den Über­le­gun­gen eine Rol­le spie­len.“ Und sei­en wir ehr­lich: Fes­te, die zu gro­ßem öffent­li­chen Alko­hol­kon­sum, Ver­mül­lung und Pro­ble­men mit dem Lie­fer­ver­kehr füh­ren, die gehö­ren ganz ein­fach nicht zu Deutsch­land! Nimm dies, Köl­ner Kar­ne­val! Pack schon mal ein, Mün­che­ner Oktoberfest!

Ostern (Paul Bokowski)

Zwei Trin­ker Ende 40 erste­hen bei Net­to um die Ecke ein orts­ty­pi­sches Früh­stück: 8 Fla­schen Pil­sa­tor, zwei klei­ne Fläsch­chen Gold­brand und eine Packung Bock­würst­chen. Als es an’s Bezah­len geht zückt einer von ihnen Stolz einen 50 Euro Schein. Dar­auf der ande­re: “Boah Alter, wo hast’n du ’n Fuf­fi her?”. – “Meene Mut­ti war zu Besuch.”


‘Auf Nim­mer­wie­der­se­hen 2015 – Das Jahr ist voll’ ist der 10. Jah­res­rück­blick der Brau­se­boys. Am 15.12. ist Pre­mie­re, vor Weih­nach­ten gibt es täg­lich bis 20.12. eine Vor­stel­lung, nach Hei­lig­abend geht es dann bis zum 9.1.2016 wei­ter. Reser­vie­rung und Vor­ver­kauf über www.comedyclub.de – Wei­te­re Infor­ma­tio­nen auch über www.brauseboys.de

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