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Wichtige Verbindung in Berlin:
Das Schicksal des Nord-Süd-Tunnels der S‑Bahn

4. Mai 2015
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Wie heißt es so schön: man lernt Din­ge erst zu schät­zen, wenn man sie nicht mehr hat. So dürf­te es vie­len – zu Recht – generv­ten und gestress­ten S‑Bahn-Fahr­gäs­ten gehen, wenn wie­der die S‑Bahnstrecke zwi­schen Gesund­brun­nen und Yorck­stra­ße gesperrt wird oder wmal gestreikt wird. Der exakt sechs Kilo­me­ter lan­ge Tun­nel unter den Stra­ßen von Ber­lin-Mit­te hat bald 80 Jah­re auf dem Buckel und steht exem­pla­risch für die wech­sel­rei­che Geschich­te Ber­lins im 20. Jahr­hun­dert. Es wird Zeit, sich die­ses Bau­werk ein­mal näher anzuschauen.

Vor 80 Jahren eröffnet: Bahnhof Humboldthain

S Bahnhof Humboldthain Gebäude

Am 1. Janu­ar 1935 wur­de, noch an der Ober­flä­che, der neue Bahn­hof Hum­boldt­hain eröff­net. Von dort gelang­ten die Züge anfangs nur bis zum Stet­ti­ner Bahn­hof (auf Höhe des heu­ti­gen Nord­bahn­hofs). Der Bahn­steig liegt in einem tie­fen Ein­schnitt zwi­schen dich­ter Bebau­ung und dem Hang des nahen Volks­parks Hum­boldt­hain. Er wird durch ein acht­ecki­ges Zugangs­ge­bäu­de an der Ecke Wiesenstraße/Hochstraße erschlos­sen, das im Stil der Neu­en Sach­lich­keit von Archi­tekt Richard Bra­de­mann ent­wor­fen wur­de. Im Juli 1936, also zu den Olym­pi­schen Spie­len, wur­de dann der ers­te Bau­ab­schnitt des S‑Bahn-Tun­nels bis Unter den Lin­den (heu­te: Bran­den­bur­ger Tor) eröff­net. Die Tun­nel­ein­fahrt befin­det sich eini­ge hun­dert Meter hin­ter dem Bahn­hof Hum­boldt­hain, nahe der ver­ros­te­ten Lie­sen­brü­cken. Doch erst seit 1939, als der süd­li­che Tun­nel­ab­schnitt Unter den Lin­den – Yorck­stra­ße fer­tig­ge­stellt war, sind die nörd­li­chen S‑Bahnlinien aus Ora­ni­en­burg, Hen­nigs­dorf und Ber­nau mit den süd­li­chen Lini­en verbunden.

Vor 70 Jahren geflutet: der S‑Bahn-Tunnel

S Bahn Regionalexpress

Doch das Jahr­hun­dert­bau­werk war schon weni­ge Jah­re spä­ter wie­der zer­stört. Denn nur Stun­den vor dem Ende der Kampf­hand­lun­gen in Ber­lin wur­de der Tun­nel am 2. Mai 1945 geflu­tet. Unbe­kann­te Täter hat­ten die Tun­nel­de­cke direkt am Land­wehr­ka­nal gesprengt, so dass sehr schnell Was­ser in die ver­schie­de­nen Tun­nel­sys­te­me ein­drin­gen konn­te. Auch die U‑Bahn war davon über einen Ver­bin­dungs­gang an der Fried­rich­stra­ße betrof­fen. Erst 1947 war der Tun­nel wie­der für S‑Bahnen befahr­bar. Doch durch die Tei­lung Ber­lins hiel­ten die West-Ber­li­ner S‑Bahnen ab 1961 nicht mehr an den vier unter­ir­di­schen S‑Bahnhöfen, die unter­halb des Ost­sek­tors lagen – wäh­rend die S‑Bahn bis 1984 wei­ter­hin von der (DDR-)Reichsbahn betrie­ben wur­de. Nur an der Fried­rich­stra­ße wur­de gehal­ten, wo die Über­gangs­mög­lich­keit zur BVG-U-Bahn-Linie 6 bestehen blieb.

Vor 25 Jahren wieder eröffnet: die stillgelegten Stationen

S Bahnhof Humboldthain

1990 wur­den dann die meis­ten wegen der Tei­lung außer Betrieb genom­me­nen Tun­nel­sta­tio­nen, aber auch der im Grenz­be­reich nörd­lich der Ring­bahn lie­gen­de Bahn­hof Born­hol­mer Stra­ße wie­der eröff­net. All­ge­mein hält sich die Auf­fas­sung, in der NS-Zeit habe es nur eine his­to­ri­sie­ren­de, monu­men­ta­le Archi­tek­tur gege­ben. Ganz im Gegen­teil, bei Funk­ti­ons­bau­ten wie Flug­hä­fen, Bahn­hö­fen sowie bei Fabrik­ge­bäu­den wie den Osram­hö­fen setz­te man auf die Moder­ne. His­to­ri­sie­rend oder monu­men­tal wur­de es erst bei reprä­sen­ta­ti­ven Gebäu­den. Cha­rak­te­ris­tisch für die meis­ten Sta­tio­nen, die 1935 – 1939 gebaut wur­den, ist die Frak­tur­schrift “Tan­nen­berg” für die Bahn­hofs­na­men, die ent­we­der ori­gi­nal­ge­treu erhal­ten ist oder bei der Sanie­rung imi­tiert wur­de. In der Ver­teil­erhal­le des Nord­bahn­hofs sind eben­falls eini­ge Hin­weis­schil­der in die­ser Schrift erhal­ten geblieben.

Und heute?

Bf Gesundbrunnen Plakat

Nach dem Zwei­ten Welt­krieg wur­de der Tun­nel erst in den Jah­ren 199192 grund­sa­niert. Für Regio­nal- und Fern­bah­nen steht seit 2006 ein eige­ner vier­glei­si­ger Tun­nel unter dem neu­en Haupt­bahn­hof zur Ver­fü­gung. Er ver­läuft eini­ge hun­dert Meter west­lich vom Nord-Süd-Tun­nel und umgeht damit den Bahn­hof Fried­rich­stra­ße. Im Jahr 2015 war dann die nächs­te Sanie­rung des S‑Bahn-Tun­nels erfor­der­lich: für 6,4 Mil­lio­nen Euro waren vier Kilo­me­ter Gleis zu erneu­ern, 19 Wei­chen aus­zu­tau­schen, 5,6 Kilo­me­ter Stark­strom­ka­bel zu ver­le­gen, 2 500 Leucht­stoff­röh­ren zu mon­tie­ren und eine neue Zug­si­che­rungs­tech­nik zu instal­lie­ren. Außer­dem gibt es jetzt Schie­nen­schmier­stel­len in beson­ders engen Kur­ven – in der Hoff­nung, dass das Gequiet­sche der Züge dadurch lei­ser wird. In der heu­ti­gen Zeit wich­tig: für den bes­se­ren Han­dy­emp­fang und die Nut­zung durch Smart­phones ist jetzt ein leis­tungs­fä­hi­ge­res LTE-Netz im Tun­nel instal­liert. Nach der Wie­der­eröff­nung dürf­ten wie­der 100.000 Men­schen am Tag mit den rot-gel­ben Zügen unter Ber­lin-Mit­te fah­ren. Der Nord-Süd-Tun­nel ist und bleibt ein wich­ti­ger Bau­stein des S‑Bahnsystems Ber­lins und stellt vor allem für die Bewoh­ner von Ber­lin-Gesund­brun­nen eine schnel­le und beque­me Anbin­dung an die Innen­stadt dar.

Joachim Faust

hat 2011 den Blog gegründet. Heute leitet er das Projekt Weddingweiser. Mag die Ortsteile Wedding und Gesundbrunnen gleichermaßen.

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