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Auf Linie: Mit dem 247er durchs Brunnenviertel

22. Januar 2015
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Busse im WeddingDer Nordbahnhof ist mit Reif überzogen, auf den roten Schwingtüren am Eingang liegt noch der Niederschlag der Nacht, pendeln die Eiskristalle hin und her. An der Bushaltestelle vor dem Bahnhof pusten die Wartenden Wolken aus warmer Atemluft in den winterkalten Tag. Es ist Montagmorgen, kurz vor zehn und 15 Menschen warten auf den Bus. Als er kommt, leert sich die Haltestelle schnell. Der Bus Nummer 245 wird in Richtung Zoologischer Garten und in den ersten Arbeitstag der Woche fahren. Auf den folgenden Bus der Linie 247 hat heute kaum jemand gewartet. Nur ein junger Mann mit blauer Funktionsjacke und Mitte-Frisur hat sich einen Platz am Fenster gesucht.

Der 247 in der Usedomer Straße. Im Hintergrund ist die St. Sebastian-Kirche.
Der 247 in der Usedomer Straße. Im Hintergrund ist die St. Sebastian-Kirche.

Der Bus 247 pendelt von kurz vor fünf Uhr morgens bis Mitternacht im 20-Minuten-Takt zwischen Nordbahnhof und Leopoldplatz. Es gibt 23 Haltestellen, eine Fahrt vom Streckenbeginn bis zur Endhaltestelle dauert 30 Minuten. Mehr als die Hälfte der Haltestellen liegen im Brunnenviertel. Der 247 ist der Brunnenviertel-Kiezbus.

Die Menschen, die einsteigen, sind überwiegend jenseits der 50. Nur wenige Junge sind an diesem Tag unterwegs. Die zwei, die durch den Kiez gondeln, haben kleine Kopfhörerstöpsel im Ohr und hören Musik. „Na, wieder auf Achse“, fragt eine alte Dame eine intensiv nach Vanille duftende Bekannte, die gerade in den Kiezbus klettert. „Ja. Zum Zahnarzt, muss ja sein“, antwortet die Zugestiegene. Ihr folgendes Schwätzchen dreht sich um einen Brief vom gemeinsamen Vermieter. Sie beratschlagen, ob man die Mieterhöhung akzeptieren oder klagen soll. Sie einigen sich aufs Akzeptieren. Mit einem fröhlichen „Tschüss“ steigt die eine Dame an der Wolliner Straße wieder aus, ihre Gesprächspartnerin mit dem Vanilleduft fährt noch weiter durch das Brunnenviertel.

Haltestelle Usedomer Straße. Die Halle im Hintergrund steht auf BVG-Gelände.
Haltestelle Usedomer Straße. Die Halle im Hintergrund steht auf BVG-Gelände.

Die Menschen steigen ein und aus. Es sind nie mehr als die Hälfte der Plätze besetzt. Die meisten Fahrgäste sitzen schweigend auf den Plätzen, viele schauen aus dem Fenster. Ruhig und unaufgeregt fließt das Leben durch Weddings Straßen. Mit dem Brunnenviertel liegt der wuselige Prenzlauer Berg und das hibbelige Mitte, an deren Grenze der Bus entlang fährt, hinter den Menschen. Im Brunnenviertel ist es entspannt. Hier wird gern mal in zweiter oder dritter Reihe geparkt, aber selten gehupt. Der Blick aus dem Fenster offenbart ein ruhiges Wohngebiet: Im Brunnenviertel spazieren nur wenige Menschen über die Gehwege, gibt es kaum Fahrradfahrer. Es gibt viel Platz, insbesondere in der Nähe der Ackerstraße sind die Fahrbahnen so breit wie anderswo die Landstraßen. Und was in anderen Vierteln ein Luxusgut ist, gibt es im Brunnenviertel ganz selbstverständlich: freie Parkplätze. Der Bus fährt die Gleimstraße entlang, vorbei an vielen unbesetzten Parkflächen.

Die Fahrt ist sanft. Straßen und Plätze schweben vorbei. Viele Stationen werden ohne Stopp passiert, niemand will ein- oder aussteigen. Der Kiez fliegt vorbei, fühlt sich aus der Perspektive des Passagiers fremd an. Vertraute Orte, die mit Erlebnissen und Gesichtern verbunden sind, reduzieren sich zu einem Punkt auf einer Strecke. Zu einer Strecke durch irgendein Viertel in irgendeiner Stadt mit irgendwelchen Häusern.

kiezebus3Am Gesundbrunnen taucht der wohlig warme Bus aus dem Brunnenviertel auf, bahnt sich seinen Weg weiter in den Wedding hinein bis zum Leopoldplatz. Dort endet die Fahrt. Die letzten sieben Passagiere steigen aus. Draußen ist es noch immer kühl und die Menschen stecken die Hände in die Manteltaschen.

Text und Fotos: Dominique Hensel

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Dominique Hensel

Dominique Hensel lebt und schreibt im Wedding. Jeden zweiten Sonntag gibt sie hier den Newsüberblick für den Stadtteil. Die gelernte Journalistin schreibt für den Blog gern aktuelle Texte - am liebsten zu den Themen Stadtgärten, Kultur, Nachbarschaft und Soziales. Hyperlokal hat Dominique es auf jeden Fall am liebsten und beim Weddingweiser ist sie fast schon immer.

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