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„Der Druck ist schon voll da“ – Eine Diskussion im Sprengelkiez zum Thema Mietpolitik

11. April 2013
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Ins­be­son­de­re in zen­trums­na­hen Stadt­tei­len wie Wed­ding sind die Anwoh­ner besorgt wegen stei­gen­der Wohn­kos­ten. Unter dem Mot­to „Woh­nen muss bezahl­bar blei­ben“ lud die SPD-Bun­des­tags­ab­ge­ord­ne­te Dr. Eva Högl am Diens­tag zu einer Dis­kus­si­ons­ver­an­stal­tung im Spren­gel­kiez ein.

Reu­e­stim­mung in der SPD

Rund 80 Per­so­nen kamen am Diens­tag­abend in den Lin­den­gar­ten am Nord­ufer, dar­un­ter vie­le Anwoh­ner aus Tier­gar­ten und Wed­ding sowie Ange­hö­ri­ge ver­schie­de­ner loka­ler Mie­ter­initia­ti­ven. Den Fra­gen der Gäs­te stell­ten sich außer Eva Högl auch Ephra­im Gothe, Staats­se­kre­tär der Senats­ver­wal­tung für Stadt­ent­wick­lung, die Bezirks­ver­ord­ne­te Jani­na Kör­per sowie Sie­men Dall­mann, Anwoh­ner im Spren­gel­kiez und Vor­sit­zen­der des Ver­eins „Aktiv im Kiez“.

Gleich zu Beginn der Ver­an­stal­tung wur­de klar, dass mit Blick auf die Miet- und Wohn­po­li­tik so etwas wie Reu­e­stim­mung in der SPD herrscht. Denn das The­ma, gestand Eva Högl ein, sei lan­ge Zeit poli­tisch nicht aus­rei­chend behan­delt wor­den. Auch Ephra­im Gothe zeig­te sich selbst­kri­tisch, beteu­er­te jedoch, das The­ma sei „auf der poli­ti­schen Agen­da ganz nach oben geraten“.

Ent­span­nung wird nötig sein

Nazarethkirche
Man rech­net mit star­kem Zuzug: Berlin-Wedding

Ephra­im Gothe gab einen aus­führ­li­chen Über­blick über die Maß­nah­men des Ber­li­ner Senats, die auf dem Woh­nungs­markt der Stadt für mehr Ent­span­nung sor­gen sol­len. Ent­span­nung wird auch nötig sein, denn man geht davon aus, dass Ber­lin bis 2030 um rund 250.000 Ein­woh­ner wach­sen wird. Star­ker Zuzug wird vor allem für Orts­tei­le wie Pan­kow, Wed­ding und Tier­gar­ten erwartet.

Der Ber­li­ner Senat hat bereits im ver­gan­ge­nen Jahr mit den städ­ti­schen Woh­nungs­bau­ge­sell­schaf­ten ein Bünd­nis für sozia­le Woh­nungs­po­li­tik geschlos­sen, das ein gan­zes Bün­del von Rege­lun­gen umfasst, um die Ent­wick­lung des Woh­nungs­markts poli­tisch stär­ker beein­flus­sen zu kön­nen. Teil der Ver­ein­ba­rung ist zum Bei­spiel eine Erhö­hung des Woh­nungs­be­stands der Gesell­schaf­ten um rund 23.000 Woh­nun­gen durch den Zukauf bestehen­der und den Bau neu­er Wohnungen.

Auch eine Neu­aus­rich­tung in der Ber­li­ner Lie­gen­schafts­po­li­tik soll dazu füh­ren, dass Grund­stü­cke aus dem Besitz der Stadt nicht wie bis­her mög­lichst gewinn­brin­gend ver­kauft wer­den, son­dern beim Ver­kauf stär­ker auf woh­nungs­po­li­ti­sche Zie­le geach­tet wird. Ein neu­es Gesetz soll zudem den spe­ku­la­ti­ven Leer­stand sowie die Zweck­ent­frem­dung von Woh­nun­gen ein­däm­men. Denn durch die Ver­mie­tung von Wohn­raum als Feri­en­woh­nung kann ein Ver­mie­ter bis zu vier­mal mehr Mie­te bekom­men. Der Ber­li­ner Bevöl­ke­rung wer­den die­se Woh­nun­gen dadurch jedoch vom Woh­nungs­markt entzogen.

Eva Högl hält vor allem die star­ken Miet­stei­ge­run­gen bei Neu­ver­mie­tun­gen für pro­ble­ma­tisch. Hier sei eine Decke­lung der Miet­erhö­hun­gen erfor­der­lich, so dass Mie­ten inner­halb von vier Jah­ren nur um maxi­mal 15% erhöht wer­den dür­fen. Bis­her sind es 20% in drei Jah­ren. Eben­so griff sie den Wunsch eini­ger Anwoh­ner nach mehr Trans­pa­renz bezüg­lich der Eigen­tums­ver­hält­nis­se von Miets­häu­sern auf.

Geziel­te Aufwertung

Am ehes­ten kon­tro­vers dis­ku­tiert wur­de über die geziel­te Auf­wer­tung sozi­al schwa­cher Wohn­ge­bie­te, da sie natür­lich im Ver­dacht steht, einer sozia­len Ver­drän­gung den Weg zu ebnen. Die Auf­wer­tung der sozia­len Struk­tur, so Gothe, sei jedoch alter­na­tiv­los, wol­le man zum Bei­spiel ver­hin­dern, dass jun­ge Fami­li­en fort­zie­hen, sobald ihre Kin­der ins schul­pflich­ti­ge Alter kom­men. Die Bezirks­ver­ord­ne­te Jani­na Kör­per, die – viel­leicht etwas leicht­fer­tig – das Reiz­wort „Gen­tri­fi­zie­rung“ in einem durch­aus affir­ma­ti­ven Sinn ver­wen­de­te, wies dar­auf hin, dass die Auf­wer­tung im engen Dia­log mit dem jewei­li­gen Quar­tiers­ma­nage­ment erfolgt, um sozia­le Ver­drän­gungs­pro­zes­se zu ver­hin­dern. Statt sozi­al Star­ke ins Vier­tel zu locken, so ein Mit­glied des Ber­li­ner Mie­ter­ver­eins, sol­le man vor allem ver­su­chen, den Men­schen vor Ort zu helfen.

Die Situa­ti­on im Sprengelkiez

Nordufer
Im Spren­gel­kiez sind kaum noch bezahl­ba­re Woh­nun­gen zu finden

Im Ver­lauf des Abends wur­de deut­lich, dass die Mit­glie­der der Mie­ter­initia­ti­ven, die Maß­nah­men des Ber­li­ner Senats zwar begrü­ßen, sich aber gleich­zei­tig auch kurz­fris­ti­ge Maß­nah­men wün­schen, um den Men­schen zu hel­fen, die bereits jetzt ihre Mie­ten nicht mehr bezah­len kön­nen. So schil­der­te Sie­men Dall­mann sei­ne Erfah­run­gen als Mie­ter­ver­tre­ter im Spren­gel­kiez, wo dies bereits bei vie­len Mie­tern der Fall sei. Für Kiez­be­woh­ner, die ihre bis­he­ri­ge Woh­nung ver­las­sen, sei es fast unmög­lich, wie­der eine bezahl­ba­re Woh­nung im Vier­tel zu fin­den. Vie­le Mie­ter mit Migra­ti­ons­hin­ter­grund, berich­te­te eine ande­re Anwoh­ne­rin, muss­ten bereits fort­zie­hen. „Der Druck ist schon voll da“, fass­te Dall­mann die Situa­ti­on zusam­men. Er befürch­tet, dass sich beson­ders im Spren­gel­kiez die Situa­ti­on noch wei­ter ver­schär­fen wird. An die Poli­tik rich­te­te Dall­mann zudem die Bit­te, neben dem The­ma Mie­te auch die Pro­ble­ma­tik stän­dig stei­gen­der Neben­kos­ten nicht aus den Augen zu verlieren.

Ver­drän­gung sozi­al Schwa­cher aus dem Kiez?

Als Dall­mann am Ende der Ver­an­stal­tung einen erst seit drei Mona­ten im Spren­gel­kiez woh­nen­den Stu­den­ten dar­über auf­klärt, der Wed­ding sei noch vor eini­gen Jah­ren alles ande­re als ange­sagt gewe­sen, wur­de ver­mut­lich so man­chem Besu­cher wie­der bewusst, wie schnell und wie sehr sich die Situa­ti­on im Wed­ding geän­dert hat. Nach den Jah­ren sta­gnie­ren­der Ein­woh­ner­zah­len, erle­ben vor allem die bis­her als wenig attrak­tiv gel­ten­den Stadt­vier­tel eine Zeit des Umbruchs. Wenn die Poli­tik nicht kon­se­quent dage­gen steu­ert, läuft der Wed­ding Gefahr, eine mas­sen­haf­te Ver­drän­gung der sozi­al schwa­chen Bevöl­ke­rung zu erle­ben. Bleibt zu hof­fen, dass sich das Enga­ge­ment der Mie­ter­initia­ti­ven aus­zahlt, und ins­be­son­de­re auch deren Wunsch nach kurz­fris­ti­gen Maß­nah­men in der Poli­tik Gehör fin­det. Viel Zeit bleibt nicht.

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