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Wedding von unten – seit 90 Jahren per U‑Bahn

11. Januar 2013
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Ein­fach unter­ir­disch: vie­le Ber­li­ner ken­nen den Wed­ding nur aus der Kel­ler­per­spek­ti­ve. Für sei­nen Unter­grund ist der Stadt­teil jedoch nicht erst in neu­es­ter Zeit bekannt, denn schon vor neun­zig Jah­ren erreich­te die ers­te U‑Bahn den Wedding.

U-Bahn-WagenDie ers­te U‑Bahn-Linie Ber­lins (die heu­ti­ge U 1) wur­de noch über­wie­gend als Hoch­bahn aus­ge­führt, so sehr miss­trau­te man ange­sichts der tech­ni­schen Mög­lich­kei­ten um 1900 dem san­di­gen Ber­li­ner Unter­grund. Die Stadt Ber­lin hat­te den Bau und Betrieb anfangs einem pri­va­ten Bau­herrn (Sie­mens und Hals­ke) über­las­sen. Beim Bau der Nord-Süd-Bahn Wed­ding-Tem­pel­hof /Neukölln war sie jedoch selbst als Bau­herr tätig. Noch vor dem Ers­ten Welt­krieg began­nen die Bau­ar­bei­ten, wur­den aber bald ein­ge­stellt. Es dau­er­te noch bis Janu­ar 1923, bis die städ­ti­sche Nord-Süd-Bahn zwi­schen Hal­le­sches Tor und dem heu­ti­gen Bahn­hof Natur­kun­de­mu­se­um eröff­net wur­de. Im März des glei­chen Jah­res ging die Ver­län­ge­rung über Rei­ni­cken­dor­fer Stra­ße, Bahn­hof Wed­ding, Leo­pold­platz bis zur See­stra­ße in Betrieb, wodurch auch der Wed­ding über einen U‑Bahn-Anschluss verfügte.

Zwei Systeme: Klein- und Großprofil

U Bhf Rehberge BahnsteigOb mini­ma­lis­ti­scher Zeit­geist oder Geld­man­gel: die Bahn­hö­fe der Infla­ti­ons­zeit sind bis heu­te nur Spar­ver­sio­nen mit ihren schlich­ten, weiß ver­putz­ten Sei­ten­wän­den. Die unmit­tel­bar unter der Stra­ße lie­gen­den Sta­tio­nen, die man über die Stra­ßen­mit­te unter Benut­zung nur einer Trep­pe errei­chen konn­te, unter­schei­den sich fast aus­schließ­lich durch die Far­be der genie­te­ten Stahl­trä­ger und Schil­der­um­rah­mun­gen. Die Bahn­stei­ge waren anfangs auch nur 80 Meter lang, so dass ledig­lich kur­ze Züge mit vier Wagen ein­ge­setzt wer­den konn­ten. Um trotz­dem vie­le Fahr­gäs­te trans­por­tie­ren zu kön­nen, wur­den die Wagen – statt wie bis dahin 2,3 Meter breit– in einer Brei­te von 2,65 Meter gebaut. So kommt es, dass die Ber­li­ner U‑Bahn bis heu­te zwei ver­schie­de­ne tech­nisch nicht mit­ein­an­der kom­pa­ti­ble Wagen­ty­pen besitzt, das Klein­pro­fil (U 1 – U 4) und das Groß­pro­fil (U 5 – U 9). Aller­dings wur­den die Bahn­stei­ge der Nord-Süd-Bahn ab den 1960er Jah­ren ver­län­gert. Erst nach der Wie­der­ver­ei­ni­gung war dies auch auf allen bis­her nicht zugäng­li­chen Sta­tio­nen mög­lich, und seit 1996 ver­fügt die gesam­te heu­ti­ge U 6 über 110 Meter lan­ge Bahn­stei­ge. Für das Groß­pro­fil bau­te man an in einem Stra­ßen­block zwi­schen Mül­lerstra­ße, Ungarn­stra­ße, Tür­ken­stra­ße und Edin­bur­ger Stra­ße eine Haupt­werk­statt, die bis heu­te unter dem Namen „See­stra­ße“ in Betrieb ist. 1956 wur­de die heu­ti­ge U 6 bis zum Kurt-Schu­ma­cher-Platz in Rei­ni­cken­dorf (neue Sta­tio­nen Reh­ber­ge und Afri­ka­ni­sche Stra­ße) und 1958 bis Tegel verlängert.

Neue Linie Gesundbrunnen-Neukölln

U Bhf Gesundbrunnen Bahnsteig2Bereits 1912 begann die AEG mit dem Bau einer zwei­ten Nord-Süd-Linie, die Gesund­brun­nen mit Neu­kölln („GN-Bahn“) ver­bin­den soll­te. 1919 wur­den die Arbei­ten aus wirt­schaft­li­chen Grün­den ein­ge­stellt. Nach­dem die Stadt Ber­lin die Tun­nel­an­la­gen über­nom­men hat­te, begann 1926 der Wei­ter­bau und 1927 wur­de der ers­te Abschnitt in Neu­kölln ein­ge­weiht. 1930 wur­de dann der End­punkt am Bahn­hof Gesund­brun­nen erreicht. Erst in den 70er Jah­ren plan­te man eine Ver­län­ge­rung der Stre­cke als Linie 8 (heu­te U 8) bis ins Mär­ki­sche Viertel.

1977 wur­de der vor­läu­fi­ge End­punkt Oslo­er Stra­ße erreicht, wo kurz vor­her auch die End­sta­ti­on der neu­en Linie 9 eröff­net wor­den war. Spä­ter wur­de die U 8 über die Oslo­er Stra­ße hin­aus bis Wit­ten­au verlängert.

U 9: schnell hin und weg

U Bhf Gesundbrunnen BahnsteigDie U 9 ist die schnells­te und moderns­te Linie der Ber­li­ner U‑Bahn, die den Wed­ding mit Ste­glitz ver­bin­det. Sie ist die ein­zi­ge Linie, die voll­stän­dig nach dem Zwei­ten Welt­krieg errich­tet wur­de. Weni­ge Tage nach dem Mau­er­bau 1961 wur­de der ers­te Abschnitt zwi­schen Leo­pold­platz und Spi­chern­stra­ße über Amru­mer Stra­ße und Bahn­hof Zoo­lo­gi­scher Gar­ten eröff­net. Der bestehen­de Bahn­hof Leo­pold­platz der Nord-Süd-Bahn muss­te als Kreu­zungs­bahn­hof umge­baut wer­den – bis dahin hat­te er wie die meis­ten ande­ren Sta­tio­nen der heu­ti­gen U 6 einen Mittelbahnsteig.

Ab 1976 war der „Leo“ nicht mehr die End­sta­ti­on der Linie 9, die über Naue­ner Platz bis zum heu­ti­gen End­punkt Oslo­er Stra­ße ver­län­gert wurde.

Gestaltung der Stationen

U-Bahnhof Nauener PlatzDie Bahn­hö­fe Reh­ber­ge und Afri­ka­ni­sche Stra­ße waren die ers­ten U‑Bahnhöfe nach dem Zwei­ten Welt­krieg. Sie ähneln sich in ihrer unge­wöhn­li­chen Decken­form und in der ein­far­bi­gen Gestal­tung der Wän­de mit Flie­sen, die auch bei der jüngs­ten Sanie­rung bei­be­hal­ten wur­de. Bei­de Sta­tio­nen besit­zen Zwi­schen­ge­schos­se mit Fußgängerunterführungen.

An der Amru­mer Stra­ße soll­te ein­mal eine Auto­bahn, die West­tan­gen­te, ent­lang­füh­ren. Dies wur­de beim Bau des Bahn­hofs 1961 bereits berück­sich­tigt. So kommt es, dass der dem Virch­ow-Kli­ni­kum zuge­wand­te Teil der Sta­ti­on eine erdrü­ckend-nied­ri­ge fla­che Decke und mas­si­ve, recht­ecki­ge Stüt­zen besitzt. Zum Bau der West­tan­gen­te, die den Volks­park Reh­ber­ge, die Afri­ka­ni­sche Stra­ße und auch die Torf­stra­ße zer­schnit­ten hät­te, ist es spä­ter auf­grund ver­än­der­ter Auto­bahn­pla­nun­gen nicht mehr gekommen.

Der Bahn­hof Naue­ner Platz, der 1976 eröff­net wur­de, zeigt sich mit sei­nen klo­bi­gen For­men und Run­dun­gen ganz im Zeit­ge­schmack der 70er. Die domi­nie­ren­den Far­ben blau, weiß, rot bezie­hen sich auf das Naue­ner Stadt­wap­pen, aber auch auf die Tri­ko­lo­re Frank­reichs – der Wed­ding lag damals schließ­lich im fran­zö­si­schen Sektor.

An der Oslo­er Stra­ße tref­fen gleich zwei Lini­en im rech­ten Win­kel direkt über­ein­an­der. Bei­de Ebe­nen sind ähn­lich gestal­tet: neben­ein­an­der ange­ord­ne­te, rie­si­ge nor­we­gi­sche Flag­gen sprin­gen dem Fahr­gast von den Sei­ten­wän­den ins Auge. Nur die Far­be der Mit­tel­säu­len unter­schei­den sich auf bei­den Ebenen.

So inter­es­sant die U‑Bahn-Geschich­te des Wed­ding seit 90 Jah­ren ist: es lohnt sich, auch ein­mal aus­zu­stei­gen und den Stadt­teil über dem Tun­nel zu erkunden.

Arti­kel­se­rie über die Archi­tek­tur der U‑Bahn-Sta­tio­nen im Wedding

U Bhf Rehberge StraßeLeo­pold­platz (U6, U9):  Aus­gangs­punkt für eine Ent­de­ckung der Kieze rund um die Mal­plaquet­stra­ße und die Osram­hö­fe, den Brüs­se­ler Kiez, den Spren­gel­kiez und den Anton­kiez.

Amru­mer Stra­ße (U9): Aus­gangs­punkt für den Brüs­se­ler Kiez und den Spren­gel­kiez.

Wed­ding (S‑Bahn, U6): Aus­gangs­punkt für den Spren­gel­kiez und den Anton­kiez.

See­stra­ße (U6): Aus­gangs­punkt für eine Ent­de­ckung der Kieze rund um die Mal­plaquet­stra­ße und die Osram­hö­fe, den Brüs­se­ler Kiez, das Afri­ka­ni­sche Vier­tel und das Eng­li­sche Vier­tel.

Reh­ber­ge oder Afri­ka­ni­sche Stra­ße (U6): Aus­gangs­punkt für das Afri­ka­ni­sche Vier­tel und das Eng­li­sche Vier­tel.

Naue­ner Platz (U9): Aus­gangs­punkt für die Kieze rund um die Mal­plaquet­stra­ße und die Osram­hö­fe und den Anton­kiez.

Joachim Faust

hat 2011 den Blog gegründet. Heute leitet er das Projekt Weddingweiser. Mag die Ortsteile Wedding und Gesundbrunnen gleichermaßen.

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